die wahrheit: Die Minibänder in den Socken

20 Jahre Deutsche Einheit: Eine konspirative Begegnung mit Stephan Krawczyk in Ostberlin.

Ein Jahr vor der Wende querte ich begleitet von Freund Hänschen den Eisernen Vorhang. Der brisante Auftrag: ein Interview mit dem hochdissidenten, von den Westmedien als Biermann-Nachfolger akklamierten Liedermacher Stephan Krawczyk. Die Songs des Mannes, so weit hatte man recherchiert, waren eher wenig geeignet, ein Regime ins Wanken zu bringen. Genau genommen waren sie schrecklich: eine handwerklich solide heruntergeklampfte Mixtur aus Bettina-Wegner-Larmoyanz und frühexpressionistischen Ergüssen.

Aber was wusste man schon Genaues über die seltsame DDR, über kryptische Codes ("Vorwärts im Sinne der Hauptaufgabe"), ihre unrasierten Oppositionellen und dämonischen Staatsorgane? Eben! Das Minitonband jedenfalls brannte in meiner Tasche wie Kryptonit. Ich sah uns schon in Bautzen Tüten kleben oder imaginierte meinen alten Vater Petitionen an Genscher kritzelnd, während Mutter eine Träne aus dem Gesicht wischte und Stullenpakete schnürte.

Wir rumpelte mit der Straßenbahn durch das bröckelnde Ostberlin zum Prenzlberg, trafen den Barden in seiner Wohnung an und wurden eingelassen. Krawczyk, der gottlob nicht sang, entpuppte sich als angenehmer Zeitgenosse, servierte Kekse und füllte bereitwillig drei Bänder mit Schauergeschichten aus dem öden Zonenalltag. Dazu gabs tschechisches Bier und die Mitteilung, hier sei alles verwanzt. Zaghaft schlug Hänschen vor, den Standort zu wechseln. Das nütze auch nichts, sagte Krawczyk, die Stasi höre immer mit. Aber das Bier sei eh aus, da könne man auch in der Kneipe weitertrinken.

Sein Stammlokal hieß "Oderkahn". Die düstere Schankstelle beherbergte ein Dutzend Trinker, die sich um einen vernarbten Eichentisch versammelt hatten. Obwohl die restlichen Tische unbesetzt waren, delegierte uns die Kellnerin in die Runde der wortlos ihre Biere verklappenden Homunkuli. Mir schwante Ungutes. Nach all dem, was Krawczyk erzählt hatte, fungierte mindestens die Hälfte als IM, zwei waren depressive Alkoholiker, und der Rest musste für den KGB arbeiten. Das focht den Liedermacher aber nicht an. Salopp und lauthals führte er weitere staatsfeindliche Reden, solange bis wir zwölf große Bier und neun Schnäpse für 14 Mark Ost getrunken hatten. Mittlerweile war es elf Uhr, Zeit die bolschewistische Tyrannei zu verlassen.

Krawczyk bugsierte uns zum Bahnhof Friedrichstraße und verabschiedete sich, nicht ohne gut gemeinte, schon mit etwas schwerer Zunge vorgetragene Ratschläge, für den Fall, dass das Interviewmaterial in die Hände der Zöllner fallen sollte. Die Details habe ich vergessen. Es lief aber im Groben darauf hinaus, dass wir, falls man uns draufkäme, "echt am Arsch" wären. Dann verschwand er pfeifend in der Dunkelheit.

Ich war noch nie besonders mutig und kurz davor, das ganze Dissidentengequackel einfach in der nächsten Mülltonne zu entsorgen und dem Redakteur eine saftige Agentenkolportage aufzutischen, die man leichter Hand aus Le Carrés Smiley-Romanen und ein paar Spiegel-Artikeln zusammenbosseln würde. Hänschen schlug vor, kühlen Kopf zu bewahren und die verbleibende halbe Stunde unseres DDR-Aufenthaltes zu nutzen, um den restlichen Zwangsumtausch, summa summarum 9 Mark Ost, seiner Bestimmung, respektive dem volkseigenen Gastronomiegewerbe zuzuführen. Das leuchtete meinem Brummschädel ein.

Wir zockelten also Richtung Alex und fahndeten nach einem Lokal, konnten aber in diesem verfluchten Unrechtsstaat keine Destille entdecken, die noch offen war. Unsere zunehmend hektischeren und von wilden Flüchen begleiteten Bemühungen erweckten schließlich das Interesse eines Volkspolizisten. Das ist das Ende, dachte ich, fummelte die Kassetten aus dem Rekorder und stopfte sie mir in dem Mund, bereit, das gesamtdeutsche Dokument sofort zu schlucken und zu verdauen, bevor man uns nach Sibirien transportieren würde. Doch ehe ich mir den Magen verderben konnte, hatte Hänschen todesmutig die Initiative ergriffen und dem Vopo unser Neun-Mark-Problem entgegengelallt. Glücklicherweise war der kommunistische Büttel nicht auf Ärger aus. Knapp und wohl auch ein wenig angeekelt verwies er die beiden angeschickerten Westbürger an eine Hotelbar mit Nachtlizenz, wo man die Barschaft anstandslos gegen vier Rumcocktails tauschte. Wir kippten das klebrige Gesöff hinunter und hetzten zurück zur Friedrichstraße, was bestimmt ziemlich dämlich aussah, denn wir hatten uns die verräterischen Bänder auf der Herrentoilette der Hotelbar unter die Socken geschoben. Zu unserer Erleichterung fiel das aber überhaupt gar nicht auf. In der Schlange vor dem Grenzhaus konnte kaum noch einer geradestehen. Die Grenzer würdigten den derangierten Abgang der freien Welt keines Blickes.

Krawczyk wurde kurz darauf verhaftet und zur "freiwilligen Ausreise" genötigt. Unsere Kassetten liefen wie geschmiert. Genau wie die Lieder des Barden. Aber die Hausse dauerte nur einen Sommer. Da Krawczyk nicht halb so penetrant war wie Kollege Biermann, ließen ihn die Medien nach dem Mauersturz fallen wie eine gammelige Kartoffel, obwohl er tapfer weitersang.

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