Berlinische Galerie feiert Jubiläum: Die halbe Kunsthalle

Vor fünf Jahren bezog die Berlinische Galerie das Glaslager. Seitdem kämpft sie um Anerkennung und Profil an ihrem Standort.

Überall Kunst - auch vor der Berlinischen Galerie Bild: reuters

Musik dröhnt, Stühle fliegen, Menschen purzeln. Es regiert das Chaos in "Weiter!" Der Videokünstler Ulf Aminde hat ein Dutzend Punks dazu gebracht, vor der Kulisse eines Abrisshauses in Mitte die "Reise nach Jerusalem" zu spielen. Dass das nicht regelgerecht, sondern anarchisch und witzig abgeht und den wilden Lebensentwurf über die Verdrängung in den jungen Berliner Bezirken erhebt, gehört zu den wunderbaren Beispielen aktueller künstlerischer Reflexion über den Zustand der Stadt.

Amindes Punks sind derzeit neben 41 anderen Werken vornehmlich Berliner Künstler in der Berlinischen Galerie zu sehen. Fünf Jahre nach seiner Wiedereröffnung 2004 im ehemaligen Glaslager in der Alten Jakobstraße feiert das Landesmuseum für moderne Kunst sich und das Jubiläum 20 Jahre Mauerfall mit der großen Schau "Berlin 89/09 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie". Die Ausstellung gehört zu den herausragenden Präsentationen über das Thema. Steht doch den Künstlern kaum der Sinn nach Feiern. Sie werfen einen kritischen, ja melancholischen Blick auf die Stadt und ihren Wandel in den vergangenen Jahren.

Das Sonntagsprogramm in der Berlinischen Galerie beginnt um 10.30 Uhr mit Jazz, gespielt vom Viktor Wolf Quartett. Zur gleichen Zeit können Besucher beim Mitmach-Zirkus in Aktion treten.

Den ganzen Tag über werden Kurzführungen durch die Ausstellung "Berlin 89/09" angeboten. Thema der Schau sind Veränderungen in Berlin, gleich ob dramatischer Natur oder kaum bemerkbar. So wird eine vorläufige Bilanz des Wandels gezogen. Künstler wie Ulf Aminde, Sophie Calle, Tacita Dean und Wolfgang Tillmans sind mit Werken vertreten.

Informationen unter www.berlinischegalerie.de

Dass die Berlinische Galerie diese scharfe künstlerische Intervention statt gefälliger Bestandsaufnahme der Wiedervereinigung zeigt, hat sie zu ihrem "Fünfjährigen" einmal mehr ins Gespräch gebracht über ihre Rolle in der Berliner Museums- und Ausstellungslandschaft. Trotz vielfältiger Schauen der Kunst der 20er-Jahre, der Nachkriegsmoderne und Gegenwart mangelt es dem Museum an der berechtigten Aufmerksamkeit, die Besucherzahlen sind steigend, aber bescheiden (60.000/2007, 80.000/2008). Das Profil scheint unscharf, und große Events wie "Berlin - Moskau" haben Seltenheitswert.

Warum das Museum sich so schwer tut und es nur in Ausnahmefällen schafft, den Reflex auf sich zu lenken - was dem Hamburger Bahnhof, der Neuen Nationalgalerie oder auf der Museumsinsel gelingt -, ist vielschichtig. Sicher ist, dass es an den Sammlungen, dem Gebäude und den Präsentationen nicht liegt.

Das 2004 für 18 Millionen Euro umgebaute Glaslager mit seinen großen Sälen, der elf Meter hohen zentralen Halle, einer weiten Empore und der X-förmigen offenen Treppenkonstruktion, die die Etagen verbindet, bietet auf fast 4.100 Quadratmeter Ausstellungsfläche fast grenzenlosen Raum für Ausstellungen. "Das Haus ermöglicht uns, alles zu zeigen", sagt Jörn Merkert, seit 1987 Direktor der Berlinischen Galerie. "Es ist flexibel und unglaublich vielseitig bespielbar", von klassischen Formaten bis zu Großinstallationen in den Hallen erlaube die Architektur jede Präsentationsform.

Zugleich beherbergt die Berlinische Galerie Archive und eine überwältigende Sammlung mit rund 5.000 in Berlin entstandenen Objekten und Kunstwerken der 20er-Jahre und der russischen Avantgarde, der Nachkriegsmoderne und der Gegenwartskunst. Merkerts Favoriten, die des Dadaismus oder der Neuen Sachlichkeit wie Naum Gabo, Otto Dix oder Hannah Höch, sind die Konzeptgeber des Museums. "Diese Künstler der 20er-Jahre haben die Seele Berlins gespiegelt." Der künstlerische "Abzug", die Porträts und Seelenbilder der Stadt bilden das Programm des Hauses. Sein Bilderschatz ist ein Gedächtnis Berlins.

