HANDBALL-EM : Kapitän in der Krise

Um ein sportliches Desaster zu verhindern, muss das deutsche Team gegen Schweden eine Niederlage verhindern. Michael Kraus taugt dabei nicht als Hoffnungsträger.

Das waren Zeiten: Ein Tor gegen Island, 2007. Bild: reuters

Es sind schwere Zeiten für ihn. Die Unbeschwertheit früherer Tage ist etwas verloren gegangen bei Michael Kraus, kein Wunder. Als Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft sollte er schließlich seinen Kollegen den Weg weisen, aber als es am Mittwoch in die entscheidende Phase ging, als Bundestrainer Heiner Brand das Team in einer Auszeit auf die letzten 28 Sekunden einschwor, da schickte er den Regisseur vom TBV Lemgo auf die Bank. Brand vertraute stattdessen dem Göppinger Michael Haaß, so wie schon im Spiel gegen Polen. "Natürlich hätte ich lieber auf dem Spielfeld gestanden", sagt Kraus vor dem entscheidenden Gruppenspiel der 9. EM gegen Schweden (18.15 Uhr, ARD). "Aber die Entscheidung trifft der Trainer, und deswegen sind wir eine Mannschaft, dass man so etwas trägt."

Kraus kommentiert seine Degradierung scheinbar lässig, er macht keinen besonders geknickten Eindruck im Innsbrucker Hotel Grauer Bär, in dem die deutsche Mannschaft logiert. Er sagt, man dürfe die Kapitänsrolle im Handball nicht mit der im Fußball vergleichen, wo ein ähnlich gelagerter Fall spektakuläre Schlagzeilen schreiben würde. Er sitze keineswegs mit einer geballten Faust in der Tasche. "Haaß hatte eine gute Form. Das akzeptiert man, ganz klar."

Die enormen Schwierigkeiten im spielerischen Bereich, die Deutschland bei der Europameisterschaft bislang verzeichnet, haben freilich ziemlich viel mit der schwachen Form des Spielmachers zu tun, der bei der WM 2007 in Deutschland kometenhaft zum Star aufgestiegen war. Kraus fiel danach schon in manches Loch, etwa bei der EM 2008 in Norwegen, als ihn Brand nach dem Turnier wegen mangelnder Einstellung zum Leistungshandball suspendierte. Aber die aktuelle Krise dürfte die bisher heikelste Phase seiner Laufbahn bedeuten. Sollte Kraus dauerhaft nicht dazu in der Lage sein, das deutsche Spiel zu steuern, dürfte er die prestigeträchtige Kapitänsbinde schon bald nicht mehr tragen.

"Ich bin nicht ganz vorne mit meiner Leistung, ich bin überhaupt nicht zufrieden. Ich denke, der Trainer auch nicht", übt der 26-Jährige Selbstkritik. Er gibt sich einsichtig: "Ich muss versuchen, mehr Ruhe ins Spiel zu bringen, klare Ansagen zu machen, dass weniger technische Fehler passieren. Bisher ist das nicht gelungen, aber ich arbeite hart an mir."

Der Trainer indes schützt seinen formschwachen Star. Kraus interpretiere seine Kapitänsrolle gut. "Er macht das, was ein Kapitän machen muss. Er spricht mit den Spielern und sorgt für gute Stimmung, dafür ist er mitverantwortlich", sagt der 57-Jährige. "Ich kann nicht von einem Kapitän erwarten, dass er in jedem Spiel Topleistung abruft." Torsten Jansen, der mit 172 Länderspielen routinierteste Nationalspieler bei der Europameisterschaft, weist jedoch darauf hin, dass Kraus schlichtweg kein Typ sei wie Vorgänger Markus Baur, der in kritischen Lagen stets souverän auftrat. "Ein Kopf wie Markus Baur wäre ideal, aber wenn so jemand fehlt, dann muss man die Verantwortung auf alle Schultern verteilen."

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass Kraus nicht topfit in dieses Turnier ging. "Mein linkes Knie macht immer noch Probleme. Es ist ein Gefühl von Instabilität", erklärt er. Er nimmt Tabletten, um die Schmerzen zu betäuben, "das gehört dazu in einem solchen Turnier". Andere Probleme, die Kraus in den letzten Monaten hatte, waren allerdings hausgemacht. Seine Wechselabsichten, die er trotz seines langfristigen Vertrages beim TBV Lemgo öffentlich artikulierte, haben viel Unruhe produziert. Er soll sich selbst bei anderen Klubs angeboten haben, so bei den Rhein-Neckar Löwen, auch beim HSV Hamburg. Diese Unstetigkeit scheint sich nicht gerade leistungsfördernd ausgewirkt zu haben.

Er selbst weiß um den Ernst der Lage: Ein Vorrunden-Aus bei dieser Europameisterschaft, das bei einer Niederlage gegen Schweden besiegelt wäre, würde als historisches Desaster in die Handballgeschichte eingehen. "Die Mannschaft befindet sich in einer besonders schwierigen Phase", sagt er. "Eigentlich kein Spieler, der in diesem Turnier das Leistungsvermögen abruft, das er eigentlich draufhat. Aber wir sind jetzt mitten im Turnier, und es gibt keine Ausreden mehr."

BUNDESTRAINER HEINER BRAND

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