Debatte Deutsche Exportwirtschaft: Unfairer Handel

Die deutsche Exportwirtschaft ist ein internationaler Störfaktor: Geliefert werden Lohndumping und Arbeitslosigkeit. Und die Binnenkonjunktur wird systematisch vernachlässigt.

Anfang April bot sich der besorgten Weltöffentlichkeit ein Bild der Hoffnung: Die Staatschefs der 20 größten Industrie- und Schwellenländer bliesen zum gemeinsamen Kampf gegen die tiefste Krise der Weltwirtschaft seit der Großen Depression. Insbesondere gelobten sie, dem Protektionismus abzuschwören, da der Freihandel Garant für den Wohlstand aller Nationen sei.

Doch die internationalen Handelserfolge sind oft unter Missachtung des Gebots von Fairness und gerechter Teilhabe erkauft. Gerade Deutschland als amtierender Exportweltmeister profitiert höchst einseitig von den offenen Handelsgrenzen. Denn die Bundesrepublik verkauft dem Ausland weitaus mehr Produkte, als sie selbst bereit ist, dem Ausland abzunehmen - letztes Jahr betrug der Handelsüberschuss mehr als 176 Milliarden Euro.

Hierzulande wird das als Ausdruck besonderer wirtschaftlicher Stärke gefeiert. Nüchtern betrachtet sind diese regelmäßigen Überschüsse jedoch ein internationaler Störfaktor und werden schon lange unter dem Stichwort "globale Ungleichgewichte" als Problem diskutiert. Volkswirtschaftlich gesehen bedeuten sie nämlich nichts anderes als den Export von Arbeitslosigkeit. Fachleute verweisen gern auf die hohe Produktivität, die man dem Land nicht zum Vorwurf machen könne. Doch die Exporterfolge sind auch das Ergebnis eines systematischen Lohndumpings.

Die Senkung der Sozialabgaben für Unternehmen und Arbeitnehmer, vor allem die jahrelange Lohnzurückhaltung der Beschäftigten haben für massive Kostenvorteile gegenüber dem Ausland gesorgt. So sind zwischen 2000 und 2007 die deutschen Reallöhne um rund 1,5 Prozent gewachsen, in Frankreich lag dagegen der Anstieg fast siebenmal und Großbritannien sogar zwölfmal höher.

Diese erheblichen Entlastungen der deutschen Wirtschaft haben unsere Gesellschaft in eine immer größere Schieflage gebracht: Vom Wirtschaftswachstum der letzten Jahre haben die Bezieher von Einkommen aus Gewinn- und Kapitalvermögen weitaus stärker profitiert als die Arbeitnehmer. Nicht nur, dass deswegen die Binnenwirtschaft bei uns vor sich hin dümpelt, hinzu kommt das Gefühl von immer mehr Menschen, Verlierer der Globalisierung zu sein.

Das bestätigte zuletzt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sie stellte fest, dass zwischen 2000 und 2006 die Mittelschicht in Deutschland kräftig geschrumpft ist. Und zwar nicht nur als Folge von Arbeitslosigkeit, sondern ganz besonders als Konsequenz einer Steuerpolitik, die Unternehmen und Vermögende auf Kosten breiter Bevölkerungsgruppen massiv entlastet hat. Das war zwar nicht gerecht, ist aber stets mit dem Verweis auf den globalen Standortwettbewerb als alternativlos dargestellt worden.

Mit dieser Entwicklung steht Deutschland jedoch nicht allein. In allen großen Industriestaaten schwindet die Mittelschicht, weil die Regierungen im Prinzip zu ähnlichen Mitteln wie die Bundesregierung gegriffen haben. Das Platzen der globalen Kredit- und Vermögensblase hat diesen Trend noch beschleunigt. Millionen von Mittelschichtfamilien in den USA, Großbritannien oder Spanien sind nicht mehr Besitzer von Immobilienvermögen, sondern zahlungsunfähige Schuldner, die aus ihren Häusern vertrieben werden.

Buy American!

Verarmende Mittelschichten in den Industriestaaten bedeuten einen gewaltigen Kaufkraftausfall. Die Reaktion der Regierungen in Frankreich oder den USA sind daher durchaus nachvollziehbar. So sorgte der französische Präsident Nicolas Sarkozy für EU-weiten Protest, weil er seine Staatshilfen an die französischen Autobauer ausdrücklich mit der Forderung nach einer verstärkten inländischen Produktion verbinden wollte.

Noch beunruhigender war der Versuch der Obama-Administration, in ihr Konjunkturpaket eine "Buy American"-Klausel aufzunehmen - also die Verpflichtung, mit Staatsgeldern nur Produkte von US-Firmen zu beschaffen. Nach heftiger internationaler Kritik wurde diese Klausel zwar entschärft, faktisch bekommen sie ausländische Firmen aber deutlich zu spüren. Obama und Sarkozy wollten bewirken, dass die sparsam gewordenen Konsumenten ihr Geld für einheimische Produkte und Arbeitsplätze ausgeben. Zweifellos ein gewaltiger Rückschlag für den immer wieder beschworenen internationalen Handel, die gesamte Weltwirtschaft - und höchst gefährlich für Deutschland.

Seit den 1990er-Jahren hat die einheimische Wirtschaft einen pathologischen Exportdrang entwickelt. Zwischen 1991 und 2008 ist der Anteil der Ausfuhren am Bruttosozialprodukt von rund 26 auf 48 Prozent angestiegen. Eine Quote, die von keinem anderen großen Industriestaat auf der Welt übertroffen wird. Selbst die Exportnation Japan kommt gerade mal auf 16 Prozent. Die extrem einseitige Orientierung sorgt jetzt nicht nur dafür, dass die Weltwirtschaftskrise Deutschland besonders hart trifft. Zugleich ist sie das Produkt der systematischen Vernachlässigung der Binnenkonjunktur. Diese spiegelt sich deutlich in der Entwicklung der Staatsquote, also dem Anteil der öffentlichen Ausgaben am gesamten Bruttosozialprodukt. Sie liegt schon seit Jahren deutlich unter dem Niveau vergleichbarer europäischer Industriestaaten und schlägt auf die öffentlichen Investitionen durch. Während diese 1991 netto noch rund 1 Prozent erreichten, sanken sie seither stetig ab und bewegten sich zwischen 2003 und 2006 sogar im Minus. Marode Straßen, Brücken oder ein von der Grundschule bis zur Universität unterfinanziertes Bildungssystem sind nur einige der zu besichtigenden Folgen.

Diese staatliche Investitionsschwäche wird von der politisch gehätschelten Privatwirtschaft nicht ausgeglichen. Die deutsche Wirtschaft und die Privatanleger setzen auch hier auf das Ausland. Letztes Jahr überschritt der Netto-Kapitalexport wieder die Marke 200 Milliarden Euro.

Eine Globalisierung, die auf ein Mindestmaß an Fairness und Ausgleich innerhalb und zwischen den Nationalstaaten verzichtet, ist nicht nur unmoralisch, sie ist auch volkswirtschaftlich zutiefst unvernünftig.

KOSTAS PETROPULOS

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.