Kolumne Geschöpfe: Lasst es sein!

Frühmusikalische Erziehung: Wie Rolf-Zukowski-Tonträger möglichst unauffällig vernichtet werden und sein Kind am Besten mit Slayer und den Beatles konfrontiert.

Kinder halt. Hach. Das eigentlich Problem mit uns atheistischen Eltern ist, dass wir uns vor lauter zärtlicher Anbetung fortwährend bedanken wollen - und nicht mehr wissen, bei wem. Deshalb schreiben neuerdings vor allem ohnehin schreibende Väter naheliegenderweise über ihren eigenen Nachwuchs. Sie könnten ihn auch fotografieren, das wäre ähnlich unanständig. Dennoch lässt sich fröhlich und heiter ratgebend losplappern über Ernährung oder Erziehung, über irgendwas, egal. Wie wär's mit der frühmusikalischen Entwicklung? Melodien, Harmonien, Pop! Ganz heißes Eisen! Zumal die Kleinen, etwas größer geworden, garantiert eine Musik finden werden, mit der sie selbst die aufgeschlossensten Eltern in den Wahnsinn treiben können.

Da gilt es, frühzeitig die Räume eng zu machen. Was ich anpackte, indem ich dem Kinde zunächst die von gutmeinenden Freunden geschenkten Frederick-Wahle-und Rolf-Zuckowski-Tonträger zum Spielen reichte, sie damit der sicheren Vernichtung preisgab - und ihm stattdessen anhand eines sorgsam eingerahmten Beatles-Fotos von Richard Avedon geduldig erklärte, woher die kleinen Lieder wirklich kommen. Inzwischen deutet sie meistens auf das schnurrbärtige Gesicht von George Harrison und deklamiert eifrig "Diebiedels", was ich als ersten Erziehungserfolg werten könnte, wenn ich wollte. Weiter geht's mit ausgesuchten Scheußlichkeiten aller Genres. Ohne Erfolg. Das apokalyptische Gedonner am Ende von "Raining Blood" auf dem Slayer-Album "Reign In Blood" beispielsweise hält sie, wie süß, für ein echtes Gewitter. Recht kalt hingegen lässt sie auch Olivier Messiaens nicht unanstrengendes "Quartett für das Ende der Zeit", nur wenn im dritten Satz ("Abgrund der Vögel") diese irrlichternde Klarinette harmlos heranschwebt und dann tückisch direkt ins Rückenmark sägt, hebt sie für ein knappes Urteil beide Augenbrauen und einen Finger: "Kaputt". Und neulich machte sie sogar ihre ersten wippenden und kreiselnden Tanzschrittchen, ausgerechnet zu "Radiodread", einer eher abseitigen Reggae-Version von Radioheads "OK Computer".

Ein Verlag würde sich schon finden, für einen solchen Quark findet sich immer einer! Ich müsste nur so tun, als wäre ich das erste männliche Landwirbeltier, das sich dem Abenteuer der Brutpflege widmet! Ein Lawrence von Arabien der Sandkästen! Köstlicher Kindermund! Oder darf's lieber etwas nachdenklich Tiefschürfendes sein? Dem Kind und dem Leser "Ene mene tekel" vorsingen statt "ene mene muh"? Weil die Zukunft neuerdings wie ein trauriges Monster sich unterm Bett versteckt, statt silberstolz auf dem Horizont zu thronen wie früher.

Nein, die "Geschöpfe" haben sich, pardon, erschöpft. Was paradoxerweise an eben diesem einen Geschöpfchen liegt, das sich irgendwann still keimend in meinem Alltag eingenistet hat - und dort rollend, robbend, watschelnd und leise plappernd bis zur Mitte meines Lebens vorgedrungen ist, die es nun mit Würde und Witz vollständig ausfüllt und darüber gebietet wie Krishna in der "Baghavad Gita" mit seinen zahllosen Gesichtern über Raum und Zeit. Das eigentliche Thema wäre demnach ein metaphysisches. Deshalb war's das mit den "Geschöpfen". Ich melde mich wieder, wenn es etwas Unwesentlicheres zu erzählen gibt.

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