: „Der Staat muss Leuchttürme aufstellen“
HASSKRIMINALITÄT Dass Hassattacken im Internet bekämpft werden müssen, ist mittlerweile Konsens. Aber wie und in welchem Umfang – das ist strittig. Der Jurist Felix Herzog über das Strafrecht als Kommunikationsmedium und den Vorwurf der Zensur
■ ist Professor für Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Rechtsphilosophie sowie Dekan an der Universität Bremen. Zugleich leitet er das Bremer Forschungscenter Geldwäschekriminalität und engagiert sich gegen Rechtsradikalismus. F.: Jan Zier
INTERVIEW JAN ZIER
taz: In der Politik kursiert der populäre Satz „Was offline verboten ist, muss auch online verboten sein“. Sehen Sie das auch so, Herr Herzog?
Felix Herzog: Ja, in der Welt des Internet haben Betroffene viel weniger Chance, auszuweichen oder sich dagegen zu wehren, dass sie Opfer von Hassattacken werden. In Facebook ist man schutzlos ausgeliefert, während man im realen Leben bestimmte Orte meiden kann.
Aber die Frage ist ja: Verboten nach welchem Maßstab? Vieles, was hier strafbar ist, ist in anderen Ländern zulässig, bis hin zur Leugnung des Holocaust.
Das ist stets das Argument: Die Täter weichen auf Server in anderen Staaten aus. Juristisch ist das Problem aber leicht zu lösen: Es kommt nicht darauf an, wo der Server steht, sondern wo eine Äußerung einschlagen soll. Dazu gibt es auch schon Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, aus Anlass von deutschen Hooligan-Auftritten in Warschau, die mit der Ausstrahlung in Deutschland rechneten.
Das Ziel lässt sich aber nicht immer so genau ausmachen wie da. Wie begegnet man dem?
Juristisch, indem man ein Verfahren einstellt, wenn man den Täter nicht erreichen kann.
Aber haben wir nicht trotzdem das Problem, dass Strafrecht in nationalen Kategorien denkt, das Internet aber nicht?
Ja, aber das ist deutlich besser und anders geworden. So gibt es jetzt einen bindenden EU-Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Ob es dann in der Realität nicht doch große nationale Unterschiede gibt, ist eine andere Frage, gerade wenn man sich die Hetze gegen Sinti und Roma in Italien anguckt. Aber es gibt einen europäischen und auch internationalen Konsens – ohne dass man da von Zensur sprechen kann. Aber ich mache mir keine Illusionen: Man hat noch nie ein soziales Problem mit Strafrecht gelöst. Und es hat auch geringe generalpräventive Wirkung. Aber Strafrecht ist ein Kommunikationsmedium, das signalisiert: Jetzt nehmen wir das gesellschaftliche Problem richtig ernst.
Viele Netzaktivisten setzen eher auf soziale Kontrolle.
Natürlich gibt es allerlei Mechanismen innerhalb der Internet-Community. Viele sagen, das reguliere sich dann auf ein erträgliches Level. Das ist auch in weitem Maße richtig. Aber es muss auch eine mit Autorität versehene Institution geben, die folgenreich intervenieren kann. Und das ist der Staat. Der muss ein paar Leuchttürme aufstellen, die klar machen: Das werden wir auf gar keinen Fall zulassen. Das stellen wir jetzt an den Pranger.
Oft kann man jene, die dahinter stehen, doch gar nicht ausfindig machen.
Das ist ja keine Besonderheit von Kriminalität im Internet.
Haben Sie eine Vorstellung, wie viel Hass im Internet kursiert?
In Holland gibt es eine Stelle, die so etwas sammelt – das Meldeaufkommen liegt im fünfstelligen Bereich und spiegelt trotzdem nur ein ganz kleines Segment wieder. Dennoch kann man in diesem Bereich Leuchttürme im Internet aufstellen.
Vielleicht eher: Einen Tropfen auf den heißen Stein gießen?
Wenn es nur um ein billiges Ablenkungsmanöver ginge, bei dem man ein paar Sündenböcke an den Pranger stellt und sonst passiert nichts, dann wäre das Mist. Es gibt aber Spitzen von Hasskriminalität, denen wir alleine mit sozialer Kontrolle nicht beikommen. Da brauchen wir eine andere Institution, die zwar ein Stück weit Popanz ist – aber immerhin Eindruck macht.
Wenn es effektiv sein soll, sagen viele, dann braucht es dazu chinesische Verhältnisse.
Nein, es geht nicht darum, flächendeckend Kontrolle und Verfolgung einzuführen. Man müsste nur in den exemplarischen Fällen, die einen geradezu anspringen, das Strafrecht einsetzen. Dort genügt es nicht, zu sagen: Man schreibt mal YouTube und Google an, irgendwie werden die schon vernünftig sein und alles tariert sich aus. Damit sollte sich die Staatsanwaltschaft befassen.
Die hat aber oft kaum Kapazitäten. In Berlin gibt es sechs Mitarbeiter in der Abteilung für Staatsschutzdelikte, aber nur einen Rechner mit Internet.
Natürlich ist das ein Riesenproblem, im Grunde ein Skandal. Es gibt offensichtlich zu wenig Ressourcen. Die Gesellschaft muss entscheiden, was sie sich das kosten lassen will.
Heißt das: Wenn etwas nicht heraussticht, ist es ungefährlich?
Nein. Da ist es dann Aufgabe der Zivilgesellschaft, etwas zu unternehmen. Aber es mit einem riesigen System von Beobachtung, Kontrolle und Verfolgung zu überziehen, wäre nicht machbar und nicht sinnvoll.
Wird am Ende nicht auch sehr viel Harmloses verfolgt?
Bei jedem Instrument staatlicher Kontrolle gibt es natürlich die Tendenz, dass sich das wie ein engmaschiges Netz über die Gesellschaft ausbreitet. Das gilt für Geldwäsche genauso wie für Terrorismusbekämpfung oder Hasskriminalität. Aber das ist kein Grund, nichts zu unternehmen. Und das Strafjustiz-System kommt mit dem Phänomen von Bagatellen eigentlich ganz gut zurecht. Am Anfang sind in den Netzen viele kleine Fische und die großen schlüpfen durch, aber auf Dauer pendelt sich das ein.
Was für Sie noch kleine Fische sind, ist für andere Zensur.
Es kursiert da oft ein naiver Liberalismus, der sich in sehr verkürzter Weise auf die Meinungsfreiheit beruft. Auch in den USA, die da immer angeführt werden, gibt es eine zunehmende Tendenz, Hasskriminalität auch auf der kommunikativen Ebene zu verfolgen, gerade dann, wenn eine gegenwärtige Gefahr besteht, dass Hetze in Gewalt umschlägt.
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