Kolumne Älter werden: Die Antwort

Heute schon gelinkt worden? Was ist heute noch "links"? Wie links ist "Die Linke"? Gilt rechts vor links?

"Liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links!", seit jetzt gut zehn Monaten "fließt" mir diese Anrede in meiner Kolumne flott in die Maschine. Und ich finde nach wie vor, dass das eine gar treffliche Metapher für unseren Aggregatzustand generell ist. Aber was heißt oder bedeutet uns dieses Linkssein heute in der Finanz- und Wirtschaftskrise und 41 Jahre nach der Revolte von 68 noch? Diese Zeitung mit ihrem Anspruch, "links" zu sein, bietet Ihnen ja schon länger zwei konkurrierende Weltbilder zur Betrachtung an; aktuell wieder zur Krise beim Autobauer Opel, respektive bei dessen Mutter GM USA.

Für die einen Linken im Blatt ist der Bankrott des Traditionsunternehmens - inklusive der damit verbundenen Arbeitslosigkeit von jetzt noch 26.000 Beschäftigten - der rechte (linke) Weg. Die anderen Linken wollen Opel mit Milliarden Euro aus der Staatskasse respektive aus unserem Säckel vor dem Ruin retten.

Gute Argumente führen beide Parteien an. Und die führten auch schon die Pazifisten und die Bellizisten post 9/11 in face of THE WAR AGAINST TERROR ins Felde - unter dem Dach der linken Holding taz.

Welche Haltung aber ist jetzt left today? Wir (im Blatt) machen es wie Sie daheim. Wir schlagen uns entweder auf eine Seite oder nennen einfach die (dialektische) Methodik "links"; und die ganze Vielfalt der Meinungen Pluralismus. Das klingt auch irgendwie links, auch wenn eine klassische Synthese nicht in Sicht ist. Vielleicht passt ja die Gesäßgeografie aus den blutigen Jahren nach der Französischen Revolution von 1789 - die Radikalen (Halsabschneider) saßen im Konvent links, die Gemäßigten (Weicheier) rechts - ohnehin nicht mehr so recht in unsere Zeit. Die Welt ist aus den Fugen; und nicht mehr nur Dachdecker, sondern auch Banker stürzen ab - und landen dann (anders als die Dachdecker) weich auf ihren mit Abfindungen in Millionenhöhe gut gepolsterten Betten.

Und wie halten Sie es ganz aktuell mit dem Linkssein, liebe Freundinnen und Freunde von My Generation? Natürlich sind auch Sie irgendwie taz. Bin ich (noch) links, wenn ich einen kleinen Corsa von Opel fahre? Oder bin ich nur (noch) links, wenn ich gar kein Auto mehr fahre und stattdessen die Überwachungsbahn (mit Verspätung) nutze. Und bin ich gar eine rechte Sau, wenn ich früh am Morgen mit Freude im Herzen in meinen Benz steige? Dabei war Autofahren einmal ein emanzipatorischer, also linker Akt. Man konnte sich endlich fortbewegen wie die Herrschaften, deren Kutschen unsere Klasse zuvor mit Schlamm bespritzt und deren Pferde sie niedergeritten hatten. Aber Herrschaftszeiten (!) herrschen ja leider immer noch.

Exkurs: Ist eigentlich "die Linke" - also die Partei - links oder heißt die nur so? Vertritt "die Linke" wirklich aktuelle linke Inhalte? Oder die von (vor-)gestern? Und wie nennt man die Linken, die nicht in "der Linken" organisiert sind? Auch darüber wird im Blatt diskutiert.

Was war die Welt noch einfach, als es zu Zeiten von UNS Freien Radikalen der Fachschaft Geschichte schlicht hieß: WIR gegen DIE. Man war selbstverständlich links, als Gegenentwurf zu DENEN. Und heute? Da sind wir alt und klug genug, um das Linkssein, wenn auch nicht mehr so allgemein verbindlich - also reduziert (weil wir ja an vielem auch zweifeln) - interpretiert, weiter zu schätzen. Das pragmatische Linkssein heute manifestiert sich in einem antirassistischen, soziale Ungerechtigkeiten anprangernden, die Umwelt bewahren wollenden, individuelle Freiheiten - und die die Übernahme auch einer kollektiven Verantwortung für ein demokratisch strukturiertes Gemeinwesen - propagierenden, jede Form von Totalitarismus und politischen und religiösen Fundamentalismus geißelnden und einem humanistischen Weltbild huldigenden, nichtreligiösen Glaubensbekenntnis. Und was heißt das jetzt für Opel? Keine Ahnung.

Raus: Daimler Benz C 200.

Rein: Opel Corsa plus Abwrackprämie für den Benz. (Hey, Leute, war nur ein Witz!)

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