Stadtentwicklung: Kampf um die Schatzinsel Schwanenwerder
Auf der Insel Schwanenwerder sollen vier Grundstücke teuer verkauft und edel bebaut werden. Aber die Linken wollen die Flächen erhalten und eine Dokumentation zur NS-Geschichte auf der Insel einrichten.
Diese vier Grundstücke will jeder haben: Ein paar wunderbare alte Bäume stehen darauf, das Terrain fällt leicht ab und geht bis zum Wannsee. Der Wind spielt mit dem Schilf am Ufer, das Wasser glitzert tausendfach in der Sonne. Die Ruhe ist - donnert nicht gerade ein PS-starker Geländewagen von einem der superreichen Villenbesitzer vorbei - himmlisch. Die Halbinsel Schwanenwerder ist eine Idylle.
Mit der Ruhe ist es derzeit zumindest symbolisch vorbei auf "Berlins schönster Insel", wie der Immobilienkatalog des Berliner Liegenschaftsfonds die Standorte dieser "einzigartigen, exklusiven Adressen" nennt. Der Liegenschaftsfonds will im Auftrag des Landes die vier Wassergrundstücke Nummer 7, und 7a, 39 und 40 mit zusammen fast 60.000 Quadratmeter Raum als hochwertiges Bauland für Villen und Bungalows veräußern.
Die 25 Hektar große Insel liegt wie eine Linse im Großen Wannsee und ist über eine Autobrücke mit dem Festland verbunden.
1880 kaufte der Unternehmer Wilhelm Wessels die Fläche und parzellierte sie. Die Flächen wurden als Wassergrundstücke veräußert und von potenten Besitzern mit teuren Villen bebaut.
In der NS-Zeit zogen Nazi-Größen wie Joseph Goebbels, Albert Speer und die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink mit einer "Reichsbräuteschule" auf das Eiland. Ihre Grundstücke entrissen sie jüdischen Besitzern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Insel zur begehrten Wohnlage für Schauspieler oder Verleger. Zugleich wurden landeseigene Flächen für Jugendliche und Freizeitaufenthalte geschaffen. Nach dem Fall der Mauer entfiel diese Nutzung.
Gerade haben Star-Architekten in Nachbarschaft zum Aspen-Institut eine avantgardistische Villa gebaut. (rola)
"Beste Lage, super", nennt Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds die Ausrichtung der vier lang gezogenen fußballfeldgroßen Flächen nach Süden mit ihrem sanft abfallenden Niveau zum See hinunter. Man stolpert derzeit zwar über altes Holz und Mauerreste, durch viel Laub und holt sich nasse Schuhe, doch würden Dähne und ihre Kollegen das Okay für den Verkauf vom Senat kriegen, "wären die Grundstücke quasi morgen weg, und zu sooo einem Preis". Bei dem langen "sooo" und bei "Preis" pfeift sie leicht - was bedeutet, der Liegenschaftsfonds erwartet für die noblen Spitzenlagen 20 Millionen Euro und mehr. Irina Dähne: "Zum Schnäppchenpreis ist das hier nicht zu haben."
Doch es gibt kein Okay, sondern Streit. Die für den Verkauf und die Aufstellung eines Bebauungsplans (B-Plan) nötige Änderung des Flächennutzungsplanes (FNP) hat die Linken-Fraktion bisher im Abgeordnetenhaus ihrem Koalitionspartner SPD verweigert. "Der Umwandlung der Gemeinbedarfsflächen in privates Bauland stimmt die Fraktion aus ökologischen und historischen Gründen nicht zu", heißt es dazu in dem jüngsten Fraktionsbeschluss. Im FNP solle die Fläche als "Wald" ausgewiesen werden und öffentlich zugänglich bleiben. Die Fraktion will auch bei der nächsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses zu dem Thema hart bleiben und hofft, die SPD gibt klein bei.
Thomas Flierl, Exkultursenator und jetzt stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus, ist die Triebfeder gegen die Bebauung. Es gehe zum einen darum, die bestehenden freien landeseigenen Flächen "nicht Immobilienspekulanten zu überlassen", so Flierl. Statt der geplanten Villenbebauung müssten die vier Grundstücke aus ökologischen Gründen wieder "öffentlicher Erholungswald" werden.
