Öffentlich-rechtliche Auslandsbericherstattung: "Keine wichtige Geschichte verpasst"

Seit zwei Jahren beklagen Korrespondenten einen deutlichen Qualitätsschwund bei ARD und ZDF. "Auslands-Journal"-Chef Theo Koll trotzt jeder Kritik

War der Korrespondent früher König und heute nur noch Diener seiner Herrn? Das Sendestudio des "ARD"-Weltspiegels. Bild: ard

taz: Herr Koll, Sie sind nicht nur Chef der Auslandsberichterstattung im ZDF, Sie kennen auch die Arbeit Ihrer Korrespondenten, schließlich waren Sie in den Neunzigern für Ihren Sender in London. Mit dem Machtzuwachs für das EU-Zentrum Brüssel und der gewachsenen Rolle Asiens drohen Länder wie Großbritannien, aber auch Frankreich und Italien, zu Nebenschauplätzen zu verkommen. Schade?

Theo Koll: Die Verstärkung für Asien und Brüssel würde ich so unterschreiben. Deshalb haben wir auch in Brüssel unser Studio im Jahr der Europawahl von drei auf vier Korrespondenten aufgestockt. Dass aber andere an Relevanz verlieren, muss nicht sein. Gut möglich, dass keiner verliert, aber einige in der Berichterstattung an Intensität gewinnen.

Wenn keiner "verliert", die Sendeflächen in "heute" und "heute-journal" aber gleich bleiben, ist die Auslandsberichterstattung doch nur noch ein Verdrängungswettbewerb, oder?

Theo Koll geboren 1958; von 1993 bis 2000 ZDF-Studio London; seit Februar Leiter der ZDF-Außenpolitik.

Theo Koll: Für das Mehr an EU-Berichten haben wir längst entsprechende Flächen im Programm eingerichtet. Mit "heute in Europa" haben wir täglich um 16 Uhr eine aktuelle Sendung, die viel europäischen Hintergrund bietet und für die sich immer mehr Zuschauer interessieren: "heute in Europa" hat einen Marktanteil von 13 Prozent. Damit bin ich sehr zufrieden.

Am Abend gleicht die Auslandsberichterstattung aber bisweilen einem Verschiebebahnhof. Während der ARD-"Weltspiegel" seit 1964 konstant vor der "20 Uhr" läuft wurde das ZDF-"Auslandsjournal" von 19.30 auf 21, dann auf 21.15 und schließlich auf 22.45 Uhr geschoben - und von einem Wochentag auf den anderen. Sogar ZDF-Reporter wie Alexander von Sobeck sagen, das Magazin sei "so lange hin und her geschoben worden, bis es kaum noch einer findet".

Theo Koll: Wir senden auch für Suchende. Im Übrigen ist das "Auslandsjournal" ein gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, wieder mehr Sendeflächen fürs Ausland zu schaffen. Ich habe mit meinem Antritt als Auslandschef eingeführt, dass wir rund sechs Mal im Jahr ein "Auslandsjournal XXL" bieten, also Sonderausgaben, die sich statt der üblichen 30 bis zu 60 Minuten jeweils mit einem einzigen Thema beschäftigen. Das hatten wir zu den Wahlen in Afghanistan und Iran und auch zur neuen Großmacht Indien. Das nächste "XXL" kommt zum Weltklimagipfel in Kopenhagen.

Wie kommt das beim Zuschauer an?

Theo Koll: Die Quoten liegen leicht unter dem Durchschnitt, den das "Auslandsjournal" sonst erzielt. Unserem Stammpublikum gefallen also Sendungen besser, die unterschiedliche Themen behandeln. Es gilt aber gelegentlich diesen Preis zu zahlen, weil wir damit außenpolitisch wichtige Bereiche jenseits einer Bombenaktualität ausleuchten können.

Es hagelt mal wieder Kritik an der Auslands-Berichterstattung unserer Medien. Ulrich Tilgner schreibt in message: "Der Korrespondent dient immer häufiger nur dazu, mit seinen Beiträgen Mosaiksteine für ein bereits fertig geplantes Gesamtwerk der Redaktion zu liefern." Stimmt's?

Theo Koll: Nein. Natürlich wird der Informationsvorsprung, den Korrespondenten einst vor ihren Redaktionen in Deutschland hatten, immer geringer. Heute können Redakteure über das Netz auf Zeitungen des jeweiligen Landes genauso zugreifen wie der Korrespondent. Aber es ist Mitnichten so, dass wir uns in der Zentrale auf ein Bild verlassen, das wir uns zurechtlegen, wie das Ulrich Tilgner suggeriert. Wir legen im Gegenteil sehr viel Wert darauf, Kollegen mit ihrem ganz eigenen Blick und ihren eigenen sozialen Kontakten vor Ort zu haben. Korrespondenten und ihre Beobachtungen sind durch nichts zu ersetzen.

