Die Stadt der Zukunft: Mehr Grün für alle
Wie sieht die ideale Stadt 2020 aus? Jedenfalls nicht wie das sterbende Automekka Detroit, eher wie die Region Köln-Bonn, die langsam aus dem Asphalttraum erwacht.
BERLIN taz | "Ich bau ne Stadt für dich, aus Glas und Gold und Stein", singt Cassandra Steen in ihrem eingängigen Hit. Stopp. Da fehlt doch etwas: die Grünfläche. Genau darum stritten Forscher und Praktiker beim internationalen Gartensymposium in Hannover. Soll die ideale Stadt im Jahr 2020 mehr Grün haben und wie die Gartenregion Hannover als bundesweite Marke neue Anziehungskraft ausstrahlen? Ist vielleicht weniger Grün in der Stadt bei hoch verdichteter Bauweise aus einem Meer an Hochhäusern besser, weil dann die Landschaft drumherum wenigstens intakt bleibt? Professor Udo Weilacher vom Institut für Entwerfen, Stadt und Landschaft der TU München tritt für diese ungewohnte Denkrichtung ein und hat gleich ein abschreckendes Beispiel zur Hand: Detroit, die einstige Hochburg der drei Autokonzerne General Motors, Chrysler und Ford.
Was von der stolzen Metropole mit 1,8 Millionen Einwohnern im Jahr 1950 und ihrer blinden Ausrichtung auf Autos, Autos, Autos übrig blieb, ist eine Geisterstadt. Weilacher zeigt ein Bild mit Löchern: Unter dem Asphalt liegt in Detroit nicht der Strand, sondern eine verrostete Straßenbahnschiene, ein Symbol des falschen Denkens. "Die öffentlichen Verkehrsmittel wurden schon früh abgeschafft, denn alle sollten Auto fahren", erläutert der Forscher. Detroit ging in die Breite. Die Landschaft wurde von Einfamilienhäusern überschwemmt. Grün starb.
Heute lebt gerade einmal die Hälfte der Einwohnerschaft von damals in der Stadt. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen. "Selbst die Kanalrohre rosten, weil nur noch ganz wenige Abwässer durchfließen", stellt Weilacher fest. Der Hauptbahnhof ist als Ruine erhalten, auf den Parkhausdächern machen sich Pionierpflanzen breit. "Das ungeplante Schrumpfen hat wegen der riesigen Entfernungen der Abnehmer und Einrichtungen einen immensen Energieverbrauch zur Folge", klagt der Münchener Wissenschaftler.
Detroit ist so gesehen eine der teuersten Städte der Welt, Hongkong dagegen das glatte Gegenteil. Mit hoher Wohndichte und minimalem Energieaufwand glänzt es wie eine Zukunftsstadt im Jahr 2020. Die dänische Hauptstadt Kopenhagen führt die mitteleuropäischen Städte an. Sie liegen im gesunden Mittelfeld.
Weilacher sieht eine globale Gefahr im Ausufern der Städte. Er hat den "Traum vom eigenen Häuschen im Grünen" als fatalen Motor der Fehlentwicklung ins Visier genommen. Die Welt als Garten, das hält er für sinnvoll, nicht aber die Stadt als Garten. Schon heute gibt es 300 Millionenstädte. 2050 werden rund drei Viertel der Erdenbewohner in Städten wohnen. Und die wabern endlos in die Landschaft.
Mit so einem - im übertragenen Sinne - "ausgelaufenen Spiegelei" hat es Reimar Molitor zu tun. Der Geschäftsführer der "Regionale 2010 Agentur" will die unter hohem Siedlungsdruck stehende Gegend um Köln und Bonn mit dem Bergischen Land, dem Rhein, der Börde und den Tagebauinseln zu einer lebenswerten Landschaft vergolden. Das ist ein Plan für 15 Jahre. Wenn er auch meint, die Region sei "die größte Klimaanlage Europas", so sieht er noch einen langen Weg, bis die Menschen auch merken, dass sie ohne die grünen Inseln dem Erstickungstod nahe sind. Die Zahl der Asphaltköpfe ist noch immens.
Auch für die Stadt und das Umland von Hannover soll Grün zum Markenzeichen werden. Mit 700 Veranstaltungen und rund neun Millionen Euro gestalten die Verantwortlichen das Jahr der Gartenregion 2009 recht erfolgreich. Mehr als 400.000 Besucher wurden in den 60 Gärten und Parks sowie bei den Kulturhöhepunkten gezählt.
Professor Axel Priebs, Umweltdezernent der Region Hannover, will aber mehr. "Wir wollen damit bundesweit ein Signal geben, dass Hannover grün, frisch und lebenswert ist", stellt er heraus. So soll die Marke Gartenregion auch in den nächsten Jahren gegossen und zur Vollreife gepflegt werden. Neben rund 520.000 Einwohnern in der Stadt leben rund 600.000 in der Region drumherum mit einem Radius von 30 Kilometern. Zersiedlung der Landschaft? Priebs betont, die Planung der Region könne dem heute wirkungsvoll einen Riegel vorschieben. Doch das war ein langer Weg. Grün ist ein Imagefaktor.
Bei schrumpfender Bevölkerungszahl in Deutschland und eskalierender Überalterung wird nach Ansicht von Arno Brandt gerade jetzt ein Kampf der Regionen um junge, familienfreundliche Talente unter 40 Jahren einsetzen. Der Leiter der Regionalwirtschaft der Norddeutschen Landesbank in Hannover fordert: "Eine Stadt muss sich als Marke etablieren, sonst hat sie verloren." Grün ist dabei das Hauptargument. Jede Stadt braucht ein Sauerstoffzelt, damit die Bewohner frei atmen können. Neben ökologischen Qualitäten führt Brandt als wichtige Kriterien Weltoffenheit, Gastlichkeit und Toleranz gegenüber verschiedensten Lebensentwürfen an. Wirtschaftlich stark und reizvoll müsse die Stadt ohnehin sein, um punkten zu können, wie der Ökonom feststellt.
Während die Europäer sich mit ihrer in einem Jahrhundert gewachsenen Gemengelage aus Industrie, Häuschen und Gärten, überlagert von einer euphorischen Straßenplanung, schwer tun und sich in eine grünlandfreundliche Stadtplanung quälen, haben die Scheiche freie Bahn. 30 Kilometer von Abu Dhabi entfernt am Persischen Golf wächst seit mehr als einem Jahr eine neue Ökostadt auf sechs Quadratkilometern für etwa 50.000 Menschen in der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate.
Masdar City soll die erste CO2-neutrale Stadt werden, genug Energie vom Solarkraftwerk tanken, 1.500 Firmen Platz bieten, die Menschen mit einer elektrischen Kabinenbahn befördern und den Abstand von der Wohnung zum Büro auf 200 Meter begrenzen. Das Wasser kommt aus dem Meer und wird entsalzt. Das 15 Milliarden Euro teure Zuhause soll 2016 schlüsselfertig stehen. Einziger Fehler: Grün hat da wenig Chancen. Genauso wie die Sängerin Cassandra Steen. Als Baumeisterin setzt sie in ihrem Lied nur auf Glas, Gold und Stein. Einfallslos. Besorgt fragt sie in ihrem Lied auch noch: "Wo find ich Halt, wo find ich Schutz?"
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