Zum anderen, betont Flierl, spiegeln die Grundstücke eine vielfache historische Bedeutung, die bedacht bleiben sollte. Tatsächlich war die Insel ein Refugium von Nazigrößen wie Joseph Goebbels und Albert Speer. Letzterer bewohnte damals eines der heute freien Grundstücke. Diese Geschichte müsse per Infotafeln dokumentiert werden, fordert der Linke-Politiker.
Geschichtsträchtig sind die Areale zudem, findet Flierl, da sich - sozusagen als Antipoden zum Villenreichtum - nach Krieg und Mauerbau auf den Anwesen weniger betuchten Berliner Jugendlichen Ferienaufenthalte in Camps ermöglicht wurden. 2002, nach dem Sommer-Orkan und einem toten Kind auf dem Gelände, wurden die Areale peu à peu dichtgemacht und verwilderten bis dato.
Flierl hat außer politischen Kollegen - wie den Grünen - eine gewichtige außerparlamentarische Gruppe um sich geschart, um die Interessen für den grünen Bestand und die historische Dokumentation durchzusetzen. Berliner Naturschutzverbände, Andreas Nachama, Direktor der Topographie des Terrors, Christine Fischer-Defoy vom Verein Aktives Museum sowie Norbert Kampe, Leiter des Hauses der Wannseekonferenz, sind Fürsprecher des Linken-Widerstands.
Nach Ansicht Kampes ist es "sehr wünschenswert", dass der Bezirk Steglitz-Zehlendorf "das Programm der Aufstellung von Informationstafeln auf Schwanenwerder ausdehnt". Zugleich "erscheint es wichtig", mit Schwanenwerder "einen landschaftlich, siedlungsgeschichtlich und historisch herausragenden Ort in der Region zu schützen". Der Charakter der Insel müsse erhalten bleiben und der "Öffentlichkeit zugänglich gemacht" werden. Eine dichte Überbauung der Gelände wäre ein Schaden für Schwanenwerder und ihre Lage im Kontext der dortigen Havellandschaft.
Während der Senat derzeit noch auf dem Anspruch der Umwandlung des FNP beharrt, zeigen die Fraktion der SPD und der zuständige SPD-Baustadtrat im Bezirk Nerven. Dass die Areale mit Infotafeln und Hinweisen zur NS-Geschichte ausgestattet werden sollen, kann sich die SPD jetzt schon vorstellen. Daniel Buchholz, baupolitischer Sprecher in der SPD-Fraktion, hält aber auch die Änderung des FNP in Bauland für sinnvoll. Zugleich verweist er auf die Begehrlichkeiten und möglichen neuen Interessen im Bezirk. Wenn es im Bezirk "jetzt neue Überlegungen gibt, wie das Gelände genutzt werden kann, müsste über den FNP anders nachgedacht werden".
Steglitz-Zehlendorfs Baustadtrat Uwe Stäglin (SPD), der bereits einen Vorentwurf zum B-Plan in der Schublade hat, gibt den Schwarzen Peter zwar wieder zurück ins Abgeordnetenhaus. Sollte der FNP geändert werden, mache sich der Bezirk an die Ausweisung der Grundstücke als Bauland. "Bei keiner Änderung dagegen wird der Bezirk sicherlich über neue Entwicklungen nachdenken."
Es gibt Planer, die sehen das ganz anders. Nebenan baut das berühmte Architekturbüro Graft eine raumschiffartige Millionen-Villa hinter Metallgittern und chiffriert den Ort als den, der er ist: ein Ghetto für Reiche und Superreiche. Warum also diese nicht dort lassen, wohin sie gehören. Zugleich könnten Hinweistafeln über die Geschichte der Insel, die Vertreibung und Neunutzung dort manchen Bewohner mehr ärgern als grüne Flächen.
Dähne vom Liegenschaftsfonds plädiert noch aus einem anderen Grund für den Verkauf. Eine geplante bebaubare Fläche dürfe nur wenig raumgreifend ausfallen. Da werde wenig Vegetation zerstört, meint sie.
Bis zur endgültigen Klärung über die Zukunft der Grundstücke auf Schwanenwerder wird Dähne wohl noch länger ein Ritual vollziehen müssen, das eigentlich keinem gefällt. Wie nach jedem Besuch der Flächen schlingt sie eine Eisenkette um die Tore und schließt mit einem Vorhängeschloss die Grundstücke ab. "Betreten verboten" steht auf dem Schild am Zaun. Diesen Zustand will niemand.
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