Bewohner wehren sich gegen Überwachungskameras: Mieter immer im Bild
Der Eigentümer brachte eigenmächtig Überwachungskameras über der Haustür und im Hof an. Das ist illegal, bestätigen Datenschützer. Die Mieter protestieren auch.
Wenn Jürgen B.* seine Wohnung in der Bödikerstraße 9 in Friedrichshain verlässt, würde er sich am liebsten mit Schal und Sonnenbrille verkleiden. Der Grund sind drei kleine weiße Kästchen, die sich im Freien über der Haustür, dem dahinter liegenden Gang und an einer Wand im ersten Hinterhof befinden. Zunächst dachten die BewohnerInnen, es handle sich um Anschlüsse für die Stromversorgung. Erst einem Experten für Überwachungstechnik, der im Haus zu Besuch war, fiel auf, dass in den weißen Kästchen Kameras installiert sind, die die Straße vor dem Haus, den Eingang und den Hof bewachten.
Das Anbringen der Kameras ist nur ein Höhepunkt in einer langen Auseinandersetzung zwischen den MieterInnen des ersten Hinterhauses der Bödikerstraße 9 und dem neuen Eigentümer. Anfang der 90er-Jahre hatten sie kurzzeitig ein Haus in der Nähe besetzt. Nach Verhandlungen wurde ihnen die Bödikerstraße 9 als Ersatzobjekt angeboten. Bis vor einem Jahr lebten die BewohnerInnen in ihrem selbst sanierten Haus mit großem Garten fast wie auf einer Insel, unberührt von allen Umstrukturierungsmaßnahmen in der nahen Umgebung. Denn die Straße im südlichen Friedrichshain ist wenig befahren und mangels Kneipen auch kein Anlaufpunkt für TouristInnen und PartygängerInnen. Doch im vergangenen Jahr kamen immer häufiger Menschen in den Hof, die sich für das Grundstück interessierten, erzählen die MieterInnen. Darunter waren auch die Bevollmächtigten der in Bratislava eingetragenen Platinum Consult s.r.o., die das Gelände schließlich kauften.
Seitdem hat sich das Wohnumfeld für die MieterInnen rapide verändert. Der Garten musste einem betonierten Parkplatz weichen. Anfang April wurden sämtliche Mietverträge des ersten Hinterhauses fristlos gekündigt. "Wir konsultierten sofort unsere Anwälte. Die beruhigten uns: Denn die Kündigungen waren derart fehlerhaft, dass sie juristisch keinen Bestand haben. Schließlich sind wir im Besitz gültiger Mietverträge", erzählt Annika L.* der taz.
Das scheint auch den Eigentümern klar geworden zu sein. Zumindest verfolgten sie die Kündigungen nicht weiter, sondern konzentrierten sich auf die Sanierung des bisher leer stehenden zweiten Hinterhauses. Dort entstanden teuere Eigentumswohnungen, die mittlerweile alle verkauft sind. Bisher gab es nur spärlichen Kontakt zwischen den Nachbarn. Doch das könnte sich nach der Entdeckung der Kameras ändern. Denn auch die BewohnerInnen des 2. Hinterhauses wurden über die Kameras erst durch Aushänge der AltbewohnerInnen informiert.
Mittlerweile hat ein Mieter des ersten Hinterhauses gegen die Montage der Kameras eine Klage eingereicht; über sie soll in den nächsten Monaten entschieden werden. Bis zur endgültigen juristischen Klärung will der Kläger mittels einstweiliger Verfügung den sofortigen Abbau der Kameras durchsetzen. Weil die Eigentümer dieser juristisch widersprochen haben, wird sich am kommenden Dienstag das Amtsgericht Lichtenberg damit befassen.
Der Anwalt der Mieter, Max Althoff, sieht gute Chancen für seine Mandanten. Im Gespräch mit der taz verweist er auf Entscheidungen des Landgerichts, die das Anbringen von versteckten Kameras als schwerwiegenden und in der Regel unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte werten. Erschwerend komme in diesem Fall hinzu, dass die verwendeten Kameras auch Tonaufnahmen tätigen können. Das sei eine Straftat, betont Althoff.
Beschwerden von MieterInnen über Überwachungsmaßnahmen haben in der letzten Zeit zugenommen, sagt Philipp Scholz, Sprecher des Berliner Datenschutzbeauftragen Alexander Dix. Auch er betont, dass eine Kameraüberwachung ohne Wissen der MieterInnen unzulässig ist. Nur in eng begrenzten Fällen könne eine Überwachung mit Wissen, aber ohne Zustimmung der MieterInnen erfolgen. Dazu könnten häufige Einbrüche oder Vandalismus gehören. Vor dem Anbringen der Kameras müssten aber Alternativen geprüft werden, die weniger stark in die Persönlichkeitsrechte eingreifen. Dazu gehört der Einbau einer Gegensprechanlage oder ein abgeschlossener Innenhof. Die Eigentümer der Bödikerstraße 9 waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
* Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!