Geburtstagsgeschenk von Seehofer: Krude Thesen für die Kanzlerin

Das Geschichtsbuch, das Seehofer seiner Rivalin zum Geburtstag schenkte, sieht das Abendland am Abgrund.

Seehofer schenkt, Merkel dankt. Bild: ap

NÜRNBERG taz | Es fragt sich, ob die Kanzlerin jetzt schlauer ist. Einen Wälzer von 836 Seiten hat Horst Seehofer ihr zum Geburtstag geschenkt, damit sie ihn und die Seinen besser verstehe. Die Wahl fiel auf die "Geschichte Bayerns" des Münchener Landeshistorikers Andreas Kraus, erschienen im renommierten Beck-Verlag. Da kann man nichts falsch machen, werden sich der Parteivorsitzende und seine Mitarbeiter gedacht haben.

Kann man vielleicht doch. Der Emeritus, Jahrgang 1922, geht mit der CSU nicht immer freundlich um. Allzu modern und weltoffen erscheint dem rechtskonservativen Gelehrten die Partei, allzu oft hat sie aus seiner Sicht die Werte des christlichen Abendlands verraten.

Besonderes Stirnrunzeln dürften bei der Kanzlerin die Passagen über das Abtreibungsrecht hervorrufen. Auf den knapp bemessenen 28 Seiten, die Kraus der Zeit nach 1945 widmet, geht der Autor fast schon manisch auf das Thema ein. Besonders kritikwürdig findet er, dass die CSU im Jahr der Wiedervereinigung der vorläufigen Fortgeltung des DDR-Abtreibungsrechts nicht geschlossen widersprach.

Insgesamt befinde sich "die gesamte abendländisch-westliche Völkergemeinschaft" in einer "sozialen und moralischen Krise". Angesichts einer "demographischen Katastrophe" bestehe "wenig Hoffnung, dass die materielle Zukunft unseres Volkes, nicht zuletzt die kulturelle Identität noch zu sichern sei".

Die Lehren, die Merkel im aktuellen Streit um die Europapolitik aus dem Buch ziehen kann, sind zwiespältig. Einerseits ist Kraus ein vehementer Verfechter bayerischen Eigensinns gegen deutsche und europäische Zentralisierung. Er rechtfertigt den bayerischen Widerstand gegen das Grundgesetz, so wie er auch beim zögerlichen Eintritt ins Bismarckreich nur hehre Motive sieht. Die Zahlungen des Reichskanzlers an den bauwütigen König Ludwig II. seien keine Bestechung gewesen, sondern nur "fürstlicher Dank".

Andererseits hält er den Niedergang des bayerischen Machtanspruchs seit 1990 offenbar für unabwendbar: "Der Fortgang der Europäischen Einigung, aber auch die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland degradierte in vieler Hinsicht Bayern schlechterdings zur Provinz." Noch mehr gefallen könnte Merkel der allerletzte Satz - wäre er nur gegen Seehofer gerichtet und nicht gegen die offene Gesellschaft insgesamt. Politiker, schreibt Kraus, sollten "endlich den täglichen, widerlichen Streit ruhen lassen, der beim Volk nur zu Politikverdrossenheit führt, nie zu wahrer, aus Überzeugung gewachsener Gefolgschaft".

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