Debatte Gerechtigkeit: Die Frauenkarte

Statt Geschlechterpolitik als Gesellschaftspolitik zu begreifen, faseln die Parteien von den "besseren Frauen".

Es ist ein hilfloser, hasenherziger und unehrlicher Wahlkampf. Der Herausforderer der Spitzenreiterin Angela Merkel, Walter Steinmeier, versuchte sein Glück mit einem Deutschlandplan und einem Team "Elf zu acht: ein starkes Signal". So viele Frauen in bunten Jacken traten bei einem Fototermin flugs vor die dezenter gekleideten Männer. Gleichstellungspolitik, auch beim Entgelt, soll zukünftig wiederbelebt werden und eine zahme junge Familien-Kandidatin soll es mit der schwer schlagbaren Ursula von der Leyen aufnehmen. Steinmeier lässt sich von vielen unbekannten Frauen tragen, stellt quasi Masse gegen die erste Kanzlerin der Republik. Auf nationaler Ebene sollen sie gegen Merkel antreten, die sich aufs globale Parkett versteht.

Die Berliner CDU-Politikerin Vera Lengsfeld zog vor wenigen Wochen mit einem viel geschmähten sogenannten Busenplakat im Doppelporträt mit ihr nach. Die Kanzlerin - sie hat ein tüchtiges mediales Helferinnennetz - ergänzte diesen Vorstoß in Frauenzeitschriften mit guten Ratschlägen. Frauen sollten sich durchsetzen, sagte sie, nicht ohne dabei von ihrer Kochfreude zu berichten. In der Konkurrenz zwischen den Volksparteien tritt die CDU geradezu subversiv militant auf. Fotos sind entscheidend.

Die anderen Parteien sind vor diesem Hintergrund hinsichtlich ihrer Geschlechterpolitik unter Strich wenig erwähnenswert: Die Grünen in Doppelspitze wollen die Quote auch in den Aufsichtsräten und alle guten Dinge, die sie avanciert schon lange fordern. Die verkörperte FDP, Silvana Koch-Merin, ist nach der Europawahl angeschlagen. Die Linkspartei hat viele fleißige Frauen und ist für alles, doch ihr Profil ist unentrinnbar von einem Alleinherrschaft beanspruchenden Obermacho gezeichnet.

Man könnte sich wundern, dass sich die Parteien mit einer solch schwachen Frauenpolitik überhaupt an die Öffentlichkeit wagen. Die CDU verspricht schon gar nichts mehr und wedelt stattdessen mit einer Kanzlerin, der jedenfalls alle Frauen dankbar sind, dass sie uns vom Geröhre Gerhard Schröders befreit hat. Außerdem, welche Heldentat, hat ihre Familienministerin endlich den Männern das Tor zur aktiven Vaterschaft geöffnet.

Die SPD, sollte man meinen, hat Gelegenheit zu emanzipatorischen Taten genug gehabt, nachdem sie drei Wahlkämpfe mit dem Versprechen zu einem "neuen Aufbruch für Frauen" hinter sich hat. Der Frauen-Kranz um ihren Kandidaten kann nicht verhehlen, dass die Männer im Hintergrund die "wichtigeren" Ressorts haben und er selbst der letzte Vorzeigbare der SPD ist.

Schon dass die Wahlstrategen Frauenkarten zücken, zeigt, dass sie Frauen zu ihrem Werkzeug machen. Frauenrechte als Menschenrechte als Wert an sich ist Kinderkram. Das Eintrittsbillet "Frauenpolitik" macht zu einer Segment-Politik, was eine allgemeine Gesellschaftsfrage ist. So läuft die übliche Instrumentalisierung nun mal, könnte man dieses Verfahren schulternzuckend abhaken. Doch der Moment scheint günstig, der Frauen Bauch zu pinseln - wir haben Krise. Die ganz Vorderen wissen, der Börsencrash ist Resultat männlicher Übertreibungen. Frauen sind nicht nur nützlich und effizient, sie sind auch vernünftiger und nachhaltiger und integrativer. Das brauchen wir jetzt. Man könnte so was auch umgekehrten Sexismus nennen. Die Politik sieht sich ebenfalls in Not und schickt schon länger die Ehefrauen abgewirtschafteter Männer oder unverbrauchte Gesichter aus ihrer Nähe oder gern auch viele junge Frauen nach vorn, um mit Weiblichkeit zu bewerben, was sonst schwer noch zu bewerben ist. Früher sprach man von den Billigeren und Willigeren, den Lückenbüßerinnen, den Trümmerfrauen und ähnlichem. Heute ist das Politiksystem so weit abgestiegen, dass Frauen gern die öffentliche Hausarbeit übernehmen können - viel Schmutz, kein Geld, desaströse Lage. Auch in der Wirtschaftskrise dürfen sie sich gern über die Maßen verausgaben, um männlichen Ausfall zu begleichen. Das ist ein Fall von Missbrauch, den man aber für so normal hält, wie einst die Verfügung des Mannes über die weibliche Sexualität. Genauso wie das ganze Land hochzufrieden ist mit einer Kanzlerin als Moderatorin, oberster Hausfrau und Mutter ohne irgendeinen inhaltlichen Gestaltungswillen. Sie stützt sich ganz auf "weibliche" Tugenden, doppelbödig, wie sie sind, wenn sie das Land mit Schläue und Anpassung regiert.

Dass die Politikangebote selbst aus den 80erJahren stammen, fällt dabei gar nicht mehr auf. Die einen, die es können, sagen, Frauen schaffen es allein, die anderen, denen es an irgendwas mangelt, sagen, nein Gesetze sind nötig. Wir aber erleben im letzten Jahrzehnt eine Stagnation in der Ungleichheit bei allgemein wachsenden Belastungen. Nicht einmal die Krise ist Anlass, die Parameter dessen, was unter Frauen-, Geschlechter-, Männer- und Gleichstellungspolitik geschieht, infragezustellen. Frauenverbände fordern wieder brav lange Listen - welche liegenbleiben. Auch die Wünsche der Frauen scheinen bescheiden.

Doch diese Tabus zu behandeln, würde vielleicht die Gesellschaft infragestellen, Männer mit Problemen konfrontieren und Frauen auf sich selbst zurückführen. Der Name Ypsilanti steht wohl auch für manches Scheitern von Frauen an sich selbst. Es scheint, in der Abhängigkeit von der Schuld und Sühne der Männer ist es leichter. Es ist ein Jammer. Es ist ein Trauerspiel. Es ist eigentlich unerträglich. Vielleicht, wenn es knapp wird, entscheiden Frauen die Wahl. Aber die "Frauen"politik, was immer sie heute sei, ist nicht entscheidend. Im Wahlkampf handelt es sich um einen Wettbewerbsfaktor - man kann sich für die Duftnote entscheiden, die einem gefällt, je nach Interessenslage. Aber diese wird, so frau wählt, abhängig sein von der parteipolitischen Präferenz - und schon ist sie wieder drin in der Gefangenschaft. Fragt sich, ob an den Parteien, ihren Programmen und ihrer Politik nach den Wahlen nicht vielleicht doch besser etwas zu ändern wäre. Eine Gesellschaftspolitik, in der Gleichberechtigung drin ist und die Zukunft hat, eine neue Ordnung, ist an der Zeit. Die einschlägigen Kreise an sich selbst zugrundegehen zu lassen und etwas eigenes wieder zu wagen.

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