die wahrheit: Neues aus Neuseeland

Küssen oder Schütteln

Es greift um sich. Nein, es greift nicht, es schmatzt. Fast täglich sehe ich es mit eigenen Augen: Geküsst wird neuerdings auf den Mund. Unter Freunden, im Café, während die Kinder auf ihren aufgeschäumten Fluffy warten: Mmm-mah, Mmm-mah. Mich schockt das als Europäerin nicht wirklich. Ich habe schließlich jahrelange lockere Lippenberührungserfahrung. Sorgen mache ich mir aber um die Kiwis. Wie viel neumodische Intimität kann diese Nation auf die Schnelle verkraften?

Die Mund-zu-Mund-Begrüßung könnte das vorzeitige Ende einer langen neuseeländischen Tradition bedeuten: das verkrampfte Hallo. Es läuft nach komplizierten Regeln ab. Zwingend dazu gehört eine gute Portion an unterschwelliger Panik, weil man nie ganz weiß, wie nah man sich bei der ersten Begegnung kommen soll. Was könnte falsch verstanden werden? Was unhöflich sein? Anfassen oder lieber nicht? War das jetzt zu viel? O Gott, wie peinlich!

Seit Generationen sind Neuseeländer bestens damit zurecht gekommen, sich lediglich einmal quer über die Schafweide zuzuwinken. In Orten, die nur aus einer Straße bestehen, kann man Unterhaltungen von Bürgersteig zu Bürgersteig führen. Platz gibt es genug für alle. Warum dann unnötigen Hautkontakt erzwingen? Höchstens die Geländelaster kommen sich nah, wenn man kurz Seite an Seite auf der Zufahrt zum Hof anhält, um dem Nachbarn durchs offene Autofenster zuzurufen, dass sein Gatter offen steht.

Hat man sich nichts Neues zu sagen, dann reicht im Vorbeifahren das Anheben eines Fingers vom Lenkrad als Begrüßung völlig aus. Genauso gut funktioniert auch ein Kinnschwenker mit unmerklichem seitlichem Kopfnicken. Mehr muss nicht sein. Alles okay bei mir, die Milchpreise steigen, und einen schönen Tag noch, es könnte regnen. Die reduzierte Körpersprache hat bisher bestens funktioniert und weckt Hoffnungen bei Frauen: Wenn Farmer John mit einem Finger so viel ausdrückt, was können dann erst seine anderen Körperteile sagen?

Mit dem inflationären Küssen gehen diese Feinheiten verloren. Schon das wahllose Schmatzen irgendwo ins Gesicht, bevor der Mund als Ziel drankam, war eine Entwicklungsstufe zu viel. Da es fürs Kiwi-Küssen keine verlässlichen Anhaltspunkte gibt wie bei den Franzosen - Wange an Wange und für Freunde noch ein Drittes - kann es sein, dass die Begrüßung auf dem Auge landet, während die Nase gegen das Kinn des Gegenübers stößt. Wie schrecklich unelegant.

Auch Händeschütteln ist kompliziert genug. Ich lag völlig daneben. Erst kürzlich wies mich ein Freund darauf hin, dass Frauen das nicht machen. Nur ein Mann streckt die Hand aus, und auch nur, wenn er sich zum ersten Mal vorstellt. Kurzer Griff, Blick in die Augen, zweimal runter, loslassen. Nicht alle Hände machen das geschmeidig mit. Eine gute Alternative ist der leichte Klaps auf den Unterarm. Freundliche Verbundenheit zum Ausdruck gebracht, kein Speichel im Spiel und immer noch ein halber Meter Abstand gewahrt. Wenn schon Veränderung, dann bitte mit Anstand.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.