Debatte Besuch in China: Obama auf Zehenspitzen

Die Großmächte USA und China rücken noch enger zusammen und bauen gleichzeitig ihre Rivalität um Rohstoffe aus.

Nun hat China den amerikanischen Wirbelwind Barack Obama hinter sich. Eine Obama-Show sind diese vier Tage nicht geworden: Die Pekinger Funktionäre haben ihn ausgebremst, als sie zum Beispiel das Schanghaier "Townhall Meeting" mit Studierenden nicht ins ganze Land übertrugen.

Gleichwohl erwies sich der amerikanische Präsident bei seiner Staatsvisite in China als freundlich, ja fast brav. Er hat alles getan, um seine Gastgeber zu beruhigen: Amerika, so seine ein ums andere Mal wiederholte Botschaft, stellt sich den Chinesen und ihrem Aufstieg in der Welt nicht entgegen. In einer ausführlichen "gemeinsamen Erklärung" formulierten beide Seiten Grundsätze für die weitere Zusammenarbeit. Die chinesischen Interessen wurden dabei stärker betont als die amerikanischen.

So biss Obama auf Granit, als er versuchte, seine Gastgeber zu überreden, ihre Währung aufzuwerten. Die Amerikaner werfen Peking vor, den Yuan künstlich niedrig zu halten, um ihre Waren weiterhin billig in den USA verkaufen zu können. Dies sei unverantwortlich, argumentieren amerikanische Politiker und Ökonomen, weil diese Politik viele Amerikaner den Job koste.

Die Epoche, in der Amerika China als den großen Gegner ansah, ist längst beendet. Bereits in der Amtszeit von George W. Bush sprachen amerikanische Politiker von China als "Teilhaber" und erkannten damit Peking als einen wichtigen Global Player an. Obama hat die Politik seines Vorgängers übernommen.

Ohne China, sagt er, sind die großen Probleme dieser Welt nicht mehr zu lösen. Wenn die Volksrepublik den CO2-Ausstoß nicht bald drosselt, wird sich die Erde weiter erwärmen. Sehr überzeugend klingen seine Argumente in den Ohren der Chinesen auch in diesen Tagen nicht: Sie wissen, dass Obama sicher gutwillig, aber selbst viel zu schwach ist, in seinem eigenen Land eine vernünftige Klimapolitik durchzusetzen. Ebenso genau haben Pekings Diplomaten erkannt, dass die USA ohne sie hilflos sind, wenn es darum geht, Nordkorea und den Iran an der nuklearen Aufrüstung zu hindern.

In den dreißig Jahren, seitdem sie ihre diplomatische Beziehungen aufnahmen, sind die beiden Länder wirtschaftlich so eng zusammengerückt wie noch nie. Die USA sind die größten Kunden für chinesische Waren - nur die EU insgesamt kauft in der Volksrepublik noch mehr ein. Mittlerweile besitzen die Chinesen fast ein Viertel aller US-Schatzbriefe. Allein an Zinsen müssen die Amerikaner ihnen jährlich rund 50 Milliarden Dollar zahlen.

Es hilft nichts, dass die USA im Vergleich zu China immer noch viel reicher sind, ihre Industrie innovativer ist und ihr Militär mächtiger: Spätestens seit der Finanzkrise kann es sich ein amerikanischer Präsident nicht mehr leisten, Pekings Politiker zu verprellen, wenn er nicht teuer dafür bezahlen will.

"China und Amerika bauen ihre Beziehungen aus, um den Herausforderungen der Welt gemeinsam entgegenzutreten", titelte gestern die populäre Pekinger Tageszeitung. Doch viele Chinesen sehen die Zukunft mit den USA skeptisch. Es bleibe "die schwierigste Aufgabe, das strategische Misstrauen zu verringern", sagt Wang Dong vom Institut für Internationale Studien an der Peking-Universität.

Denn trotz aller wirtschaftlichen Abhängigkeiten und aller warmen Worte beim Obama-Besuch: Die Rivalität bleibt bestehen. Beide Staaten konkurrieren heftig um Rohstoffquellen im Mittleren Osten, in Afrika, in Zentralasien. Im Pazifikraum kristallisiert sich der Kampf um die Vormachtstellung bereits deutlich heraus: Erst kürzlich erklärte die graue Eminenz Singapurs, Expräsident Lee Kuan Yew, zum Ärger der Pekinger Regierung, die Amerikaner würden nach wie vor in der Region als Gegenmacht zu China gebraucht.

Denn viele Asiaten trauen China und seiner hochgerüsteten Kriegsmarine nicht. Auch wenn es in den letzten Monaten um die Insel Taiwan ruhiger geworden ist - der Streit schwelt weiter: Peking will notfalls mit militärischen Mitteln verhindern, dass sich die Taiwaner für unabhängig erklären. Die Amerikaner verstehen sich als Schutzmacht der Insel.

Zudem beansprucht die Volksrepublik weite Teile des Südchinesischen Meeres mit seinen Handelswegen und Rohstoffquellen. Chinas Marine hat in den letzten Wochen mehr Schiffe in Richtung der umkämpften Atolle und Inseln geschickt, um zu demonstrieren, dass Peking nicht mit sich spaßen lässt. Es will sich ein sicheres Umfeld schaffen, um den wirtschaftlichen Aufstieg abzusichern - und, am wichtigsten: Es will den Machterhalt der KP garantieren.

Diesen Kerninteressen ordnen die chinesischen Führer alles andere unter, danach richten sie ihre Außenpolitik aus, auch ihr Verhältnis zu Amerika. US-Vizeaußenminister James Steinberg schlug daher kurz vor der Obama-Reise vor, beide Seiten sollten sich gegenseitig über ihre jeweiligen militärischen Absichten informieren und sich immer wieder aufs Neue "strategisch beruhigen".

Diese neue diplomatische Formel hat Obama in Peking zwar nicht aufgegriffen, aber chinesische Militärbeobachter und Politologen debattieren derzeit eifrig darüber, was sich wohl hinter dieser Formel konkret verbergen mag.

Aus der Sicht der USA ist die Besorgnis verständlich: Niemand kann voraussehen, wie sich die Politiker in Peking verhalten werden, wenn die Wirtschaft im eigenen Land absackt und es zu der befürchteten sozialen Krise kommen sollte, die bislang mithilfe eines großen Konjunkturprogramms abgewendet worden ist. Zudem wird 2012 eine neue Führungsgeneration das Ruder übernehmen: Wird sie ebenfalls auf Ausgleich mit den USA bedacht sein? Oder wird sie auf Druck nationalistischer Kreise künftig aggressiver nach außen auftreten?

Ebenso groß ist die Unsicherheit auf chinesischer Seite: Pekings Politiker wissen, dass jeder amerikanische Präsident Spielball innenpolitischer Interessen ist. Sollten im Zuge der Wirtschaftskrise immer mehr Amerikaner arbeitslos werden, könnte der Kongress die Einfuhr chinesischer Waren blockieren.

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Bis Anfang 2012 Korrespondentin der taz in China, seither wieder in der Berliner Zentrale. Mit der taz verbunden seit über zwanzig Jahren: anfangs als Redakteurin im Auslandsressort, zuständig für Asien, dann ab 1996 Südostasienkorrespondentin mit Sitz in Bangkok und ab 2000 für die taz und andere deutschsprachige Zeitungen in Peking. Veröffentlichung: gemeinsam mit Andreas Lorenz: „Das andere China“, wjs-verlag, Berlin

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