Debatte FDP: Die Unentschlossenen

Paradoxe Effekte des Finanzcrashs: Die FDP legt in der Krise zu, und die Linkspartei tut sich schwer damit, von der Krise zu profitieren. Warum eigentlich?

Zu den scheinbar paradoxen Effekten der Finanzkrise gehört, dass die FDP von ihr zu profitieren scheint, während die Linkspartei in der Wählergunst stagniert. Das ist erstaunlich, irgendwie auch ungerecht.

Die FDP war Wortführer des ungebremsten Kapitalismus, der das ganze Debakel verursacht hat. Die Linkspartei hingegen hat das Unheil immer schon kommen sehen. Sogar Oskar Lafontaines Rücktritt als Finanzminister 1999 erscheint im Lichte des globalen Finanzcrashs nicht mehr als Flucht vor den Zumutungen des Regierens, sondern als realistische Einsicht des unerhört Klügeren.

Nun aber scheint die Linkspartei unter ihrem Erfolg zu leiden. Was sie wollte - mehr Staat, mehr Regeln für die Märkte - ist derzeit zumindest auf der verbalen Ebene Allgemeingut. Der regelsetzende Nationalstaat, den viele angesichts von übermächtigen globalen Märkten zum Auslaufmodell erklärt hatten, ist in der Krise mit Aplomb als letzter handlungsfähiger Akteur wiedergekehrt. Von antizyklischer Konjunkturpolitik redeten bis vor sechs Monaten nur ein paar unverzagte linkskeynesianische Wirtschaftswissenschaftler, die von ihren Kollegen nicht mal mehr bekämpft, sondern nur noch belächelt wurden. Jetzt ist antizyklische Konjunkturpolitik global alternativlos - auch wenn Merkel, Sarkozy & Co. sie eher als Notbremse nutzen.

So ist der Linkspartei für den Moment ihr Alleinstellungsmerkmal abhanden gekommen. Außerdem bewegt die SPD sich sanft nach links. Steinmeier will mit Staatsknete Opel retten, Steinbrück ernsthaft Steuerflucht verhindern. Auch bei den Gewerkschaften, die Schröder mit der Agenda 2010 in die Arme der Linkspartei trieb, macht die SPD Boden gut. Für die Linkspartei, die im Westen noch ein instabiles Gebilde ist, kann das gefährlich werden. Ohne Agenda 2010 wäre Lafontaine Rentner in Saarbrücken, die PDS eine ostdeutsche Regionalpartei.

Die Linkspartei tut sich schwer, auf die Krise und diese ungemütliche Lage Antworten zu finden. In ihrem Wahlprogramm blinkt sie einerseits Richtung Realität. So will sie "kleinere und mittlere Unternehmen mit einer passfähigen Steuer- und Förderpolitik gezielt unterstützen". Das klingt nicht nach antikapitalistischem Barrikadenbau, sondern eher nach dem tastendem Versuch, sich der Gesellschaft zu öffnen. Überhaupt spart das Programm Umsturzrhetorik weitgehend aus. Die Linkspartei ist, gerade im Osten, immun gegen staatssozialistische Rückfälle und will keinen VEB Opel. Aber was dann?

Viel, viel Geld verteilen: mit 100 Milliarden Euro für einen Zukundsfonds will sie 2 Millionen Arbeitsplätze schaffen, Hartz IV nicht mehr bloß auf 435 Euro erhöhen, sondern gleich auf 500 und keinen Mindestlohn von 8,71 Euro, sondern gleich von 10 Euro. Bezahlen sollen die Reichen. Die Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden, eine Millionärssteuer auch.

Die Linkspartei löst mit diesem neuen Maximalismus scheinbar elegant das Problem, nicht mehr klar unterscheidbar zu sein. Damit manövriert sie sich allerdings in die Falle des Populismus: Sie weckt bei ihrer Klientel, Hartz-IV-Empfängern, Arbeitslosen und Geringverdienern, Erwartungen, die sie niemals erfüllen kann. Seriös wäre, das Machbare im Blick zu behalten; also konkret zu zeigen, wie, mit welchen Übergangsfristen man auch im Osten 8 Euro Mindestlohn verwirklichen will, ohne dass dabei Jobs auf der Strecke bleiben.

