Abschied vom Kicker-Chef: Der Fußballpastor
Karl-Heinz Heimann, 85, der ewigste Journalist des Landes, hat im "Kicker" nach 41 Jahren seine letzte Scheinwerfer-Kolumne geschrieben. Die Fußballsprache prägte er wie kaum ein anderer.
Der Mann hat für den Kicker schon Vorberichte zur WM 1954 geschrieben und war fast 58 Jahre im Job, als Reporter, später Chefredakteur, zuletzt fast ein knackiges Vierteljahrhundert als Herausgeber. In der Summe ist das vermutlich ein publizistischer deutscher Treuerekord. Jetzt hört Karl-Heinz Heimann mit 85 Jahren auf und scheidet zum Jahresende beim Fußball-Puristenblatt aus. Der letzte Scheinwerfer ist gedreht, seine legendäre montägliche Kolumne seit 1968. Fußballdeutschland versinkt ins Halbdunkel.
Heimanns Scheinwerfer hat in seiner ganzen sachlichen Betulichkeit Generationen von Fußballfreunden beglückt und gemartert. Als Kind in den Siebzigern, das nur dank der seitenweisen Kicker-Tabellen (lange vor dem Internet) jedes 0:0 im bulgarischen Abstiegskampf zu analysieren wusste, blickte man immer auf dieses strenge väterliche Gesicht mit Scheitel im kernigen Halbprofil: "K.-H. Heimann dreht den Scheinwerfer." Immer kamen seine Worte mahnend, altväterlich, manchmal pastoral. Heimann schrieb über Achtung, Dankbarkeit, Aufrichtigkeit. Immer abwägend, Ironie nie, Polemik igitt. Nichts, was pubertierenden Jungs gefallen konnte. Aber man las es, wie von einem süßen Gift angezogen.
Mit Beginn seines Chefredakteursdaseins starteten am 21. Oktober 1968 auch Heimanns Dreharbeiten am Scheinwerfer. Schon bei der Premiere zog er "ganz tief den Hut" vor besonderen Leistungen, insbesondere deutschen bei Olympia in Mexiko und zeigte sich ein bisschen als Rassist seiner Zeit, als er die "schwarze Welle" im Langstreckenlauf vorhersagte. Über den 400-Meter-Lauf stellte er fest: "Eine Strecke, die ich nach wie vor für Frauen als mörderisch empfinde."
Sind Sie ein Fußballexperte im Sinne des Kicker?
1. Welches ist bis heute das beliebteste Synonym für den Ball, auch wenn er seit Jahrzehnten aus Kunststoff ist?
2. Wozu wird ein Spieler häufig und wie degradiert?
3. Was machen Sponsoren gern?
4. Wie heißt ein 0:0 auf kickerisch?
5. Wie muss eine Abwehr sein, damit sie sich den Angriffen des Gegners erwehren kann? Tipp: Denken Sie an die Kavallerie!
6. Was tut man gegen eine Betonabwehr (auch wenn sie noch so ledern sattelfest scheint)?
7. Was tun schlechte Abwehrreihen gern? Tipp: Denken Sie postweihnachtlich an Geschenke!
8. Was tut der unzufriedene Trainer gern in der Halbzeit?
9. Was kann auch in der Überflussgesellschaft immer noch Mangelware sein? Tipp: Denken Sie bei Mangeln nicht an Ihre Reinigung.
10. Wohin sind Gerüchte zu verweisen? Tipp: Denken Sie an Tiere.
11. Was tut eine Elf, wenn sie gut drauf ist? Denken Sie an Drogen!
Profi-Zusatzfrage: Wie rettet ein Torwart wem was wann besonders gern worüber? (müll)
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http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/die-antworten-zum-quiz/
Meist jedoch ging es, wie beim Kicker überhaupt, um Fußball. Stets mahnte Heimann Vernunft an und warnte vor übereiltem Urteil. Er bremste bei Triumphen, war immer ausgleichend und so furchtbar kompromissfreudig – 1973/74 war er sogar ausdrücklich für Netzer und Overath im Nationalteam.
Er pries damals den "Revolutionär Turnvater Jahn" und bedauerte den Abstieg von Eintracht Braunschweig, weil es doch "ein erfreuliches Bild war, in der Bundesliga jemanden zu sehen, bei dem Verein so etwas wie Familie hieß". Darauf einen Jägermeister!
Sensationell ist diese Fundstelle beim Blättern im Archiv: 1974 schrieb Heimann über die WM-Niederlage gegen "die Nationalmannschaft der DDR" (üblich sonst war Auswahlmannschaft, gern die der "DDR"), die "im deutsch-deutschen Lokalderby" zudem "taktische Klugheit" gezeigt hätte. Schon damals prangerte Heimann "die Selbstherrlichkeit der Schiedsrichter" an. Ansonsten hielt er sich mit Kritik gern zurück. "Kritiker sind allzu oft nur Neider."
Heimann hat die Rangliste des deutschen Fußballs erfunden, die Torjägerkanone und den Fußballer des Jahres. Auch nach seiner Zeit werden Elfen des Tages gekürt, und die Fußball-Oberlehrer aus allen Liga-Ecken werden die albernen Schulnoten verteilen, auf die jeder Spieler trotz aller Dementi giert.
Der Kicker wird immer puristisch sachlich bleiben, altmodisch, unaufgeregt, immer auf Ballhöhe und Grasnarbentiefe. Skandale aufdecken, Gerüchte lancieren? Sollen andere machen. "Wir haben nie irgendwelchen Zeiterscheinungen nachgehechelt", stellte Heimann zum Abschied klar. Besonders schlimm im Fußballjournalismus: "Verwilderte Sprache und Sitten".
