Chinas wichtigster Autor Mo Yan: Der Mann, der Abstand hält

Mo Yan ist der wichtigste Gegenwartsautor Chinas. Er gehört der offiziellen Delegation an, doch seine Kunst widersetzt sich jeder Vereinnahmung durch die Partei.

Chinesischer Groß-Schriftsteller: Mo Yan spricht zur Eröffnungsfeier der 61. Buchmesse in Frankfurt am Main. Bild: dpa

Viele Deutsche kennen China durch Zhang Yimous Film "Rotes Kornfeld". Die Vorlage für diesen Film lieferte eine Erzählung von Mo Yan, er ist einer der wichtigsten Gegenwartsschriftsteller Chinas. Der Film entfachte damals in China eine heftige Debatte: Dem Regisseur wurde vorgeworfen, er habe sich durch die einseitige Beschreibung von Armut und der Rückständigkeit Chinas bei westlichen Zuschauern und Juroren einschmeicheln wollen.

Der Film brachte Zhang Yimou 1988 den Goldenen Bären bei der Berlinale ein. Auch deshalb fand man in China, er habe sich an seinem Heimatland versündigt. Für mich hingegen sind die Charaktere im "Roten Kornfeld" emotional und leidenschaftlich, mutig und tatkräftig, eben aus Fleisch und Blut. Insofern verkörpern sie die gute Seite der Chinesen.

Inzwischen ist all diese Kritik kein Thema mehr: Zhang Yimou ist ein Regisseur des chinesischen Establishments geworden, er beschönigt die Verhältnisse. Seine Position heute ist vergleichbar mit der Leni Riefenstahls. Gleichzeitig gilt es neidlos anerkennen, dass Zhang Yimou ein herausragender Künstler ist. Es ist ihm wunderbar gelungen, aus der kleinen Erzählung eines Autors Inspiration zu schöpfen. Seinen ersten Erfolg verdankt er also nicht dem Ausland, sondern Mo Yan.

Alpen und Himalaya

Anders als Zhang Yimou ist Mo Yan ein Künstler, der seine Arbeit nicht in den Dienst einer Ideologie oder politischen Haltung stellt. Mo Yan ist ein Schriftsteller, der die Schicksale von Menschen im Blick hat. Mo Yan beschreibt einfache Leute auf dem Land, meist aus seiner Heimatprovinz Shangdong, die einst eine deutsche Kolonie war. Er blickt in die Seelen seiner Protagonisten, zeigt ihre Qualen und ihr Glück. In einem seiner berühmtesten Bücher, "Große Brüste und breite Hüften", beschreibt er das Leben einer Familie über zehn Jahre hinweg. Im Leben dieser Familie spiegeln sich die gesellschaftlichen Veränderungen.

Auf der Buchmesse begegnet man zwei grundverschiedenen Gruppen chinesischer Autoren: Vertretern der offiziellen Delegation, zu der auch Mo Yan gehört, sowie Exilschriftstellerrn wie Ma Jian und Yang Lian. Sie stehen in einem Verhältnis zueinander wie Alpen und Himalaya: Beides sind hohe Gebirge, allerdings wird man von den Bergspitzen des einen nie Gelegenheit haben, die Kämme des anderen zu erblicken.

Insbesondere die Offiziellen werden alles tun, um den Exilanten aus dem Weg zu gehen, sie werden sich abducken und, sollten sich die Blicke doch begegnen, durch den anderen hindurchschauen. Die Angehörigen der ersten Gruppe werden vollständig vom Steuerzahler ernährt. Kontrolliert werden sie vom Schriftstellerverband, der wiederum von der Regierung kontrolliert wird. Allerdings gibt es auch in der zweiten Gruppe, also unter den Dissidenten, einen Teil, der vom Steuerzahler lebt. Diejenigen, die hinter Gittern sitzen.

