die wahrheit: Der homosexuelle Mann

… hat so seine Gegner, und zweifellos gehört die Körperbehaarung zu den ärgsten. Kein Haar, nirgends, lautet das Diktat, halsabwärts muss alles glatt und sauber sein wie eine frisch polierte Kühlerhaube...

... Die eiserne Regel hält schon seit vielen Jahren schwule Körper im Griff, lange bevor eine heterosexuelle Mehrheit ebenfalls Abschied nahm vom natürlichen Haarwuchs. Erkannte man früher einen Schwulen treffsicher daran, dass er bei jedem Ballwurf die Weite verweigerte, so beweist er heute seine Szenezugehörigkeit damit, dass er die Öffnungszeiten der Cleanskin- oder Hairfree-Läden im Schlaf aufsagen kann.

Zum Glück sind nicht alle Schwulen willens, sich dem genormten Körperbild zu beugen. Wenn es darum geht, ihre sexuellen Wünsche auszuleben, sind sie schon immer pragmatisch wie fantasiebegabt und verstehen es, sich ihre Nischen zu gestalten. So entstand als Antwort auf den neuen Körperkult, der nur noch schlanke, muskulöse und haarlose Geschöpfe zuließ, bereits Mitte der Achtzigerjahre die Bewegung der Bären, "beards meeting beards" hießen sie in London, die "Bartmänner" nannten sie sich in Köln und die "Nederbears" hatten ihre Heimat im holländischen Delft.

Bären dürfen all das sein und zeigen, was den urbanen Gay von heute zum Fremdschämen zwingt: Sie sind behaart im Gesicht, auf der Brust, dem Rücken und selbst an den heiligen Stellen weiter unten, sie dürfen dick sein, durchaus auch älter und von einer Männlichkeit, die mehr nach Landluft riecht, nach Feuerwehr oder nach Baugerüst. Bären pfeifen auf die Dresscodes der "Textiltunten" und stehen auf zünftige Kneipen ganz ohne Plüsch oder Techno-Gedröhn.

Wie sich das gehört für jede Subkultur innerhalb einer Subkultur, haben auch die Bären eigene Bars, eine eigene Flagge, eigene Treffen und Kongresse sowie ihre eigene Sprache, Gesetze und Zeichen. Ein "Koalabär" beispielsweise ist ein Bär mit blonden Haaren; und der "Pandabär" stammt aus Asien; eine "Ursula", abgeleitet vom lateinischen ursus = Bär, ist eine Frau, die sich in der Gesellschaft schwuler Bären wohl fühlt; und mit einem herzlichen "Woof" begrüßen einander Bären, die sich anziehend finden.

Und für die Kommunikation im Netz gibt es die international gültigen "bear codes", eine wilde Ansammlung von Zahlen, Buchstaben und Zeichen, die, richtig zusammengefügt, sehr präzise Auskunft geben über Bauchumfang und Beinbehaarung, Barttypus und Brustweite, Ort- und Platzpräferenzen bei sexuellen oder sonstigen Aktivitäten. Da treffen dann B5 c+ f s-: w t- r k? und B6 f+ w sv w r+ k(+?) aufeinander und verstehen sich prächtig dank der "bear codes".

Schwule Bären sind auf dem Vormarsch, die am schnellsten wachsende Gruppe innerhalb der schwulen Gemeinde. Sie sind freundlich zu anderen und herzlich im Umgang miteinander, die szeneübliche kalte Oberflächlichkeit ist ihnen fremd. "Der schwule Bär", schreibt die amerikanische Kulturhistorikerin Camille Paglia, "ist gleichermaßen animalisch wie mütterlich und macht es sich nach der Tollerei in der Wildnis gern auf einem Kissen bequem."

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kari

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