Kommentar Gipfel im Kanzleramt: Konjunkturprogramm in Zeitlupe

Der Krisengipfel zeigt, wie schwer es der Regierung fällt, sich zu orientieren. Das Angebot der Industrie ist nur eine Absichtserklärung.

Die deutsche Industrie bietet an, in der Krise keine Leute zu feuern. CDU und SPD fordern Unternehmer und Gewerkschaften auf, an einem Strang zu ziehen. Eine nationale Anstrengung wird angemahnt, eine konzertierte Aktion beschworen. Die Kanzlerin will die deutschen Konzerne sogar verpflichten, melden Zeitungen, keine Mitarbeiter zu entlassen. Das klingt, als wäre die deutsche Wirtschaftspolitik auf einer Zeitreise zurück in die Blütezeit der Deutschland AG. Damals, als Wirtschaftspolitik national steuerbar war, als es keine Hedgefonds und keinen unberechenbaren globalisierten Finanzkapitalismus gab. Führt die Rezession, in einem ironischen Salto, zurück zum alten bundesrepublikanischen Korporatismus?

Nein, durchaus nicht. Genauer hingeschaut, ist das generöse Angebot der Industrie eine unverbindliche Absichtserklärung. Merkel will die Konzerne auch nicht verpflichten, keine Jobs zu vernichten, sondern sie nur ermahnen. Außerdem ist das Herzstück der bundesrepublikanischen Sozialpartnerschaft, der Flächentarifvertrag, systematisch durchlöchert worden, Gewerkschaften und Unternehmerverbände sind längst nicht mehr so mächtig wie vor 30 Jahren. Die Aufrufe zur Gemeinsamkeit ersetzen deren faktisches Fehlen. Sie bleiben Rhetorik.

Der Krisengipfel zeigt in Wahrheit, wie schwer es der Regierung fällt, sich zu orientieren. Merkel & Co haben sich durchgerungen, den Widerstand gegen das nötige Konjunkturprogramm aufzugeben - aber in Zeitlupe. Erfinderisch ist die große Koalition nur bei Ausreden, warum man jetzt leider noch nichts tun könne. Man wolle abwarten, bis Obama US-Präsident ist, heißt es. Aber warum soll davon abhängen, ob man in Deutschland Schulen renoviert oder mit billigen Krediten Gebäude saniert? Es gibt ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Investitionen, die jetzt beschlossen werden müssen, wenn sie bald wirken sollen.

Antizyklische Konjunkturpolitik ist in einer globalisierten Ökonomie ein Risiko mit schwer berechenbaren Effekten. Aber eine Alternative dazu gibt es nicht. Die Risiken werden in zwei, drei oder sechs Monaten nicht geringer sein. Doch Merkel & Co warten lieber. Worauf?

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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