Kanzlerin bei RTLs "Town Hall Meeting": Sprechstunde mit Dr. Merkel

Die Bundeskanzlerin stellte sich in einer Fernsehsendung den Fragen der Bürger und startete damit ihren Marathon durch die Medien - aber wird ihr das nützen?

Na, Bürger, wo drückt der Schuh? Kanzlerin bei RTL. : dpa

So geht es seit Wochen. Heute eine Fernsehaufzeichnung bei Sandra Maischberger, anschließend Wahlkampfreden in Würzburg und Frankfurt. Am Montag sprach sie erst vor einem Wissenschaftsverband, dann auf Parteiveranstaltungen in Dessau und Wolfsburg. Den vorigen Freitag hatte sie auf Ausstellungseröffnungen in Westdeutschland verbracht, nachdem sie in den Tagen zuvor schon Kongresse von Verbraucherschützern, Oberbürgermeistern und der parteinahen Adenauer-Stiftung beehrt hatte. Unter anderem.

Angela Merkel (CDU) absolviert in diesen Tagen ein Pensum an medialen Auftritten, das selbst ein Gerhard Schröder (SPD) in seinen besten Zeiten kaum bewältigt hätte. Den Amtsvorgänger nannte man den Medienkanzler. Doch hatte Schröder nach seinen ersten Auftritten mit Brioni-Anzug und bei Thomas Gottschalk rasch gelernt, das man es mit der Dauerpräsenz in der von ihm so genannten Glotze auch übertreiben kann. Er dosierte seine Auftritte in Talkshows fortan mit Bedacht und versuchte den Eindruck zu erwecken, in Berlin werde gelegentlich auch mal regiert.

Bei Merkel war es umgekehrt. Bis zum Wahljahr 2005 galt sie als absolut nicht telegen. Dann verwandelte sie Frisur, Gesicht und Garderobe binnen kurzer Frist ganz radikal; ein inneres Strahlen über die von Schröder anberaumten Neuwahlen kam hinzu. Ihre Redekunst galt aber nach wie vor als schwach entwickelt, weshalb sie wortlose Auftritte vorzog: Fotos im Kreis internationaler Staatsmänner, hübsche Bilder von einer Bildungsreise durch die Republik.

Nach Krisenausbruch schienen sich die Vorbehalte zu bestätigen. Die Regierungserklärungen im Bundestag, die abzugeben sie beinahe im Wochenrhythmus genötigt war, wurden als matt und uninspiriert bewertet. Selbst Getreue begannen an Merkels Künsten zu zweifeln. Man wartete, wie schon bei Schröder, vergeblich auf die "große Rede".

Dann setzte sich in ihrem Umfeld die Erkenntnis durch, man müsse die Krise "erklären". Das fügte sich aufs Beste mit dem schon längst gehegten Plan, die Kampagne für die Bundestagswahl ganz als Personenwahlkampf anzulegen. Und siehe da: Es schien zu funktionieren. Was auf dem CDU-Parteitag vom Dezember noch belächelt wurde, die Rede von der "schwäbischen Hausfrau", war nun plötzlich das Erfolgsmodell.

Es kam an, wie Merkel in ihrem brandenburgischen Tonfall die Welt erklärte, bisweilen auch frech und patzig. Von ihrem Auftritt in Rüsselsheim blieb vor allem ein Satz im Gedächtnis, den sie der versammelten Opel-Führung so ganz beiläufig entgegenwarf: "Dann strengen se sich mal an."

Perfekt passte in diese Strategie der Auftritt beim "Town Hall Meeting" des Senders RTL am Sonntagabend. Nicht rhetorisches Pathos war hier gefragt, sondern der Nahkampf mit dem Bürger. Merkel ließ sich gar nicht erst auf Grundsatzdebatten ein, sie gab praktische Lebenstipps. Sie tat es in einem Tonfall, in dem sie vermutlich auch schlampige Vorlagen von Untergebenen abkanzelt.

Einem jungen Mann, der sich über den Verlust seines Zeitarbeitsjobs beklagte, riet sie zur Berufsausbildung in einem Pflegeberuf. Eine alleinerziehende Mutter, die sich über spärliche Hartz-IV-Sätze beklagte, drängte sie zur Unterhaltsklage gegen den Vater der drei Kinder. Einer Rentnerin, die ihr Geld mit Zertifikaten der Pleitebank Lehman Brothers verlor, empfahl sie juristische Schritte gegen den Bankberater.

Einblicke ins eigene Privatleben bleiben weiterhin vorsichtig dosiert. Über ihre Fähigkeit, Kartoffelsuppe und Pflaumenkuchen zuzubereiten, waren aufmerksame Zeitungsleser längst im Bilde. Auch über Rouladen und Fisch hatte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) nach Einladungen ins uckermärkische Ferienhaus schon geplaudert. Auf eine Frage nach den Arbeitsbedingungen deutscher Hochschulprofessoren deutet sie an, dass sie mit der Problematik durch ihren Mann vertraut sei.

Der problematischen Seiten der medialen Dauerpräsenz scheint sich Merkel bewusst zu sein. Sie hat jedenfalls das Repertoire ihrer Jacken, von denen sie bislang nur wenige besaß, um neue Exemplare erweitert - ohne allerdings den Schnitt zu verändern. Die Ermüdung, die immer gleiche Textbausteine auf Dauer auslösen könnten, wird sie damit kaum eindämmen können.

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