Kolumne Geschöpfe: In der Fliegenfalle

"I got the sucker" oder: Wie man einer Plage beikommt, ohne unmenschlich zu werden.

Neulich hatte er sich mir wieder einmal erfüllt, der alte Menschheitstraum von Fliegen. Keine Ahnung, aus welchem dunkelfeuchten Pfuhl sie alle geschlüpft sein mögen. Wie eine Horde ostdeutscher Fußballfreunde waren sie aufgetaucht, verdunkelten plötzlich den lichtdurchfluteten Wintergarten und gingen mir alsbald mit ihrem massenhaften Gesummse, Gewimmel, Kopulieren, Kacken, Eierlegen und Totrumliegen auf den Nerv. Trotzdem schreckte ich vor dem Einsatz der üblichen Massenvernichtungswaffen zurück, weil mir einer dieser weihevollen Sätze von Barack Obama nicht aus dem Kopf gehen wollte: "Ich bin der Ansicht, dass die Art und Weise, wie wir Tiere behandeln, auch reflektiert, wie wir uns untereinander behandeln."

Tatsächlich kann der gemeinen Stubenfliege, so sie denn vereinzelt auftritt, mit Respekt begegnet werden. Überdies flüstert mir mein innerer Tierschutzbeauftragter unermüdlich zu, die Stubenfliege sei ein faszinierend Wesen, das mit seinen Füßen schmeckt, die Welt aus 2.000 Perspektiven betrachtet und dabei doch nur aus einem primitiven Nervenknoten besteht. Das direkte Erschlagen kommt eh nicht in Frage, weil das Tier die Hand gleichsam in Zeitlupe auf sich zusegeln sieht und gemächlich die Flucht ergreifen kann. Der Trick besteht in jahrelangen Zen-Übungen und einer raschen Wischbewegung mit der hohlen Hand etwa zehn Zentimeter über der Fliege, die als Gewohnheitstier routiniert die Flucht ergreifen will - und eben deswegen direkt hineinfliegt. Gewöhnlich entlasse ich sie anschließend aus purem Sportsgeist und der geschlossenen Faust ins Freie.

Umso mehr erschütterte mich, was ich vor ein paar Tagen auf YouTube sehen musste: Barack Obama, wie er während eines Fernsehinterviews wiederholt von einer Stubenfliege behelligt wird. Irgendwann wird das Tier übermütig und landet auf dem langen Arm des Präsidenten, der es kalt und kurz fixiert - und kurzerhand erschlägt, um seine ninjahaften Reflexe mit der ihm eigenen Bescheidenheit zu kommentieren: "I got the sucker."

Ein reaktionsschwächerer Präsident mit einem ebenfalls nur primitiven Nervenknoten und bizarren Perspektiven auf die Welt hätte der Fliege womöglich erst ein Ultimatum gestellt und eine Koalition der Genervten zusammengetrommelt. Nicht so Obama, der seine Überlegenheit prompt und entschlossen ausspielte. Als US-Bürger würde es mich beruhigen, dass der Mann kein Weichei ist und tatsächlich einer Fliege etwas zuleide tun kann. Und, wer weiß, vielleicht wars ja gar keine Fliege, sondern eine nordkoreanische Miniaturbeobachtungsdrohne: "Lieber Führer, wir wissen nicht, was schiefgelaufen ist, a-aber: Wir haben sie verloren!"

Das Problem mit den Fliegen habe ich inzwischen auf anständige und nachhaltige Weise gelöst, indem ich eine Venusfliegenfalle im Wintergarten platzierte und somit ein kleines Ökosystem herstellte. Am Anfang habe ich ihr die Fliegen mit der Pinzette noch einzeln zugeführt wie die Beauvoir ihrem Komplizen Sartre die jungen Studentinnen. Aber das war gar nicht nötig. Die Pflanze ist sehr effektiv, sehr geduldig und sehr hungrig. Sollen das Fauna und Flora doch unter sich ausmachen.

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