Warum all dies und der Anspruch des Museums, "ein herausragender Ort für Gegenwartskunst" zu sein, "die die Stimmungen in der Hauptstadt registriert und präsentiert", wie Guido Fassbender, Kurator der Schau "Berlin 89/09", meint, dennoch nicht durchschlagen, sondern nur ab und zu aufblitzen, hat seine Gründe, sagen Kulturexperten. Diese liegen in der Geschichte, der Lage und der kulturpolitischen Verortung der Berlinischen Galerie. Und diese Lasten wirken nachhaltig.

Nachdem die Berlinische Galerie, 1975 als privater Verein gegründet, ab 1986 als Landesmuseum im Martin-Gropius-Bau einen guten Standort und Renommee erworben hatte, entzog der Bund dem Museum den Boden. Es musste ausziehen, der Marsch in die Obdachlosigkeit begann. "Im Jahr 1999 wurde die Berlinische Galerie in eine langjährige Diaspora geschickt", nennt das Thomas Eller, Künstler und ehemaliger Geschäftsführer der Temporären Kunsthalle. "Obwohl es mit dem Postfuhramt anfänglich eine hervorragende Lösung gegeben hätte, wurde das Landesmuseum auf eine lange Reise durch temporäre Orte geschickt, die dem Museum nachhaltig geschadet haben."

Erst nach weiteren Standortdebatten bezog das Museum wieder ein festes Haus im Glaslager, das zwar in Nachbarschaft zum Jüdischen Museum liegt, aber durch seine rückseitige Ausrichtung wie abgehängt wirkt. Merkert bezeichnet noch heute den Standort als "zum Teil schwierig". Doch nach den anfänglichen Orientierungsproblemen "haben die Berliner begriffen, dass es uns gibt. Nach fünf Jahren haben wir uns im Bewusstsein eingependelt."

Im aktuellen Diskurs aber über die Museumslandschaft oder die zeitgenössische Kunst in der Stadt steht die Galerie nach wie vor nicht eben obenan. Diskutiert wird über die Neupositionierung der Neuen Nationalgalerie und des Hamburger Bahnhofs (zusammen 1,1 Millionen Besucher 2008). Gesprochen wird über die Staatlichen Museen, die neue Kunsthalle.

Alice Ströver, kulturpolitische Specherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, hat Jörn Merkert darum schon mal vorgehalten, zu defensiv zu operieren. Die Berlinische Galerie müsse sich viel mehr in zentrale Themen wie die Kunsthalle, Kunst der Gegenwart und als Ort für die junge Berliner Kunst einbringen.

Richtig daran ist, dass das Museum zu beschäftigt mit sich selbst ist. Richtig ist aber auch, dass Merkerts Ausstellungen funktionieren und er lieber heute als morgen mehr zeitgenössische Kunst präsentieren würde. Er kann es aber nicht, nicht weil es an der Kunst, sondern weil es am Geld mangelt. "Wir haben bis in die Gegenwart hinein gesammelt", rund ein Drittel der ausgestellten Werke etwa in "Berlin 89/09" stamme aus dem eigenen Bestand und unterstreiche die Bedeutung des Museums auch als junger Ort. Nur, fährt Merkert fort, "eine solche Ausstellung kann ich nur alle zwei Jahre machen - wenn überhaupt."

Man kocht auf Sparflamme: Das derzeitige Budget beträgt 4,5 Millionen Euro, 3,6 Millionen davon kommen von der öffentlichen Hand. Viele Ausstellungen unterstützt der Förderverein mittels Spenden. Hinzu kommen private Schenkungen, Leihgaben, Mittel aus Sponsoring und Eintrittsgeldern. Einen Ankaufsetat besitzt Merkert nicht. Dafür aber eine Vision - weniger für sich als einen Nachfolger ab 2010.

Der Direktor verfolgt die Debatte um die neue städtische Kunsthalle mit großer Aufmerksamkeit. Weniger, weil er sein Haus für das angemessenste dafür hielte, sondern weil er auf einen Konnex mit dem Projekt hofft. "Unsere Funktionen und Aufgaben sind die eines Museums. Wir sammeln, erwerben Bestände und forschen. Wir stellen aus, wir bilden."

Eine Kunsthalle dagegen sei frei von solchen Strukturen, sagt Merkert, der sich eine "große Internationalität eines solchen Projekts" wünscht. Und er wünscht sich dies in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. "Derzeit entstehen viele neue Galerien rings um die Berlinische Galerie. Eine neue Kunsthalle mit Standort im Blumengroßmarkt wäre der ideale Partner für diese - und wäre kompatibel mit uns und unseren Vorstellungen und Zielen."

Und schon ist Merkert, mitten im fünfjährigen Geburtstag, wieder beim Thema Standortdebatte. Doch nicht allein. Vielmehr geht es dem Direktor um ein kulturpolitisches Gestaltungskonzept, das mittels Synergien kultureller Institutionen nachhaltig und zugleich wegweisend agiert. "Die Berlinische Galerie hat die Basis für die Erinnerung an die moderne und internationale Kunst in Berlin geschaffen". Die Kunsthalle wäre die Basis für deren Zukunft.

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