die wahrheit: Die teuflischen Festspiele

Wie die beschauliche Gemeinde Nottuln einmal etwas Übersinnliches erlebte.

Alljährlich springen die Nottulner zur Feier des 7. Januar mit zuckenden Gliedmaßen umeinander. Bild: ap

Im Januar des Jahres 1983 wurden die Bewohner des kleinen verschlafenen Dörfchens Nottuln in Westfalen eines Morgens in einen großen Schrecken versetzt. "Nottuln" bedeutet im älteren Sprachgebrauch ungefähr "Ort der etwas anderen Menschen und Tiere", und in der Tat gibt es allerhand seltsame Geschichten von diesem gottverlassenen Fleckchen zu erzählen, wie zum Beispiel die Geschichte der Nottulner Festspiele, die im eingangs schon erwähnten Jahre 1983 alle 93 Nottulner Bürger in Atem halten sollten.

Doch wir wollen am Anfang beginnen, wie es sich für gute Geschichten geziemt. Es begab sich also, dass der soeben erwachte Bürgermeister Josef Schalau am 7. Januar beim Blick aus seinem Schlafzimmerfenster beinahe einem Herzkasper erlag: Die sonst stets mit braunem Schlamm vermatschten Straßen des gewöhnlich verregneten Nestes waren über Nacht mit einer dünnen, seltsamen weißen Schicht bedeckt, für die das Gemeindeoberhaupt keinerlei Erklärung fand als die, Gott oder der Teufel selbst müssten die Hände im Spiele haben, um die armen Nottulner - von denen keiner jemals zuvor Schnee gesehen hatte -, um die armen Nottulner also entweder zu belohnen oder zu bestrafen. Eilends hieß der Bürgermeister seinen Knecht die Feuerglocke läuten, und die Nottulner rannten - nur mit Sackwams und Gummistiefeln bekleidet, so dass man ihre nackten, behaarten Waden weithin leuchten sehen konnte -, so rannten sie also verängstigt dem Rathaus zu, um zu beratschlagen, was zu tun sei, um diesem weißen Segen oder der Plage - je nachdem, als was es sich erweisen würde - angemessen zu begegnen. Da nun aber die braven Nottulner nur selten zündende Ideen hatten, ruhten alle Blicke hoffnungsvoll auf dem Dorfweisen, dem 29-jährigen Jupp Hoffschulte, der vor zwei Jahren in dem benachbarten Örtchen Havixbeck, das eine richtige Schule hatte, einen Schulabschluss beinahe geschafft hatte und deshalb als weitgereister Mann von großer Bildung galt und höchstes Ansehen unter den Nottulner Dorfbewohnern genoss.

Dieser Hoffschulte nun wusste recht klug zu blicken, walkte sein Kinn und zog seine Gesichtszüge in allerlei geometrische und philosophische Formen, bevor er den atemlos Harrenden mit tiefer Stimme verkündete, einem solch übersinnlichen Werk wie der weißen unerklärlichen Schicht sei unbedingt mit großen, prachtvoll ausgerichteten Festspielen zu begegnen. Ei, da jubelten die Nottulner und warfen ihre Gummistiefel in die Höhe, so dass diese beim Herabfallen hart auf die viereckigen Köpfe trafen. Doch gleichzeitig waren sie etwas beschämt, mit einem so leicht zu lösenden Problem den Dorfweisen belästigt zu haben, denn auf die Idee mit den Festspielen hätten sie freilich auch selbst kommen können.

Doch kaum war die erste überschwängliche Freude wieder in vernünftige Bahnen gelenkt, da tat sich gleich eine weitere Frage auf: Keiner der Nottulner hatte je an Festspielen teilgenommen oder wusste gar, wie so etwas auszusehen habe. Jupp Hoffschulte lenkte zaghaft ein, das wisse er nun freilich auch nicht genau, und er schlug vor, die weiße Masse zunächst einmal ins Warme zu holen, damit sie - was immer sie auch sein möge - den Dörflern später nicht mangelnde Gastfreundschaft vorwerfen könne. Der Dorfpfarrer Huber aber glaubte, irgendwann einmal irgendwo gelesen zu haben, dass man zwingend auch Hühner bei lebendigem Leibe essen und mit zuckenden Gliedmaßen vor einem Feuer tanzen müsse, um Festspiele richtig wirksam werden zu lassen. Also hieß er die Nottulner, all dies zu tun. Die Nottulner Hühner allerdings verweigerten ihre Teilnahme an den Festspielen, worauf Pfarrer Huber beschloss, dass es durchaus auch ohne Hühner gehen könne. Und bald schon sah man die braven Nottulner fleißig die dünne Schneeschicht zusammenfegen, vor den flugs angefeuerten Kamin im Rathaussaal tragen und mit zuckenden Gliedmaßen umeinanderspringen - und war es ein göttliches Wunder, war es irdische Wissenschaft oder gar Teufelswerk? Vor den ungläubigen Augen und aufgesperrten Mäulern der tief beeindruckten Nottulner schwand die unheimliche Masse zu nichts dahin und hinterließ nur ein klammes Gefühl in den Herzen und ein paar Pfützen auf dem alten Rathausteppich. Der Dorfweise Jupp Hoffschulte aber beanspruchte den Erfolg der Nottulner Festspiele allein für sich und seine hohe Bildung, Dorfpfarrer Huber seinerseits erhob ebenfalls Anwartschaft darauf - so kam es, dass beide sich in den folgenden Jahren nur noch mit gemäßigter Freundlichkeit begegneten. Die weiße Schicht aber kehrte nie mehr wieder zurück und die Nottulner Festspiele werden seitdem dergestalt gefeiert, dass die Nottulner alljährlich am 7. Januar massenweise Schlamm vor den Kamin im Rathaus tragen und mit zuckenden Gelenken davor tanzen. Von den Nottulner Hühnern aber geht die Legende, an diesem Tage sei niemals auch nur ein Federchen von ihnen zu erblicken.

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