Rodeln: Auf blanken Hosen die Eisrinne runter

Wer vom Schnee noch nicht genug hat, wagt sich raus in die Kälte. Da wird ein langweiliger Gras-Huckel plötzlich zur spannenden Eispiste. In den Eisrinnen ist kontrolliertes Rutschen schwierig, aber gerade das ist es, was Spaß macht .

Manchmal kommt man unten nicht so an, wie man oben losrutscht. Bild: dpa

Manche haben genug. Die können dem ewigen Schnee nichts mehr abgewinnen. Bauen keine Schneemänner und werfen keine Schneebälle und Rodeln, das tun sie auch nicht. Die schippen und schimpfen auf die Flocken, die nicht damit aufhören wollen, vom Himmel zu fallen.

Ein paar andere können nicht genug kriegen. Aber viele sind das nicht. Im Hamburger Donnerspark, am Samstag, so gegen zehn: Die Kräne des Güterhafens sieht man nicht richtig, weil es schneit. Schemenhafte Containerschiffe, die außer Ladung auch Hamburger Schnee an Bord haben. Auf der Elbe türmt sich eine Haut von Eis und ein schmales Mädchen sagt: "Nicht schubsen!". Daraufhin schubst sie der Junge, und dann geht es den Hügel runter. Man kann die S-Kurve fahren, das machen die Papas mit den Kleinen, die vorne sitzen und sich an den Schlitten krallen, weil es doch auch hier ziemlich fetzt, oder man kann direkt den steilen Hang runter brettern, dass der Schnee nur so staubt.

Drei Teenies sind mehr mit diskutieren und im Schnee herumrangeln beschäftigt, als mit Rodeln. Sie kriechen den Berg an der steilsten Stelle hoch, weil es so ein prickelndes Gefühl ist, wenn man nicht vorwärts kommt und rückwärts rutscht. Wenn sie dann mal rodeln, bekommt ihr Plastikschlitten ziemlich Karacho auf dem Eis, das unter dem Schnee tückisch lauert. Über den kleinen Schanzen hebt der Schlitten ab und es kracht, wenn er wieder runter kommt. Yorck, zweieinhalb Jahre alt, und Vater Benjamin, der tüchtig mit den Stiefeln bremst, fahren da lieber die zahme Route.

Winterharte Jogger sind unterwegs und die Besitzer weißer Hunde sind froh, dass ihr Tier eine rote Zunge, schwarze Augen und ein braunes Stöckchen zwischen den Zähnen hat, sonst würde man es im Schnee nur an den dreckigen Pfoten erkennen.

Andere Rodelpiste im Rosengarten bei Planten un Blomen. Da geht mehr. Linus, Vivien, Tabea, und Henrik, die zwischen neun und elf Jahre alt sind, rutschen auf blanken Hosen die Eisrinne runter. Das sind so 50 bis 60 Meter und ist ziemlich steil. Vor dem Zaun am Ende des Rosengartens liegen Strohballen, deren Aussehen zeigt, dass sie gebraucht werden. Man kommt unten nicht so an, wie man oben los rutscht. Linus dreht es vom Hintern auf den Bauch und Tabea vom Bauch auf den Rücken. Mit Kontrolle ist da nicht viel, aber gerade das ist es, was Spaß macht.

Bei Vivien wedeln die Haare unter der Mütze und Henrik kreiselt. Linus rauscht ins Stroh. "Joo", lobt er. Tabea findets "echt cool" und streckt unterwegs begeistert die Zunge raus.

Dann kommt Niko, sieben Jahre alt, mit seinem Papa. Niko kennt keine Angst. Er legt sich oben lang in die Rinne, weil das Geschwindigkeit bringt, und wenn der Papa ruft: "Kopf hoch", dann schüttelt Niko ihn unterwegs. Den Kopf. Mit dem er sich dann ein bisschen in die Strohballen gräbt. Er findet das große Klasse. Da wollen auch zwei Mädchen durch die Rinne rutschen, aber das endet mit Tränen und Claras ultimativer Forderung: "Ich möchte jetzt nach Hause." Sie bleiben dann noch ein bisschen, aber fahren auf dem Schlitten nur die brave Version. Das macht auch Niko, dem Papa zu liebe. Jeder auf seinem Schlitten. Der Papa ist schneller, da schwerer. Niko erwirbt sich so die Berechtigung, wieder auf dem Hosenboden durch die Rinne zu rauschen. Schschupp.

Da macht man die Erfahrung, dass ein paar Eiskristalle die Stadt verändern, und aus langweiligen Grasflächen spannende Pisten werden. Und man erfährt was über den Zusammenhang von Spaß und Risiko und das Maß, welches man sich an Mut abfordern kann.

In der Schanze, zur Mittagsessenszeit, Start am Mövenpick-Hotel. Auch hier eine Eisbahn für "Poporutscher". Das sind gelbe oder blaue Plastikteile, die man sich unter den Hintern klemmt. Lasse steht im Weg. Der Träumer. "Lasseeee", und schon verknäueln sich mehrere Minderjährige. Lasse, den sie umgerissen haben, obendrauf. Auf dem Weg abwärts gibts kein Halten. Schön auch, wenn der Papa, der oben anschieben soll, dabei den Halt verliert und zunächst hinter seinen poporutschenden und johlenden Kindern, die Rinne runterfegt. Bis er sie, auf dem Rücken liegend, die Beine oben, überholt. Da Masse physikalisch auf schiefen Ebenen irgendwie mit Geschwindigkeit zusammenhängt. Unten sortieren sich dann die verhedderten Teile der Familie.

Jesse, fünf, hat eine Zahnlücke, durch die er hindurchgrinst. Es ist gar nicht so einfach für ihn, seinen Poporutscher unterwegs nicht zu verlieren, aber es macht auch keinen großen Unterschied, ob er auf ihm sitzt oder nicht, denn auf der Skihose rutscht es sich fast genauso gut. Nur wenn dann plötzlich die Eisbahn aufhört und der Schnee anfängt, überschlägt es ihn. Auch das ist "saucool".

Ein verwegener Papa rast die Rinne im Stehen runter. Solange wir da waren, ist er heil geblieben.

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