Berliner S-Bahn-Chaos: Senat rettet S-Bahn-Pfründen

VERTRAG Eigentlich hätte die Nord-Süd-Strecke 2013 vorzeitig ausgeschrieben werden können. Doch vor Kurzem tilgte der Senat diese Option aus dem S-Bahn-Vertrag.

Kein Zug? Macht nix, wir haben einen Exlusivvertrag Bild: Reuters

Angesichts des S-Bahn-Desasters fordern immer mehr Politiker, den Vertrag vorzeitig zu kündigen und ein anderes Unternehmen damit zu beauftragen. Doch Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hatte in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt: Die Kündigung des Vertrages sei rechtlich nicht so einfach - und es gebe auch keinen anderen Anbieter, der den gesamten S-Bahn-Verkehr in Berlin kurzfristig übernehmen könnte. Stattdessen setze sie alles darin, dass die S-Bahn den noch bis 2017 laufenden Vertrag so gut wie möglich erfüllt.

Die S-Bahn Berlin GmbH hat mit den Ländern Berlin und Brandenburg (nachfolgend: „Länder“) einen Verkehrsvertrag über die Bedienung der Strecken im S-Bahnverkehr geschlossen. Die Länder zweifelten an, dass die DB Netz AG auf der Grundlage des zum Vertragsschluss gültigen Trassenpreissystems berechtigt war, von der S-Bahn Berlin GmbH einen über den „Grundpreis S2“ hinausgehenden Trassenpreis zu erheben. Zur Klärung dieser Streitfrage hat einerseits die S-Bahn Berlin GmbH für den Zeitraum 1. Januar 2003 bis 7. Januar 2005 Klage gegen die Länder und andererseits die Länder für die Zeit ab dem 8. Januar 2005 bis Ende des Jahres 2017 Klage gegen die S-Bahn Berlin GmbH erhoben.

Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs wurden beide Klageverfahren beendet. Die Länder werden in diesem Zusammenhang ihre vertraglich vorgesehene Option, die Nord-Süd-Verkehre mit Wirkung zum Fahrplanwechsel 2013/14 zu kündigen und im Wettbewerb zu vergeben, nicht ziehen. Darüber hinaus wurden weitere Angebote zur Ausweitung der Verkehrsleistungen abgegeben und Vereinbarungen zur Steigerung der Qualität (mobile Kundenbetreuer und neue Fahrausweisautomaten) getroffen.

(...)

Die Position „Bestellung der Länder“ enthält Bestellerentgelte für 2008 in Höhe von 255.206 T€ (im Vorjahr: 243.436 T Euro) sowie periodenfremde Umsatzerlöse aus der Auflösung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten durch den Abschluss des Vergleichsvertrages mit den Ländern Berlin und Brandenburg in Höhe von 13.473 T Euro.

Was bisher nicht bekannt war: Der Vertrag mit der S-Bahn sah ursprünglich die Option vor, die Linien S 1 und S 2, die von Norden über die Friedrichstraße und den Potsdamer Platz nach Süden fahren, zum Fahrplanwechsel 2013/2014 zu kündigen. Die Strecke hätte neu ausgeschrieben werden können. Es wäre viel leichter gewesen, einen neuen Betreiber nur für diese Teilstrecke zu finden als gleich für das ganze Netz.

Doch vor gut einem halben Jahr hat Junge-Reyer mit der S-Bahn vereinbart, auf die Option zur Kündigung zu verzichten. Vorausgegangen war ein Rechtsstreit zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg auf der einen Seite und der S-Bahn auf der anderen Seite. Es ging um die Frage, wie viel Geld die Deutsche Bahn, zu der die S-Bahn gehört, dafür erhält, dass die S-Bahn auf ihren Trassen fährt. Das Geld wird laut Vertrag am Ende von den Ländern bezahlt.

Doch anstatt ein Urteil abzuwarten, schlossen die Länder mit der S-Bahn Ende 2008 einen Vergleich. Das wurde damals nicht bekannt gegeben; aber in dem inzwischen veröffentlichten Geschäftsbericht der S-Bahn für 2008 stehen einige Ergebnisse des Vergleichs. Offenbar setzte sich die S-Bahn weitgehend durch: Sie konnte jedenfalls Rückstellungen von knapp 13,5 Millionen Euro auflösen, die sie für den Fall einer juristischen Niederlage angelegt hatte.

Die Länder setzten dafür neue Fahrausweisautomaten und mehr mobile Kundenbetreuer durch. Im Gegenzug verzichteten sie auf die vorzeitige Kündigung der Nord-Süd-Strecke. Junge-Reyer sagte dazu am Montag: "Wie man das so macht vor Gericht, hat man sich gleich in mehreren Punkten geeinigt." Ob sie heute den Vergleich wieder so abschließen würde? "Allerdings!", so Junge-Reyer. Den Vertrag mit der S-Bahn will sie aber in einem anderen Punkt nachverhandeln: So sollen höhere Strafzahlungen möglich sein, wenn die Leistung der S-Bahn qualitativ zu schlecht ist.

Derzeit ist die S-Bahn nur noch mit einem Drittel ihrer Flotte unterwegs. Ab 10. August sollen gut sechs Züge pro Woche aufgestockt werden. Erst ab dem 1. Dezember will die S-Bahn ihren Fahrplan wieder voll und ganz einhalten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.