Insel-Zucht: Helgolands Rasenmäher
Weil sich die Shetlandponys auf Helgoland nicht besonders wohlfühlten, wurden sie durch Heidschnucken und Galloways ersetzt. Die sorgen jetzt dafür, dass die Insel weitgehend allergenfrei bleibt.
Die Touristen in den bunten Jacken, die mit weit ausholenden Schritten auf dem Weg zur "Langen Anna" sind, dem Wahrzeichen Helgolands, wundern sich. "Wat is dat denn?", fragt der Mann aus dem Ruhrgebiet und auch die Niederländer kratzen sich an der vom Sonnenbrand geröteten Stirn. Ponys sind das nicht. Weder die zotteligen, ziemlich großen Viecher, mit den braunen Augen, noch die anderen Langhaarigen, die auf dem Weg stehen und nicht immer weg gehen, wenn ein Zweibeiner kommt. Dann stehen die Zweibeiner da, gucken die Vierbeiner an, die gucken aufs Wasser raus oder ins Gras.
Es gibt einen Ponyklub auf Helgoland, aber keine Ponys. Zuerst war der Ponyklub ein Kegelverein, in dem irgendwann nicht mehr gekegelt wurde. Alles ändert sich, das Alte verschwindet, das Neue auch.
Wir sitzen in einem schmucken Vereinsheim an der Bar und hängen dort ab, wo das Oberland ein wenig durchhängt. Gut versteckt, das Vereinsheim, man sieht nur die Fahne. Nichts gegen die Touris, aber irgendwo muss man seine Ruhe vor ihnen haben. Nebenan ist der Stall für die Heidschnucken.
Nils Claasen, pensionierter Wassermeister, der im Ruhestand befindliche Bäckermeister Wilfried Meier und der noch ziemlich muntere Tierarzt Bernhard Holtemöller, sitzen an einem Samstag um die helle Mittagszeit vor einem Glas Helles. Die zunächst standhaft trockenen Festländer lassen sich doch noch die Spezialität des Hauses aufnötigen: Titanic. Hat ihnen nicht geschadet. Im Jahr 1999 von Meier und Malermeister Jürgen Eggers erfunden. Ein doppelter Chivas Regal, viel Eis und genau 0,2 Liter von der hinlänglich bekannten braunen Limo. Kommt nur gut in einem schrägen Glas, das extra für die Helgoländer Whisky-Trinker in Hamburg angefertigt wird. "Schräg wie die Kamine der Titanic", hebt Meier den Finger und zieht die Augenbrauen hoch.
Schräg ist hier so manches. Mit dem Kegeln war es so: Als 1959 die Insel wieder besiedelt wurde, da wurde gleich auch der Kegelclub gegründet. Dann kam 1979 der Ponyklub "Kloar Kimmen". "Kloar Kimmen" stammt aus dem Spruch, der das Wappen Helgolands ziert: "Rüm hart, kloar kimmen." Ist friesisch und heißt ungefähr: Offenes Herz, klarer Horizont.
Im Ponyklub wurde weiterhin gekegelt. Die Shetland-Ponys, eigentlich gut ausgerüstet für raues Klima, fühlten sich nicht wohl auf Helgoland. Vielleicht war es das Gras, auch der Tierarzt, damals noch nicht auf der Insel, weiß es nicht genau. Hufkrankheit. Kein schöner Anblick. Die Herren seufzen leise und nehmen große Schlucke Bier. Im Jahr 1983 wurden die Ponys aufgegeben, das Kegeln hatten sie über.
"Dann wurde also nur noch Bier getrunken", vermutet der Festländer, "und Schnaps", grölen die Insulaner. Gerade nicht. Weil man sich in Helgoland auch in der Freizeit über Wasser halten muss und so viele sinnvolle Beschäftigungen braucht, wie man kriegen kann, kamen sie auf Heidschnucken und Galloways. Mit Schaf und Rind schlägt man mehrere Fliegen.
Heidschnucken und Galloways stammen aus Südwest-Schottland, sie fressen das Gras auf dem Oberland bis zu einer Länge ab, die den Allergikern, die im Paracelsus-Krankenhaus Heilung suchen, keine Schwierigkeiten macht: Kurze Gräser sorgen für geringen Pollenflug und eine weitgehend allergenfreie Insel. Viel Arbeit machen die Rasenmäher nicht, ein Rentner und die Vereinsmitglieder kümmern sich um sie. Und sie befriedigen die Sehnsucht der Helgoländer nach festem Boden unter den Füßen, den die nicht haben. Nicht zu vergessen: Fleisch. Vier Galloways juckeln übers Oberland, drei Kühe, ein Bulle, der irgendwann kastriert wird. Weil ein Bulle für die Touristenkinder, die den Tieren den Nacken kraulen wollen, eine zu große Gefahr darstellen würde, erklärt Veterinär Holtemöller. Alle Galloways wurden durch künstliche Besamung von Holtemöller, dem "Galloway-Papa", erzeugt. Dazu kommen 32 Heidschnucken.
Den Heidschnucken reicht Gras. Da sind sie allerdings wählerisch: Sie fressen am liebsten das Grünzeug ganz nah am Felsrand. Sie klettern auch mal in den Felswänden herum. "Eine Heidschnucke pro Saison fällt runter und ein paar kommen nicht mehr aus den Klippen raus", sagt Holtemöller. Da muss die Feuerwehr helfen, und, wenn es gar nicht anders geht, wird die Heidschnucke vom Wasser aus erlegt. Bevor sie verhungert.
Die Wolle der Schafe wird entsorgt. Zum Schlachten schicken die Helgoländer die Tiere aufs Festland. "Sie kommen als Braten zurück", sagt Holtemöller. Von den Galloways kamen 2008 vier Ochsen und drei Kühe als Braten vom Festland zurück, der in den Lokalen der Insel auf den Teller kommt. Das Heidschnuckenfleisch wird privat verkauft. Claasen führt die Liste. "So acht Euro pro Kilo, ähnlich die Galloways", rechnet er.
Die Heidschnucken klettern nicht nur in den Felsen herum, sie "besuchen auch regelmäßig die Schule und fressen besonders gern frische Blumen", sagt Meier. Das führt zu Beschwerden. "Gut, dass wir gut versichert sind", lächelt Meier. Heidschnucken und Galloways bleiben das ganze Jahr über draußen. "Sie entscheiden selbst, wo sie gebären", sagt Holtemöller, "im Stall oder draußen".
Wir stehen am Zaun und schauen uns die Galloways an. Zwei Kühe könnten trächtig sein. Claasen lockt sie mit den Brötchen von Bäcker Meier, andere fressen sie nicht. Die Brötchen sind in einer blauen Tüte mit der er raschelt. Da kommen die Galloways angerollt. Dankbar sabbeln sie Claasen die Jacke voll. Holtemöller guckt sich Euter und Zitzen an. "Die eine ist trächtig, die andere nicht", sagt er. Klappt nicht immer mit der künstlichen Besamung.
Sind die jungen Galloways da, fragt Holtemöller die Kinder der Touristen, was das wohl für Tiere seien. Die meisten tippen auf "Esel". So klein sind die Galloways und so lange Ohren haben sie.
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