Die Kicker-Auflage bleibt auch in der großen Krise der Printmedien konstant. Immer gilt es, das Kind im fußballinfizierten Mann (90 Prozent der Kicker-Leser) zu bedienen. Fußballdisaffine Menschen werden die juvenile Hingabe an Zahlen und Tabellen nie verstehen können. Heute sind, zumindest online, im Kicker 118 Ligen studierbar - vom Kampionati in Albanien über die kasachische Super League bis zur Abstiegsrunde Zypern; daheim bis hinunter in die 93 deutschen Siebtligen. Ist ja wichtig!
Heimanns Kicker hat die Fußballsprache geprägt und sie gepflegt wie ein abstaubender Ausputzer beim sauberen Tackling. Es ist die Welt der Arbeitssiege und Schönspielerei, vom Kantersieg und dem etatmäßigen Mittelstürmer, ob er bei der stets launischen Diva vom Rhein oder der vom Main spielt. Entscheidend ist die akribische Analyse jeder Torchance, ob hastig vergeben oder scheltenswert vertändelt. Ästhetisch ist das Blatt der Askese verpflichtet geblieben - immer sind Fotos kämpfender Kerle zu sehen, Dokumente des Ist. Symbolbilder sind dem Kicker fremd wie Ironie, Lifestyle oder Feuilletonismus. Dafür ist jeder misslungene Doppelpass viel zu ernst.
Gern war es in Heimanns Scheinwerfer 5 vor 12, gern auch mal 1 vor 12, beim Bundesligaskandal Anfang der 70er sogar "1 Sekunde vor 12!" Noch 1997 glaubte Heimann, nur der Sport "bietet der Jugend Alternativen zu Drogen und Vandalismus!" Immer setzte Heimann ein Ausrufezeichen, wenn ihm etwas wirklich wichtig schien! So!
Zu viel Taktiererei aufm Platz, dieses neumodische Ballgeschiebe, treibt Heimann 2002 betrübt zu einem seiner seltenen Wortspiele: "Da werden Ketten aufgereiht, von denen keine Perle mehr funkelt." Wenn die Nationalelf ("Die Unsrigen") verliert, wie neulich mal, schreibt er: "Keiner war auf dem Platz, an den sich weniger erfahrene Spieler mal anlehnen konnten." Heimann heute lesen ist wie eine Reise in die eigene Kindheit.
Das Blatt aus Nürnberg hat nicht nur sein eigenes Deutsch entwickelt (siehe Kasten), gern setzte es auch Zäsuren: Wann immer sich der Kicker (viel zu spät) an eine Modeformulierung wagte, wusste man: Jetzt ist sie endgültig out. Zuletzt im September: "Robb n Roll: Arjen Robben rockt die Bayern" hieß es im Titel. Karl-Heinz Heimann relativierte die kühne Headline im Scheinwerfer umgehend: Ein "gelungener Coup, der Hoffnungen weckt", aber jetzt müsse der FC Bayern "beim alten Rivalen Borussia Dortmund beweisen, ob die Vorstellung gegen Wolfsburg der Anfang eines neuen Aufschwungs war – oder nicht".
Kurioserweise hatte Heimann mit seinem meinungslosen Ja und Nein unrecht: Tatsächlich folgte mit einem 5:1 der Anfang eines Münchner Aufschwungs, der dann sofort wieder tief ab- und dann wieder aufschwang. Auch die besten Scheinwerfer verlieren im Fußball bei Zukunftsfragen alle Strahlkraft.
Heimann, der "emphatische Positivist des Fußballs" (FAZ), will auch nach Ablauf seiner regulären Spielzeit im Berufsleben ab und an in der Redaktion nach dem Rechten sehen. Ob Rainer Holzschuh, sein Scheinwerfer-Nachfolger, das Licht korrekt zu setzen vermag. Zuletzt fragte sich Leuchter Heimann, warum der Vorsprung der ungeschlagenen Leverkusener in der Bundesligatabelle so gering ist: "Weil das Unentschieden nicht mehr so viel wert ist wie früher."
Ach, früher. Ja, und ob Leverkusen trotzdem Meister wird, weiß selbst der Kicker nicht - mit und ohne Heimann. Immerhin kann Heimann den Fußball meisterlich deuten. Als er kürzlich in der Nürnberger Akademie für Fußballkultur die Laudatio auf Preisträger Bernd Trautmann hielt, den legendären Torwart aus den 50er-Jahren, wusste er mit einer überraschenden Analyse aufzuwarten: Trautmann habe in seiner Kindheit sehr gern Völkerball gespielt. "Und dem Völkerball verdankte er sicher viel, wenn es darum ging, Bälle sicher zu fangen."
Sein letzter Scheinwerfer am Montag befasste sich mit der Problematik des Leihspielers - welch ungewollte Ironie eines Mannes, der zum Abschied nachrechnete, er sei "länger beim Kicker (gewesen) als mit meiner Frau verheiratet". Immer habe ihn "eine Aura von tiefem Respekt" umgeben, lobten die Nürnberger Nachrichten im Dezember ihren Nachbarn, er sei "eine moralische Instanz", "der Mensch gewordene Zeigefinger". Und bitte, so die Zeitung, man müsse ihn in einer Reihe sehen mit den großen Nachkriegsjournalisten Henri Nannen, Rudolf Augstein oder Marion Gräfin Dönhoff.
Ach, Kicker. Ach, Fußball.
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