Abstand halten

Schriftsteller wie Mo Yan lieben einzig die Literatur, alles andere kümmert sie wenig, oder sie äußern sich einfach nicht zu Themen wie Meinungsfreiheit. Nolens volens verhalten sie sich so, denn schließlich steckt nicht jeder ständige Belästigungen durch die Polizei oder ein Leben im Gefängnis einfach so weg. Dennoch verhält es sich mit Mo Yan, obwohl gezwungenermaßen Mitglied der offiziellen Delegation und damit Teil der Staatsmacht, gänzlich anders als mit Zhang Yimou: Er hält zu beiden Polen den gleichen Abstand, quasi eine Äquidistanz. Ich verstehe Autoren, die nur um der Literatur Willen alle Kräfte für ein einigermaßen ruhiges Leben einsetzen. Keiner hat das Recht zu fordern, dass jemand zum Kämpfer wird. Letztlich reicht es, wenn er nicht zum Wang Zhaoshan wird.

Wang Zhaoshan ist ein Präzedenzfall des Speichelleckertums: Nach dem Erdbeben in Sichuan im vergangenen Jahr verfasste er ein paar Verse als Trauergesang auf die Opfer und ein Loblied auf die Hilfsmaßnahmen der Obrigkeit. Es gab einen Riesenwirbel im chinesischsprachigen Internet. Schnell wurde er als „Wang, der Huldiger des Diabolo“ tituliert.

Sogar die im vergangenen Jahr neu berufene Vorsitzende des allchinesischen Schriftstellerverbandes Tie Ning sah sich angesichts dieser Entwicklung zu sorgenvollem Stirnrunzeln veranlasst. Dass der Name Wang Zhaoshan dennoch fett auf der Liste der Teilnehmer der offiziellen Schriftstellerdelegation dieser Buchmesse prangt, ist, gelinde gesagt, befremdlich. Zumindest lehrt uns das, dass sich die chinesischen Autoritäten überhaupt nicht darum scheren, ob jemand zum Kotzen ist oder nicht. Entscheidend ist allein, ob er gehorcht und Propaganda im Sinne der Regierung macht.

Die Deutschen ohne Kniescheibe

Gern erzählt Mo Yan die Geschichte, wonach vor mehr als 100 Jahren, als die Deutschen Shandong besetzten, die Mär umging, die Deutschen hätten keine Kniescheibe und nicht einmal ein Stockschlag könne sie dazu bringen, ihren Hintern vom Sitz hochzuheben. Auch sei ihre Zunge anders als die der Chinesen, nämlich gespalten. Als ein deutscher Freund ihn vor zehn Jahren in seiner alten Heimat Shandong besuchte, habe ihn sein Großvater heimlich beiseite genommen und zutiefst erschüttert mitgeteilt, dass die Deutschen ja doch eine Kniescheibe, dafür aber keine gespaltene Zunge hätten.

Mo Yan berichtete seinem Freund über diese Beobachtungen seines Großvaters, der sich vor Lachen bog. Was Mo Yan damit sagen will: Wir brauchen den Austausch, denn auch in Europa herrschte vor hundert Jahren die Meinung vor, Chinesen lebten auf Bäumen und ihre Gesichter ähnelten denen von Vögeln.

Den Deutschen, die China kennenlernen möchten, schlage ich vor: Es kann nichts schaden, mit Mo Yans Werken zu beginnen. Er ist genial, und dabei ziemlich moderat. Liest man nur Wang Zhaoshan, gewinnt man den Eindruck, in China herrsche eitel Sonnenschein und Harmonie. Nimmt man lediglich die Stimme der Opponenten zur Kenntnis, könnte man meinen, China liege in tiefster Finsternis. Was ich damit sagen will: China hat Fortschritte gemacht, auch wenn dort sehr viele Schriftsteller einschließlich meines verehrten Lehrers Liu Xiaobo [bekannter Dissident, derzeit in Gewahrsam, A. d. Ü.] im Gefängnis sitzen. Oder andere wie ich, die überhaupt nicht extremistisch sind, von der Polizei belästigt werden.

Noch vor zehn Jahren wären solche Leute unmittelbar von der Höchststrafe bedroht gewesen, ohne jegliche Beweise. Allerdings: Trotz dieser Fortschritte ist China von der Verwirklichung universeller Werte, wie Meinungsfreiheit, Demokratie – und Mo Yan hat sie in seiner Rede in Frankfurt aufgezählt! – noch weit entfernt.

Aus dem Chinesischen von Petra Mann.

WANG XIAOSHAN, geb. 1967, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt für die chinesische Ausgabe des amerikanischen Sportmagazins Sports Illustrated. Bis 2006 war er bei der Neuen Pekinger Zeitung als Feuilletonchef tätig.

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