Merkel nickt Firmenübernahmen ab: Staatskapitalistin wider Willen

Die Kanzlerin lässt sich von den Ministerpräsidenten treiben: Erst gab sie bei den Steuern nach - nun nickt sie mögliche Firmenübernahmen durch den Staat ab.

"Wir wollen das nicht prädominizieren": Kanzlerin Angela Merkel. Bild: dpa

Es sind nur ein paar Dutzend Meter von der großen Freitreppe des Erfurter Pullman-Hotels bis zum Ausgang in Richtung Theaterplatz. Jürgen Rüttgers braucht an diesem Samstagmittag rund eine Stunde, bis er den Weg zurückgelegt hat. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident spricht in diese Kamera und in jenes Mikrofon, er bleibt hier bei einer Journalistengruppe stehen und zieht sich dort zu einem Interview ins Separee zurück.

Niemandem soll es entgehen, dass Rüttgers wieder mal gewonnen hat. Erst eine knappe Woche ist es her, dass der CDU-Politiker die Idee eines "Deutschlandfonds" zur Unternehmensrettung in die Welt setzte, und schon hat der Bundesvorstand der Partei auf seiner Klausurtagung in der thüringischen Landeshauptstadt einen förmlichen Beschluss gefasst. "Wir wollen mit einem Deutschlandfonds einen verbesserten Zugang zu Liquidität schaffen", heißt es in der "Erfurter Erklärung", die der Vorstand gerade beschlossen hat. Die Formulierung lässt die Möglichkeit offen, dass der Staat neben Bürgschaften auch selbst Kredite gibt - und eine insolvente Firma im Notfall sogar selbst übernimmt.

Wenig später erscheint Horst Seehofer im Hotelfoyer, gemeinsam mit dem CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, den er um mindestens eine Kopflänge überragt. "Sie werden eine sehr einige Union im Jahr 2009 erleben", sagt der CSU-Vorsitzende mit breitem Grinsen. Streit sei auch nicht nötig, "weil wir seit letztem Sonntag in allen Punkten einig sind". So einfach ist das aus Seehofers Sicht: Die Kanzlerin braucht auch künftig nur auf ihn zu hören wie zuletzt im Streit um Steuersenkungen, schon hat sie keinen Ärger mehr.

So wird der Koalitionsausschuss von Union und SPD an diesem Montagabend ein Konjunkturpaket beschließen, das Angela Merkel noch vor wenigen Wochen überhaupt nicht wollte. Erst wollte sie gar kein Paket, dann wollte sie keine Steuersenkungen, auch an die Verstaatlichung von Firmen der Realwirtschaft hat sie bis vor einer Woche nicht gedacht. "Dass auch der Weg des Kompromisses gesucht werden muss, gehört zu großen Koalitionen", sagt sie in Erfurt auf der abschließenden Pressekonferenz. Wichtig sei, "dass sich alle in einem solchen Paket wiederfinden".

Mit der großen Koalition hat der Kursschwenk von Erfurt aber wenig zu tun. Beim Deutschlandfonds, bei den Steuersenkungen ließ sich Merkel von Unionspolitikern treiben. Um hundert Milliarden geht es im einen Fall, um bis zu elf Milliarden für die nächsten zwei Jahre im anderen. Mit der SPD streitet sich Merkel im Vergleich dazu nur um Kleinigkeiten, und streiten wäre schon zu viel gesagt. "Wir wollen das nicht prädominizieren", sagt Merkel in Erfurt zur Debatte um Abwrack- oder Umweltprämie. Auch das Nein zur Reichensteuer klingt so halblaut, dass Kompromisse alles andere als ausgeschlossen sind.

Die Parteivorsitzende erweckt nicht den Eindruck, als habe sie an den innerparteilichen Kompromissen schwer zu tragen. Von der Linie, zu der sie sich nun zwingen lässt, kann sie bis zum Wahltag nur profitieren - als Verkörperung von Mutter Staat. "Es gibt Schlimmeres auf der Welt", sagt sie in der Zeitung Bild am Sonntag über FDP-Chef Guido Westerwelle, der sie öffentlich "Mutti" nannte.

Ungewohnt locker gibt sich Merkel vor Klausurbeginn auch bei einem Neujahrsempfang der Thüringer CDU im Erfurter Kaisersaal, wo sie die Tonlage fürs Wahljahr vorgibt und dabei auch noch Witze reißt. Viel Pathos zum Jubiläum von Mauerfall, Bundesrepublik - und Frauenwahlrecht, von dem Merkel hofft, "dass alle Anwesenden das für ne richtije Idee halten". Und wieder das Bekenntnis zum Staat, die Feststellung, "dass in der Notsituation plötzlich nur einer da war, der helfen konnte - und das war der Staat".

Es gibt nur einen prominenten Christdemokraten, der noch widerspricht, und das ist der Niedersachse Christian Wulff. In der Vorstandssitzung redet er gegen die geplante Staatsbeteiligung an Unternehmen - und verliert. Aus dem Tagungshotel rettet er sich im Schatten von Seehofer unbehelligt heraus, gibt seinen Widerspruch aber per Zeitungsinterview zu Protokoll. "Der Staat darf aber nicht versuchen, ein Schutzbedürfnis zu befriedigen, das er nicht befriedigen kann. Der Staat sollte den Mund nicht zu voll nehmen. Das bewirkt nur Enttäuschungen", sagt er. Es sind Sätze, die vor wenigen Wochen noch Merkel hätte sagen können.

Eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen gibt es nur einen, der Merkel weder drängt noch kritisiert, sondern jedem ihrer Kursschwenks treu folgt. Es ist der Wiesbadener Ministerpräsident Roland Koch. "Die Kanzlerin reagiert klug, angemessen und vor allem auch besonnen", sagt er. Auch erklärt er artig, warum Rüttgers und Seehofer sich nicht wirklich durchgesetzt hätten. Im Regelfall werde sich der Staat nicht an Unternehmen beteiligen, ruft er nach Düsseldorf, es bleibe bei dem Prinzip, dass Kredite von der Hausbank kämen und nicht vom Staat. "Das ist nicht die Zeit für große Steuerreformen", sagt er in Richtung Bayern. Ansonsten gelte: "In der Krise gibt es viele gute Vorschläge. Der schlechteste Vorschlag ist, sich nicht einigen zu können." Merkel selbst könnte ihre programmatische Wendigkeit nicht besser rechtfertigen.

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