Kolumne Speckgürtel: Eine verhängnisvolle Bekanntschaft

Mein Versuch, freundlich zu sein, endete in einem Kreuzverhör.

Ich kenne den Mann im Grunde. Jeden Morgen steht er mit mir auf dem S-Bahnsteig unseres Speckgürtelortes, wir nehmen denselben Zug und steigen in der Stadtmitte an derselben Haltestelle aus. Er trägt immer einen grauen Anzug, eine Bionade-Boheme-Umhängetasche und liest. Weil heute so ein schöner sonniger Herbstmorgen ist, grüße ich ihn mal. Probehalber. "Guten Morgen!"

Der Mann lässt seinen Krimi sinken und schaut mich fragend an. "Ich dachte, ich grüße einfach mal", sage ich, "wir sehen uns hier schließlich jeden Morgen zur selben Zeit." Es stellt sich heraus, dass der Mann mich noch nie bemerkt hat. Aber das ist ja kein Hinderungsgrund, wir suchen uns in der einfahrenden S-Bahn gegenüberliegende Plätze und lernen uns mal kennen.

Oliver heißt er und wohnt auch gar nicht weit von mir entfernt. Er ist Anfang dreißig, arbeitet für ein Stahlunternehmen im Controlling, und er hat für sich, seine Frau und das Kind hier draußen ein Haus gebaut. Das gleich klarzustellen ist Oliver sehr wichtig - er zieht sein I-Phone wie eine Waffe und streckt es mir entgegen. Der Bildschirmschoner leuchtet auf, ich sehe eine sogenannte Stadtvilla, daneben, die fingernagelgroße Figur, das könnte seine Frau sein. Oliver beginnt mit mir ein Fachgespräch. Was wir denn hätten - Neubau? Ratenzahlung oder Vermögen? Stadtwasser oder schwarz gebohrter Brunnen? Fassadendämmung? Sicherheitsverglasung?

Ich finde, dass er für unser erstes Kennenlernen ganz schön rangeht. Ratenzahlung? Sicherheitsverglasung? Was geht ihn das an? Aber na gut, ich sage Sicherheitsverglasung. "Besser so", sagt Oliver. Auf meinen fragenden Blick hebt er zu einem Vortrag über den suburbanen Raum an. Das Leben im Speckgürtel werde immer gefährlicher, im vergangenen Sommer etwa seien Jugendliche sonderzahl an den Badestrand unseres Vorortes gekommen und hätten da Alkohol getrunken. Und laute Musik gespielt. Aber hallo! X-mal hat Oliver in den letzten Monaten die Polizei gerufen.

Und immer mal wieder sieht Oliver polnische VW-Busse langsam durch den Ort fahren. "Die spionieren hier doch die Einfamilienhäuser aus!" Einmal passe man nicht auf - wumms! sei seine Stadtvilla ausgeräumt. Aber nicht mit Oliver. Gerade, erzählt er, habe er sich eine Kamera am Zaun installieren lassen.

Ich winke ab. Dafür, dass wir uns gerade mal zwanzig Minuten kennen, geht er mir schon ganz schön auf den Zeiger. Noch nirgends in meinem Leben habe ich mich sicherer gefühlt als in meinem kleinen Speckgürtelort. Man grüßt hier einander, man sieht alle Formen menschlichen Daseins zwischen null und neunzig Jahren, morgens sausen Kinder auf ihren Rädern Richtung Schule und Kindergarten, abends die Jogger am See entlang. Und wenn es tatsächlich mal knallt, dann verrichtet sehr wahrscheinlich der örtliche Jagdpächter sein Waidhandwerk. Wir vergessen nachts öfter mal, den Haustürschlüssel außen abzuziehen, auch die Terrassentür bleibe schon mal offen.

"Im Ernst", sagt Oliver und beugt sich zu mir, "da draußen laufen jede Menge Verrückte rum. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich meine Kinder schützen soll." Ach, sage ich, "ich dachte, du hast nur ein Kind". Es stellt sich heraus, dass Olivers Frau demnächst mit einem neuen Speckgürtelbewohner niederkommen wird. "Aber das ist das letzte Mal, hab ich ihr schon gesagt", sagt Oliver, "für mehr Personen ist unsere Wohnfläche nicht ausgelegt." Ich nicke.

Meine Kollegen freuen sich, dass ich neuerdings morgens etwas früher in der Redaktion ankomme. Exakt zwanzig Minuten.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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