Ähnliches gilt für die Steuerpolitik. Millionärssteuer klingt erstmal ziemlich gut: Wer ist schon Millionär? Und es stimmt, dass die Kluft zwischen Reich und Arm unter Rot-Grün gehörig gewachsen ist. Nun sollen eben die Reichen, die vom Finanzkapitalismus besonders profitiert haben, für die Folgen zahlen. Das ist gerecht - machbar ist es so nicht.

Denn vieles sind einfach Luftbuchungen. Bis zu 80 Milliarden Euro jährlich soll eine fünfprozentige Vermögensteuer für Millionäre in den Staatshaushalt spülen. So steht es in einem Bundestagsantrag der Linksfraktion. Das ist schlicht unrealistisch. Eine Steuer in dieser Höhe hätte vor dem Bundesverfassungsgericht kaum Chancen. Eine verfassungskonforme Vermögensteuer in Höhe von einem Prozent würde, laut einer Studie des DIW, dem Staat etwa 16 Milliarden Euro bringen. Aber Millionärssteuer und 80 Milliarden klingt knalliger.

So ist die Linkspartei dabei, das richtige Anliegen, die soziale Kluft zwischen oben und unten zu verringern, eigenhändig zu blamieren. Robin Hood wäre halt kein guter Finanzminister gewesen. Außerdem ist der Versuch, mit propagandistischen Knalleffekten die Wut auf Banker und Millionäre für die Partei nutzbar zu machen, kurzsichtig. Denn damit verschwendet die Partei eine Ressource, die bei ihr ohnehin Mangelware ist: das Zutrauen der Wähler, dass die Partei nicht bloß Probleme klar benennen, sondern auch lösen kann.

Die Linkspartei hat im Westen, in Niedersachsen und sogar zweimal in Hessen bei Landtagswahlen beachtliche Erfolge erzielt. Es gibt aber eine Tendenz, die Linkspartei-Strategen beunruhigen muss. Sie taucht fast nie in aktuellen Umfragen auf, ist aber für die Aussichten entscheidend. Im Sommer 2008 konnten sich 60 Prozent der Wähler vorstellen, SPD zu wählen, 53 Prozent die Union, 41 Prozent FDP und 39 Prozent die Grünen. Die Linkspartei kommt für nur 20 Prozent der Wähler in Betracht. Andersherum: 80 Prozent lehnen die Linkspartei rigoros ab. Sie sind für die Partei schlicht nicht ansprechbar - auch nicht, wenn Lafontaine ihnen ins Ohr brüllt, dass eine Millionärssteuer 80 Milliarden Euro im Jahr bringt. Wahrscheinlich gerade dann erst recht nicht.

Diese 80 Prozent wollen in der Krise Sicherheit. Wenn der Boden schwankt, ist Verlässlichkeit eine harte Währung. Die Linkspartei ignoriert dieses Bedürfnis bislang und schraubt stattdessen Forderungen hoch. Das ist ein Grund, warum die Partei von der Krise nicht profitiert; ein zweiter ist, dass sie den Neoliberalismus allzu schlicht deutet. Für Lafontaine und Gysi ist der Neoliberalismus eine Art Geistesverwirrung, die im Interesse von Macht, Kapital und Lobbygruppen über die Gesellschaft kam. Es ist aber etwas komplizierter. Mit dem Neoliberalismus gingen neben den bekannten Verheerungen auch individuelle Freiheitsgewinne einher. Nur deshalb war er so erfolgreich. Die Lebensstile sind vielfältiger, offener und unsicherer geworden, die Arbeitswelt ist zerklüftet. Mag sein, dass vieles in den 70er-Jahren einfacher war, als Männer von 18 bis 65 im gleichen Job und Betrieb arbeiteten. Aber wenn die Linkspartei dies zu ihrem Ideal macht, dann wird sie als Traditionskompanie der alten Industriegesellschaft enden. Und untergehen.

Die Linkspartei befindet sich noch immer in einer Art Getto. Dieses Getto ist sehr schnell sehr viel größer geworden, auch weil die Partei mit Lafontaine einen begnadeten Frontmann hat. Sprengen kann die Partei dieses Getto nur, wenn sie seriöser wird und komplexer und realistischer denkt.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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