die wahrheit: Auf dem Schokobrecher

Wo ist die Schokonusspassage? Expedition auf einem Schiff der Zartbitterklasse

Die Besatzung setzt alles daran, dass auch in Zukunft so nette Schoko-Osterhasen möglich sind. Bild: reuters

In Choconut Bay war das Gewässer noch schiffbar gewesen. Zähflüssig zwar, aber es treiben nur wenige massive Schokoladeplatten hier vor Hershey-Island, trotz eisiger Temperaturen und der Nähe zum nördlichen Polarkreis, rund 1.300 Kilometer vom Nordpol entfernt. Doch jetzt, am vierten Tag ihrer Fahrt, trifft die "Stollwerck", ein Schokobrecher der Zartbitterklasse, auf feste Schokolade. Das Schiff wird durch harte und heftige Stöße erschüttert. Es rumpelt, ächzt und stöhnt. Die "Stollwerck" zittert, das Kajütenbett wankt. Und das ist erst der Anfang.

Kapitän Klaus Feddersen, ein Seebär alter Schule, ist im Auftrag der kanadischen Regierung unterwegs. Er soll die sagenumwobene Schokonusspassage erkunden, dieses Labyrinth aus Inseln, Buchten und engen Fahrrinnen im Norden Kanadas, einen der letzten weißen Flecken auf den Karten der Weltmeere. Hier werden riesige Schokoladevorkommen vermutet, die die Versorgung der Weltbevölkerung auf Jahrzehnte sicherstellen könnten. Gerade heute, wo die zentraleuropäischen Schokoressourcen zur Neige gehen und selbst die lange Zeit als unerschöpflich geltenden Schweizer Schoggibergwerke nahezu vollständig ausgebeutet sind, gewinnt diese schwer zugängliche Region an Bedeutung. Und es sind viele Nationen, die sich ihr Stück vom arktischen Schokokuchen sichern wollen - Russen, Amerikaner, Japaner und auch Chinesen wollen hier ihren Claim abstecken. Aber nicht jedes Land verfügt über geeignete Erkundungsschiffe. Deshalb ist die "Stollwerck" hier, 120 Meter lang, 24 Meter breit, 11.400 Tonnen schwer, die Königin der Schokoladenbrecher. Käptn Feddersen hat mit ihr schon acht Meter dicke, massive Blockschokolade gemeistert. Da können selbst die Amerikaner und Russen mit ihren atomgetriebenen Schiffen nicht mithalten.

Heinz Eggimann lässt sich mit dem Helikopter vorausfliegen, um die Lage zu sondieren. Denn es ist keineswegs ausgemacht, ob nicht doch noch ein riesiger Schokoberg auftaucht und die Weiterfahrt verhindert - die kaum sichtbaren Mandelsplitter, die den Rumpf des Schiffes aufschlitzen könnten, sind in dieser gottverlassenen Einöde lebensgefährlich. Der Schweizer ist der Schokobeobachter der "Stollwerck" . Früher, sagt Eggimann, sei die mehrjährig gefrorene Schokolade hart wie Beton gewesen. Der sei selbst die "Stollwerck" ausgewichen. "Aber seit ein paar Jahren treffen wir immer öfter auf Schokolade, die richtig mürbe und weich ist. Schauen Sie dort unten", er zeigt auf eine endlos scheinende, tiefbraune Fläche, "da sieht man schon ganz deutlich die Sprüngli." Der sympathische Schoggikenner aus St. Gallen lacht sich schief über seinen Spitzenkalauer, aber dann wird er wieder sehr ernst. "Wenn das mit der Erderwärmung so weiter geht, gibt es irgendwann keine feste Schokolade mehr, dann müssen wir alle auf Trinkschokolade umsteigen." Eine Horrorvision für den Liebhaber von handgeschöpfter Herrenschokolade. Aber ganz so schnell wird dieses Szenario wohl noch nicht Realität werden.

"Manche dieser Kanäle sind schon eine echte Herausforderung", gesteht der gewiefte Fahrensmann Feddersen, der seit 35 Jahren dabei ist. Mit ernstem Gesicht steht der Kapitän auf der Brücke, immer dickere Schokoladeplatten nehmen sein Schiff in die Zange. Er befährt jetzt die Cadbury-Straße, eine Meerenge zwischen der Wissoll-Halbinsel und der unendlichen arktischen Landmasse. Die Küsten auf beiden Seiten kommen immer näher. An der schmalsten Stelle ist der Seeweg nur 400 Meter breit, aber der "Stollwerck" bleiben nur 120 Meter, die tief genug sind zum Navigieren. Es knirscht, das Schiff rammt vier Meter dicke, mehrjährige Blockschokolade. Die braune Masse bricht zunächst auseinander.

Gigantische Schokoladeplatten türmen sich krachend auf. Schieben sich splitternd übereinander und fallen dann mit Getöse in sich zusammen. Dann geht plötzlich nichts mehr - wir sitzen fest. Eingeschlossen in vier Meter dicker Blockschokolade. Kapitän Feddersen nimmt erst einmal einen tiefen Schluck aus der Rumbuddel, dann legt er den Rückwärtsgang ein. Und dann volle Kraft voraus. Mit der eindrucksvollen Wucht von 36.000 PS schiebt sich das Schiff auf die gefrorene Schokomasse, röhrt und ächzt. Nach endlos scheinenden Minuten des zähen Ringens schneidet der Bug des Schiffes im Zeitlupentempo durch das braune Gold. Containergroße Schokoladeblöcke kippen taumelnd zur Seite. Die "Stollwerck" stampft unbeirrt und triumphierend voran. Auch auf dieser Fahrt wird ihre hoch motivierte Besatzung alles daran setzen, dass wir auch in Zukunft genügend Schokolade zwischen die Zähne kriegen.

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