Wahlen in Afghanistan: Sprengsätze an der Urne
Die Sicherheitskräfte in Afghanistan sind in Alarmbereitschaft. Aber an Polizisten fehlt es schlichtweg oder sie sind überfordert. Derweil schüren die Taliban weiter Angst und den Wahlboykott.
SCHARANA/GARDEZ taz | "Niemand kann sagen, was am Wahltag geschehen wird." Diesen Satz hört man derzeit oft in Südostafghanistan. Von Gouverneuren, Mitarbeitern der Wahlkommission, Kampagnenmitarbeitern aller Seiten.
Die afghanische Polizei und Armee sowie die ausländischen Streitkräfte koordinieren täglich in allen Provinzen ihre Aktivitäten. Stammesmilizen werden angeworben, wo es an Polizisten fehlt. Damit sollen um die etwa 1.000 Wahllokale in der Region drei Sicherheitsringe gebildet werden - die Afghanen innen, die Ausländer außen, als Reserve. Aber ob das reichen wird, weiß niemand.
"Die Polizei ist nicht so bereit, wie es auf dem Papier steht", sagt ein Mitglied der Provinzverwaltung von Paktika an der Grenze zu Pakistan. Paktika ist eine der ärmsten Provinzen im armen Afghanistan. Und eine der unsichersten. Hier gibt es keine einzige Straße, die man gefahrlos benutzen könnte. Nicht einmal in der Provinzhauptstadt Scharana. An ihrer Hauptstraße, keine 150 Meter vom schwer bewachten Gelände des Gouverneurs entfernt, explodierten in den letzten Wochen mehrere ferngezündete Sprengsätze der Taliban.
Auf der nahe gelegenen US-Basis steht noch ein völlig verbeulter Humvee. 10 von 19 Distrikten Paktikas sind nach Aussagen ausländischer Beobachter vor Ort außer Regierungskontrolle. Kabuls Vertreter beherrschen dort höchstens ein paar Regierungsgebäude im Zentrum und müssen froh sein, wenn sie nicht von den Taliban vertrieben werden. Oft halten sie sich nur durch Absprachen mit ihnen, die mit Waffen und Munition bezahlt werden. Wie dort gewählt werden soll, ist unklar.
Währenddessen können die Taliban ungehindert und bewaffnet in den Dörfern am Stadtrand Scharanas herumspazieren. Seit Tagen besuchen ihre Propagandatrupps systematisch Moscheen und rufen zum Wahlboykott auf. Seit Montag ist der Basar von Scharana praktisch geschlossen. Die Taliban haben jeden motorisierten Verkehr untersagt. Maskierte blockieren Zufahrtsstraßen. Auch von Minen ist die Rede. Niemand in Scharana möchte testen, ob das stimmt.
Nicht nur in Paktika verstärkten die Taliban in den letzten Tagen den Druck. Auch im benachbarten Khost ist der Basar verwaist. Aus Ostafghanistan wurden am Dienstag erste Überfälle auf Konvois mit Wahlmaterial gemeldet. In den Paschtunendistrikten der Nordprovinz Kundus wird wieder gekämpft. Kabul wurde am Dienstag erneut mit Raketen beschossen, ein Selbstmordanschlag tötete zwei UN-Mitarbeiter.
Auch was die Stillhalteabkommen mit örtlichen Taliban-Kommandeuren um Kandahar wert sind, von denen Präsidentenbruder Ahmad Wali Karsai letzte Woche sprach, muss sich erst noch herausstellen. Hier im Südosten jedenfalls haben die Taliban solche Angebote zurückgewiesen, gibt der Chef der Karsai-Kampagne in der Nachbarprovinz Paktia, Dschanat Khan Mangal, zu.
Eine niedrige Wahlbeteiligung als Ergebnis der Taliban-Drohungen und -anschläge in den Paschtunenprovinzen ist genau das, was Amtsinhaber Hamid Karsai für Donnerstag befürchtet. Noch 2004 gab es dort zum Teil sowjetische Ergebnisse von über 90 Prozent für ihn. Bleiben die Paschtunen diesmal zu Hause, befürchtet Mangal, könnte das Karsais ärgstem Konkurrenten, dem früheren Mudschaheddinführer Abdullah Abdullah zugutekommen. Dessen Anhänger kommen aus dem friedlicheren Norden, wo eine Wahlteilnahme leichter ist.
Aber die schlechte Sicherheitslage im Süden macht auch Manipulationen leichter. Karsai kontrolliert dort den Verwaltungsapparat, und unabhängige afghanische Gruppen haben bereits bemängelt, dass er dort seinen Amtsinhabervorteil unzulässig ausspielt. Besonders viel bringt das sogenannte Blockabstimmen - das heißt, Stammesführer wählen auch mit den Stimmkarten "ihrer" Frauen. 2004 war das von den ausländischen Beobachtern als "kulturell akzeptabel" geduldet worden. Und bei der Registrierung von Neuwählern Ende vorigen und Anfang dieses Jahres wurden in den konservativen Paschtunenprovinzen verdächtig viele Frauen eingeschrieben.
Die Sicherheitssituation wird allerdings verhindern, dass Beobachter Manipulationen überhaupt mitbekommen. In Scharana gibt es gerade mal einen UN-Beobachter und vier von Nichtregierungsorganisationen, alles Afghanen. EU- oder sonstige Ausländer sind nicht präsent.
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