Kommentar Winnenden-Konsequenzen: Deutschland, deine Schützen

US-Waffenfetischismus wird gerne belächelt - dabei sind deutsche Schützenvereine nicht weit von ihrer Logik entfernt.

Man kann in Deutschland viele Dinge verändern, wenn der politische Wille nur stark genug ist. Immerhin hat das Land nach vielen Verrenkungen eine Art Rauchverbot eingeführt, unter 18-Jährigen den Besuch von Sonnenstudios untersagt und den Kauf von Alkoholika eingeschränkt. Jedes dieser Verbote entbehrt nicht einer gewissen Begründung. Aber den privaten Besitz von Waffen verbieten oder diese wegschließen? Keine Knarren, keine Amoktoten, lautet die simple Logik, der man sich nicht verschließen kann. Geht das?

Die Forderung wird bedauerlicherweise folgenlos bleiben. Denn Schießen zählt in Deutschland zum Brauchtum. Mehr als 1,5 Millionen Deutsche gehen dieser als Sport oder Tradition qualifizierten Freizeitbeschäftigung nach. Sie veranstalten unzählige Schützenfeste, betreiben tausende Schießanlagen, gewinnen Goldmedaillen im Biathlon und kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Mit Verwandten und Freunden zählen sie sechs bis zehn Millionen, sind wohlorganisiert und bis in die kleinste Kommune hinein verankert. Nicht einmal eine so randständige Partei wie die Grünen wagt es deshalb derzeit, die Forderung nach einem Waffenverbot offensiv voranzutreiben - die Bundestagswahlen lassen grüßen.

Doch es geht nicht nur um Wahlen und Zahlen. Brauchtum zählt zu einem der stärksten Pfeiler der Gesellschaft. Jahrhundertealte Bräuche sind Teil der Definition des eigenen Wir. Traditionen infrage zu stellen hieße, an den Grundfesten der Gemeinschaft zu rütteln. Schließlich geht es nicht um den gesundheitsschädlichen Besuch eines Sonnenstudios, sondern um die archaische Überlieferung vom starken, wehrhaften Mann. Es geht um die soziale Funktion des Vereins, um Vereinsabende, Grillfeste und Besäufnisse unter dem Zeichen der Knarre.

Das muss so bleiben, wie es ist - und da zeigen sich die Deutschen in guter Gesellschaft. Der Waffenfetischismus in den USA wird hier gerne belächelt, die Tatsache, dass jeder US-Bürger ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf ein Mordwerkzeug hat, kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Dabei sind wir mit dem Schützenverein um die Dorfecke gar nicht so weit von dieser Logik entfernt.

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Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024

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