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Ex-Studentenführer über Chinas Staatsmodell"Zwei winzige Schritte"

Dass westliche Modelle nicht für China passen, hält der ehemalige Studentenführer Wuer Kaixi für Unsinn. "Die Chinesen sitzen auf Sofas, nicht weil sie westlich, sondern weil sie bequem sind", sagt er.

"Wir haben uns betäubt, spielten Mahjong und lernten wie die Verrückten Englisch, weil wir ins Ausland wollten." Bild: dpa
Jutta Lietsch
Interview von Jutta Lietsch

taz: Herr Wuer Kaixi, bereuen Sie etwas?

Wuer Kaixi: Ich bedauere nicht, was wir getan haben. Ich glaube, unsere Bewegung hat eine enorme Bedeutung für China gehabt. Aber würde ich noch einmal so handeln, wenn ich wüsste, dass es so blutig enden sollte? Natürlich nicht. Jedes einzelne Menschenleben ist ein zu hoher Preis.

Wer hat Sie damals beeinflusst?

Der Astrophysiker Fang Lizhi. Er war Chinas Sacharow, er war der Kopf und die Seele der Intellektuellen. Er sprach von Modernisierung, von Demokratie. Er forderte die Leute auf, in die KP einzutreten, um sie von innen zu verändern.

Wie reagierte die Partei?

Sie stellte ihre eigenen Interessen in den Vordergrund. Als sie 1987 den populären Generalsekretär Hu Yaobang entmachtete, der Deng Xiaoping politisch zu liberal war, starb für viele in China die Hoffnung auf eine freiere Zukunft.

Auch bei den Studenten?

Ja, an den Universitäten war die Atmosphäre dunkel, bedrückt. Wir haben uns betäubt, spielten Mahjong und lernten wie die Verrückten Englisch, weil wir ins Ausland wollten. Wir tanzten auf Partys, überlegten, wie wir schnell Geld verdienen könnten, und nahmen nichts mehr ernst. Wir waren sehr sarkastisch.

WUER KAIXI

Der heute 41-jährige Wuer Kaixi ist Uigure und wuchs als Sohn eines KP-Funktionärs in Peking auf. Mit 21 schloss er sich der Studentenbewegung an und wurde einem ihrer Wortführer. Er konnte fliehen, studierte in den USA und lebt heute als Unternehmer in Taiwan.

Als Hu Yaobang im April 1989 starb, entwickelten sich aus den Trauerbekundungen die ersten Proteste.

Das war der Moment, als einige Leute sagten: Genug ist genug. Es hatte sich so viel Zorn angesammelt. Als die ersten Wandzeitungen auftauchten, war das Echo überwältigend. Wir zogen auf den Platz des Himmlischen Friedens.

Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, wenn Sie Erfolg gehabt hätten, wäre China ins Chaos gestürzt?

Alle machen sich so viel Sorgen ums Chaos. Jackie Chan …

der Hongkonger Actionfilm-Star …

… sagte kürzlich, die Chinesen brauchten mehr Kontrolle, weil sie sonst über die Stränge schlagen. Ich habe in meinem Blog geschrieben: "Bruder Jackie Chan, du machst dir zu viel Sorgen." Auch eine chaotische Freiheit ist wertvoller als ein geordneter Totalitarismus.

Die KP meint, China sei zu groß für eine Demokratie, westliche Modelle würden deshalb nicht passen.

Größe ist kein Argument. Bei der Demokratie geht es um Gewaltenteilung und um gleiches Wahlrecht für alle. Es ist Unsinn, zu behaupten, "westliche Modelle" passten nicht nach China. Wir Chinesen sitzen seit Jahren auf dem Sofa. Das ist ein sehr westliches Möbelstück, das in der ganzen Welt benutzt wird. Man sitzt nicht drauf, weil es westlich, sondern weil es bequem ist. Die wichtigsten Prinzipien der Demokratie sind individuelle Freiheit, Gleichheit, Teilhabe, Meinungs- und Gedankenfreiheit. Sagen Sie mir: Welche dieser Prinzipien gelten nicht für Chinesen?

Was muss geschehen, damit China demokratisch werden kann?

1989 wollten wir das Land nicht über Nacht verändern. Wir wollten die Kommunisten nicht stürzen. Wir haben damals noch nicht einmal geglaubt, dass freie Wahlen möglich seien. Wir wollten zuerst nur zwei winzige Schritte gehen: Wir verlangten erstens das Recht auf Versammlungsfreiheit, auf unabhängige Studentenvereine. Und wir forderten zweitens eine freie Presse. Wir glaubten, mit Pressefreiheit und legalen eigenen Organisationen könnten wir das polnische Modell der Solidarnosc-Gewerkschaft kopieren.

China hat sich in den letzten 20 Jahren geändert.

Richtig. Es gibt Marktwirtschaft, Eigentumsrechte. Die Partei mischt sich nicht mehr in alle Aspekte des privaten Lebens ein. Das haben wir erreicht. Nach 1989 hatten die Chinesen ihr Vertrauen in die Regierung verloren - außer vielleicht in einigen entlegenen Regionen, wo die KP die Leute noch betrügen konnte. Sie konnte das Volk nur noch mit der Polizei und ihrem Unterdrückungsapparat kontrollieren. Deshalb hat die Partei ab 1992 die Wirtschaft liberalisiert und den Leuten ermöglicht, reich zu werden - und von ihnen im Gegenzug verlangt, politisch zu kooperieren.

Unabhängige Studentenorganisationen und Pressefreiheit gibt es immer noch nicht.

Die Regierung hat mit dem Volk einen Handel gemacht: Ihr bekommt wirtschaftliche Freiheit zuerst, dürft aber nicht politische Freiheit verlangen. Das hat bislang funktioniert - aber auf die Dauer wird es nicht reichen. Der Mittelstand wird mehr politische Rechte verlangen.

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