Tilgner war aber doch vor allem für das ZDF unterwegs - bevor er sich vor gut einem Jahr vom deutschen Fernsehen abwandte, um für das angeblich unabhängigere Schweizer Fernsehen zu arbeiten. Er kann sich also im Wesentlichen nur auf diese Erfahrung stützen.

Theo Koll: Ich halte seinen Vorwurf dennoch für absurd. Jemand, der sich von seiner Redaktion marionettenhaft führen lässt, muss schon ein beängstigend schwacher Journalist sein und Auslandskorrespondenten fallen wahrlich nicht unter diese Kategorie. Natürlich diskutieren wir mit den Reportern, vor allem, wenn sie Situationen anders bewerten, als andere, bei uns auflaufende Informationen. Im Zweifel vertrauen wir aber unseren eigenen Leuten.

Wirklich?

Theo Koll: Nehmen wir die jüngsten Erdbeben auf Sumatra. Dort hatte unser Korrespondent Peter Kunz einen anderen, weniger dramatischen Eindruck vom Ausmaß der Schäden in Padang, als ihn zunächst Nachrichtenagenturen meldeten - unter Berufung auf Vertreter von Hilfsorganisationen. Die aber haben natürlich ihre eigene Agenda. Über den Sender ging das, was Kunz mit eigenen Augen gesehen hatte. In Zeiten, in denen Redakteure mit Informationen überhäuft werden, kann doch keiner besser Einordnung schaffen, als der eigene, unabhängige Korrespondent. Redaktionen, die anders arbeiten, machen etwas falsch.

Auch die gerade erschienene Studie "Journalisten der Finsternis" über die Berichterstattung deutscher Medien über Afrika wirft kein gutes Licht auf Zeitungen wie Sender. Autor Lutz Mükke spricht von einer "Dramatisierungsfalle": Die Nachrichtenschwelle für Entwicklungen in Afrika läge oft derart hoch, dass es fast nur Katastrophen, Kriege und Krisen in die Medien schafften. Richtig?

Theo Koll: Wenn ich mir die jüngsten Beiträge unseres Studios in Johannesburg ansehe, finde ich Themen von "Bauarbeiter streiken an WM-Stadien" und "Kapstadt, die afrikanische Verführung" über "Tageszeitung in Simbabwe" bis hin zu "Lernen im Busch". Auch diesen Vorwurf kann ich also für uns nicht bestätigen. Aber natürlich ist es grundsätzlich schwieriger, beim Zuschauer Interesse für Themen zu finden, wenn eigene Anknüpfungspunkte fehlen - wie das in Afrika oft der Fall ist. In London war es für mich als Korrespondent natürlich viel einfacher: Für fast jede Geschichte gab es kulturelle Referenzen.

Wie umfassend eine Berichterstattung aus einer Region ist, hat auch mit der Zahl der eingesetzten Korrespondenten zu tun. Sie sind seit gut einem halben Jahr Chef der ZDF-Auslandsberichterstattung. Fühlen Sie sich gut aufgestellt?

Theo Koll: Ja, auch wenn es zweifellos Regionen gibt, in denen zusätzliche Korrespondenten hilfreich wären, etwa in Indien oder Pakistan. Aber auch wenn es schwerfällt: Finanziell gilt am Ende das Bild vom Tischtuch, das reißt, wenn gleichzeitig an allen Ecken gezogen wird. Ich kann mir natürlich vieles wünschen...

...wie einen festen Korrespondenten in Kabul, wie das ARD-Reporter Ashwin Raman forderte? Er sprach gar davon, es sei ein Skandal, dass öffentlich-rechtliche Sender dort keine Büros hätten, obwohl dort deutsche Soldaten stationiert seien. Stattdessen würden Reporter mal eben ein- und flugs wieder ausgeflogen, die sich so kaum mit dem Land beschäftigen könnten. Ein Versäumnis?

Theo Koll: Wenn es so wäre, vielleicht. Wir haben aber gleich zwei Korrespondenten, die sich permanent beziehungsweise seit Jahren mit Afghanistan beschäftigen: Halim Hosny und Ulrich Gack. Beide sind oft und lange im Land unterwegs, dazu gibt es zwei feste ZDF-Producer in Kabul und Kundus. Das hat bisher gut funktioniert. Ob wir irgendwann in Afghanistan einen festen Korrespondenten brauchen, hängt von der weiteren Entwicklung ab. Wir haben jedenfalls noch keine wichtige Geschichte verpasst.

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