Kolumne Geschöpfe: Vom Seelenmann und Seifensieder

Auf dem Land sind die Besucher doch anders als in der Stadt. Der Regen übrigens auch.

"Es ist wieder keine Menschenseele auf der Straße", sage ich zu dem freundlichen kleinen Mädchen, das mich manchmal hier auf meinem Landsitz besucht. Es ist früh am Morgen, wir stehen gemeinsam am Fenster und starren trübe in den Landregen. Fett und strähnig fegt er die Wege frei, lockt die Nacktschnecken raus und geht auf die Weiden und Wiesen nieder. Mit Tropfen so dick, dass unter ihrem Aufprall die Knospen der Pfingstrosen nicken wie getroffene Boxer. Dabei klingt "Landregen" so nett und natürlich, ganz anders als sein neurotischer und wahrscheinlich drogensüchtiger Bruder "Stadtregen". Das freundliche kleine Mädchen antwort nicht. Es ist vier Jahre alt und übt gerade das Starren.

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Hier gibt es nur selten Besuch. Neulich aber stand da eine Frau mit Lederjacke und Pferdeschwanz vor der Tür und flötete: "Hallo, der Scherenschleifer ist da!" - "Endlich!", hätte ich ausrufen müssen: "Ich warte schon seit dem Winter! Kommen Sie rein, die Gartenschere hats besonders nötig!" Dazu fehlte mir die nötige Geistesgegenwart, weil die Scherenschleiferei in meinem Leben eine bisher eher nachgeordnete Rolle spielte. Was kommt als Nächstes? "Gott zum Gruße, ich bin der Seifensieder! Wie meinen? Keinerlei Seifen zu sieden? Dann will ich mich spornstreichs wieder des Weges machen, guter Mann, denn dort vorne löscht bereits der Gaslaternenwächter die Gaslaternen und der Kutscher wartet nicht." Was vernünftig wäre, denn nachts streichen knurrend die Waschbären um die Häuser.

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Vormittags, kaum spannt sich der rustikale Landregenbogen, mischt sich in das übliche Duett von Flieder und Kirschlorbeer ein irritierender Anflug von Steinöl, Petroleum, vulgo: Benzin. Wie kann das sein? Die Leute hier fahren eigentlich nur blitzsaubere Ökomobile, die von ihrem eigenen guten Gewissen angetrieben werden. Später trägt der Wind den weinerlichen Gesang eines Rasenmähers herüber, es wird wohl ein zweitaktender Einzylinder betankt worden sein. Rasenmähen wird unterschätzt. Mensch, Technik, Natur, Kurven, Vibrationen, Insekten - es unterscheidet sich nur durch die fehlende Schräglage vom Motorradfahren. Und es ist gefährlicher, wie im herrlichen Handbuch meines maoistischen "Lawny 250" angedeutet wird: "Nackte Zehen gefährden Klänge. Vorsicht trägt immer festliches Schuhwerk."

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Nachmittags dann schleppt dieser nimmermüde Lastesel von Wind auch noch den schweren Bratenduft einer fernen Grillerei in meinen Garten. Grillen wird überschätzt. Qualm, Blut, Brandsalbe. Wer grillt, gebärdet. Tut barbarisch. Verpestet die Gegend mit dem Gestank halbverbrannter toter Tiere. Wer wissen will, wie homo erectus in den Savannen sich gefühlt haben mag, der dürfte davon im Bett, im Stadion oder am Grill eine ganz gute Ahnung vermittelt bekommen. Meine Ahnen hingegen müssen Leute gewesen sein, die, während die anderen Halbaffen das zuckende Wild herbeischleppten, ausweideten und verschlangen, scheu abseits hockten und auf schlanken Halmen kauten.

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Zwischendurch musste es mal weinen, mal lachen, mir beim Rasenmähen zusehen und schweigend die Goldfische füttern. Abends dann muss das freundliche kleine Mädchen nach Hause. Am Gartentürchen sagt es: "Es ist wieder kein Seelenmann auf der Straße." Es klingt, als wolle sie ihn decken, als wäre da in der Dämmerung tatsächlich ein Seelenmann unterwegs.

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