Kulturverlust: Sie haben Post!
Der Einstellungsstopp gefährdet Norddeutschlands bedeutendste Bibliothek, fürchtet ihr Direktor. Und schrieb an Ministerpräsident Wulff. Angekommen ist der Brief nicht.
Sie lesen? Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass Sie das Schicksal einer niedersächsischen Bibliothek nicht kalt lässt. Oder wenigstens: dieser einen. Der wichtigsten, sagen gar die Fachleute: Die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, 1572 gegründet, galt in der Barockzeit als das achte Weltwunder.
Die Welfenfürsten unterhielten ein europaweites Netzwerk von Agenten, um ihr die edelsten Preziosen der Druckerkunst einzuverleiben. Ihre berühmtesten Direktoren hießen Leibniz, Lessing und Paul Raabe. Derzeit liegt der Bücher-Bestand bei einer Million, davon 350.000 älter als 200 Jahre. Sie untersteht direkt dem niedersächsischen Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU). Und: Es geht ihr schlecht.
"Wenn uns die Sparmaßnahmen in der Substanz gefährden", sagt Direktor Helwig Schmidt-Glintzer, "dann muss ich das auch sagen dürfen." Man hört da schon: Dieser Mann ist kein Lessing, was die Lust an Polemik angeht. So hat er Mitte Juli auch eher ein Bittschreiben verfasst - an den Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), aber auf dem hierarchisch-korrekten Umweg über das Stratmann-Ministerium. Vorwürfe könne man nicht nennen, was er da formuliert hat, sagt Schmidt-Glintzer. "Ich habe keinen Anlass, die Landespolitik zu kritisieren."
Auf 89 Vollzeit-Stellen hat im Jahr 2001 eine Expertenkommission den Personalbedarf der HAB beziffert. Bewilligt wurden 80.
Auf 3,6 Stellen und 200.000 Euro jährlich beläuft sich laut Helwig Schmidt-Glintzer der zusätzliche Bedarf der HAB: Neben dem Erwerbsbudget sei insbesondere das Stipendienprogramm unterfinanziert.
Auf 2,3 Millionen Euro - punktueller - Projektförderung im Haushalt 08/09 verweist dagegen das Wissenschaftsministerium.
Eine Antwort erhielt er trotzdem nicht. In der Staatskanzlei heißt es, das Schreiben sei bis zum gestrigen Mittwoch nicht eingetroffen. "Wir wissen nicht wo es hakt", sagt Regierungssprecher Roman Haase. Dafür ist mittlerweile die Problemlage durchgesickert: Vergangene Woche hatte die Grünen-Politikerin Gabriele Heinen-Kljajic es im Wissenschaftsausschuss angesprochen, Dienstag stand es in der Lokalzeitung.
Seither nimmt das Stratmann-Haus Stellung: "Abwegig" sei die Sorge des Direktors. Neben dem Jahres-Etat von 6,4 Millionen Euro gebe es immer wieder Sonderaufwendungen, allein als 2007 der Psalter des Bernward von Hildesheim gekauft wurde, habe man dafür "zusätzlich 800.000 Euro Landesmittel bereitgestellt - die Hälfte des Preises. Grundsätzlich, so Minister-Sprecher Christian Stichernoth weiter, seien "in der aktuellen Finanzsituation alle von Einsparungen betroffen", zudem lebe die HAB schon seit 2004 mit der Kürzung des Erwerbs-Etats um ein Drittel. Und dass sie mit neun Vollzeitstellen weniger auskommen muss als der Expertise zufolge nötig - daran ist noch Schröder schuld.
Was stimmt, das Problem aber nicht entschärft: "Wie sparen geht", sagt Schmidt-Glintzer, "muss man mir nicht beibringen." Akut leidet die HAB unter dem Mitte April vom Finanzministerium verkündeten Einstellungsstopp: Der Mitarbeiter, der die Veröffentlichungen des Forschungszentrums betreut, ist in Ruhestand gegangen. "Das kann ich nicht kompensieren", so Schmidt-Glintzer. Es bestehe die Gefahr, "dass wir nicht mehr fähig sind, die Forschungsergebnisse zu publizieren". Insbesondere betroffen sei der Sammelband zum Internationalen Barock-Kongress.
Damit ließe sich leben, mag der Laie denken. Irrtum: Es droht ein Schneeball-Effekt - gerade weil die Frühe-Neuzeit-Forschung einer der angesagtesten Zweige der Geisteswissenschaften ist. Sprich: Hier fließen Drittmittel, um deren Vergabe die Institute einen teils erbitterten Wettbewerb austragen. Ohne Output kein finanzieller Input.
Schmidt-Glintzer hat nun angeregt, die Institution eventuell unter Bundes-Fittiche zu geben. Ein Vorschlag, den die Grüne Heinen-Kljajic "bedenkenswert" findet - und "jederzeit leicht zu rechtfertigen". Aber nicht schnell zu realisieren: frühestens "in ein paar Jahren" wäre der Vorgang abgeschlossen. Zu langsam. Bleibt die Hoffnung, dass vorher Schmidt-Glintzers Brief bei seinem Adressaten landet.
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