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Archiv-Artikel

Wie ein Deutscher einem Tibeter die Pressefreiheit erklärt

Die Kulturstiftung Ruhr holt Kunstschätze aus tibetischen Klöstern nach Deutschland und stellt sie im nächsten Jahr in der Essener Villa Hügel aus. Gestern wurde das umfangreiche Projekt vorgestellt. Anwesend war auch der tibetische Kulturminister Jamyang. Staatsgast war er allerdings nicht

Man kann denen hier nichts vorschreiben. Die Presse ist frei, wissen Sie. Sie ist frei.

ESSEN taz ■ Die letzten Journalisten huschen gerade noch in den ehemaligen Speisesaal der Essener Villa Hügel und setzen sich an die mit förstergrünen Stoffbahnen bedeckten Tischreihen, als sich Paul Vogt vorsichtig zu seinem tibetischen Gast herüber beugt. „Die Presse ist nicht so pünktlich wie wir“, flüstert Vogt und grinst verschwörerisch durch seinen weißen Bart. Der Gast grinst zurück und nickt sich in eine dezente Verbeugung, als wolle er Vogt bedeuten, er habe alles verstanden und wisse Bescheid. Was dann folgt, ist ein Crashkurs in Sachen Pressefreiheit: „Die Presse denkt immer, sie habe die Macht über alles“, sagt Vogt. Aber man könne der Presse hier ja nicht vorschreiben, was sie zu schreiben habe. „Die Presse ist frei, wissen Sie“, grinst er und wiederholt: „Die Presse ist frei.“ Der Gast nickt.

Gestern, am späten Vormittag: Die Kulturstiftung Ruhr, zu deren Vorstand Museumswissenschaftler Paul Vogt zählt, hat zur Pressekonferenz geladen, um ihr neuestes Projekt vorzustellen: eine große Ausstellung tibetischer Kunst, zusammengesucht aus tibetischen Klöstern, zu sehen im nächsten Jahr in den einstigen Gemächern der Großindustriellen-Familie Krupp. „Einzigartig ist das“, jubelt Vogt vor gut zwei Dutzend Journalisten, einzigartig deswegen, weil man die Kunstwerke auf Reisen nach Tibet selbst habe aussuchen dürfen. Vor zwei Jahren bereits wanderte die Kuratorin der Essener Ausstellung „Tibet – Klöster öffnen ihre Schatzkammern“, Jeong-hee Lee-Kalisch, über das „Dach der Welt“, besichtigte, begutachtete, schoss knapp 17.000 Fotos und kehrte begeistert und mit zerbrochener Brille zurück. Ein Tempel-Affe hatte ihr die Brille von der Nase geklaut und weggeworfen – die Versicherung zahlte nichts.

Nun sind die Vorarbeiten abgeschlossen, die Kuratorin hat wieder eine Brille und Vogt sitzt auf dem Podium. Neben ihm Kuratorin Lee-Kalisch, sein „alter Kampfgefährte bei Ausstellungen“, der schweigsame Roger Goepper, und – und das vor allem: der tibetische Kulturminister, Herr Jamyang, ein höflicher Mann um die Fünfzig, mit Anzug, Krawatte und schlichter Brille. Zu Beginn spricht er ein paar Dankesworte, betont, wie glanzvoll Tibets Kultur sei und dass er hoffe, die deutsche Bevölkerung erhalte einen Einblick. Und er bemerkt, dass „die Ausstellung von der chinesischen Regierung genehmigt“ wurde. Dann nickt er wieder, legt die Handflächen wie zum Gebet aneinander und verbeugt sich. Von der chinesischen Regierung genehmigt – ohne deren Zustimmung wäre aus der Kloster-Schau auch nichts geworden.

Tibet, zwar als „Autonomes Gebiet“ bezeichnet, kämpft seit Jahrzehnten um seine Unabhängigkeit. Auch wenn die deutsche Bundesregierung die Autonomie Tibets unterstützt, sieht sie Tibet dennoch als Teil Chinas. Und die tibetische Exil-Regierung mit dem Dalai Lama an der Spitze ist international ohnehin nicht anerkannt. Kulturminister Jamyang allerdings ist nicht Teil dieser Exil-Regierung, er arbeitet in Tibet. Im Gegensatz zu Chinas Staatspräsident Hu Jintao, der vergangene Woche Nordrhein-Westfalen besuchte, war Jamyang kein Staatsgast. Man gebe jetzt ja nur einen ersten Einblick, begründet Vogt die Abwesenheit der Landesregierung. Im August kommenden Jahres, kurz vor Ausstellungsbeginn, werde es abermals eine Pressekonferenz geben. Dann laufe auch alles ganz offiziell ab. Und mit Rücksicht auf China könne man den Dalai Lama „selbstverständlich nur als Privatmann und nicht als Oberhaupt der Tibeter einladen“, sagt Vogt.

Aber die politische Dimension einer solchen Ausstellung ist Vogt auch gar nicht so wichtig. „Herr Vogt versucht die Politik da raus zu halten“, sagt die Pressesprecherin der Ausstellung, Claudia Holthausen. Ihm geht es nur um die Kunst, die er gerne ausführlich beschrieben wissen will in der Presse, wie er sich abschließend wünscht.

Und in Gedanken lehnt man sich vorsichtig rüber zu Vogt und sagt: „Man kann nichts vorschreiben. Die Presse ist frei. Die Presse ist frei.“

BORIS R. ROSENKRANZ