Nachruf Erwin Ross: Der Rubens von der Reeperbahn

Er veränderte das Gesicht eines ganzen Stadtteils: Über 50 Jahre lang hat Erwin Ross beigetragen zu dem Bild, das weit über Hamburg hinaus vom "sündigen" St. Pauli herrscht. In der vergangenen Woche ist er gestorben.

Kombinierte Pin-Up mit Handwerk: Der Maler Erwin Ross vor seinen Bildern. Bild: Günter Zint

Am 24. Oktober 1926 kam Erwin Ross zur Welt, in Wrietzen an der Oder. Musste 1944 zum Reichsarbeitsdienst und wenig später zu den Panzerjägern. 18-jährig geriet Ross in englische Kriegsgefangenschaft, wurde nach Ägypten gebracht und kam 1948 zurück: in die werdende DDR. Weil Ross sich die Gefangenschaft mit zeichnerischen Übungen vertrieben hatte, verdingte er sich nun als Reklamemaler.

Neben den antiimperialistischen Parolen gab es ab und zu auch interessantere Aufträge, Fischwerbung für die Konsum-Läden zum Beispiel. Erwin Ross Meerjungfrauen allerdings hatten für den sozialistischen Geschmack zu deutliche Rundungen - nach einer Verwarnung ging er nach "Drüben", landete 1955 in Hamburg, wo er erstmal im Hafen schuftete. Im Jahr darauf konnte er im Stadtteil St. Pauli einen ehemaligen Fleischerladen als Atelier anmieten und arbeitete von da an als Raumgestalter und Dekorateur.

In der schwierigen Nachkriegs- und Aufbauzeit boomte das Amüsiergewerbe. Viele Geschäfte rund um die Reeperbahn hat er entworfen und gestaltet. Der Gipfel der Rossschen Kiez-Kultur waren in den späten Fünfzigern die "Tabu-Bar" und das "Kolibri". Anfang der Sechziger begann Ross damit, Plakate für englische Popgruppen zu malen, unter anderem auch die Beatles.

1962 plante der Hauselektriker des "Tabu", Manfred Weißleder, auf der Großen Freiheit einen Musikladen für junge Leute. Auch da war Erwins Kunst gefragt: Er malte eine Wolkenkratzerskyline - als Bühnenhintergrund für den neuen "Star-Club". Auf dieser Bühne begannen etliche Weltkarrieren, und Ringo Starr schuldet Erwin bis heute ein paar Mark: Den Beatles-Schriftzug, den Ross ihm aufs Schlagzeug pinselte, zahlte er nur an.

Gegen Ende der Sechziger hatten der Aufklärungsfilmer Oswalt Kolle, die Erotik-Versandhändlerin Beate Uhse und die St. Pauli Nachrichten so manche Moral-Bastion geschleift, und Erwins große Zeit konnte beginnen: Erotische Darstellungen konnten nun auch auf offener Straße gezeigt werden. Und was heute Heerscharen von Graffitikünstlern leisten, das schaffte er damals ganz allein: Erwin Ross veränderte das Gesicht eines ganzen Stadtteils.

Zu seinen Auftraggebern - und Freunden - gehörte auch Willi Bartels, einst der Immobilienkönig auf dem Hamburger Kiez. Der erzählte gern, Ross sei der Mann mit den meisten Nummern im legendären Bordell "Eros-Center" wie auch im "Palais dAmour" gewesen: Hier hat er mehrere hundert Zimmernummern auf die Türen gemalt.

Aktiv war er noch bis ins neue Jahrtausend: Für Dieter Wedels TV-Serie "Der König von St. Pauli" hat er die Werbefiguren gemalt, für das Hamburger Astra-Bier eine Serie von Etiketten entworfen.

Erwin Ross hat bis vor wenigen Wochen noch täglich gemalt. Eine Infektion und Herzprobleme machten dem schließlich ein Ende. Mir sagte er noch vor ein paar Monaten: "Wenn ich den Pinsel abgeben muss, dann werde ich auch gleich den Löffel abgeben." Am 12. Februar ist er in Hamburg-Altona gestorben.

Farewell, lieber Erwin.

Der Autor, geboren 1941 in Fulda, begann 1959 als Bildjournalist und Redakteur bei der dpa. Er arbeitete für Twen und den Spiegel und fotografierte nicht nur die frühen Beatles. Später prägten seine Bilder, was Nachgeborene über die Studentenproteste oder auch den Anti-Atom-Widerstand wissen.

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