Kommentar Gute Nachricht 2009: Freiheit im Stall

Massentierhaltung verboten, Tiere frei, Mond heller als sonst - man denkt, man würde träumen...

Zuerst dachte ich, dass ich noch träumte - die Wiese hinterm Haus war bevölkert wie auf einem Jahrmarkt. Es muhte und grunzte, und die dort muhten und grunzten, die kannte ich nicht. Ich bat meine Katze, mich zum Aufwachen leicht zu kneifen. "Mach mir Frühstück", sagte sie, "und nur zur Info: Die sind echt." In den Morgennachrichten wurde gemeldet, dass Tiere allerorten die Menschenräume überströmten; man hatte alle freilassen müssen, seit über Nacht die Massentierhaltung und Labore verboten worden waren. "Ihr seid frei!", rief ich. Aber sie waren alle mit Grasen beschäftigt, und nur eine einzige hünenhafte Kuh schaute kurz auf.

Sie waren in keinem guten Zustand: Die Milchkühe hatten Euterentzündung, die Schweine humpelten und hatten stinkende Wunden. In ihren Mastbetrieben hatten sie einander gedrängelt und gebissen, das hatte sich alles infiziert. Ich rief unsern Tierarzt an. "Ich komm gegen Mittag", versprach er, "du ahnst nicht, was heut alles los ist." Überall wurden die Freigekommenen von Menschen gepflegt. Der Tierarzt machte ein ernstes Gesicht, als er die Kühe und Schweine untersuchte: diese Rieseneuter, diese endlos vielen Rippen - die waren ja schon alle so bescheuert gezüchtet. "Aber mach dir keine Sorgen, du gibst jedem Tier von diesen Tropfen, damit kommt alles wieder hin."

Es war ein schönes Bild, wie sich die Gesichter der Tiere allmählich entspannten; für viele war es ja der erste Tag, an dem sie Erde fühlten und Himmel sahen. Kurz überschlug ich, wie viel Weidefläche man für sie brauchte; ein umgeleiteter Bach, plus tausend Tonnen Rüben als Winterproviant. Na ja, das könnte ein bisschen knapp werden, dachte ich. Die vierzig Schafe (die mir schon vorher gehörten) müssten etwas zusammenrücken. Und das taten sie auch. Am Abend stürmten Schafe, Kühe und Schweine den Stall, um ihr Feierabendbier zu genießen und eine Runde Karten. Überm Stalldach ging der Mond auf, seit dem Morgen hatte er sich verdoppelt. Schon so lange hatte ihm der Kummer sämtliche Gliedmaßen abgeschnürt; nun war er gelöst, er ging in die Breite und strahlte um ein Vielfaches heller als sonst.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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