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Archiv-Artikel

„Ich fand es immer interessant, eine neue Tür aufzumachen“

DER ROCKER Eigentlich ist Manfred Pokrandt schon so gut wie weg: Fünf Wochen Tour mit dem US-Musiker Mitch Ryder stehen an. Es ist ihm anzusehen, dass er sich auf das Leben zwischen Bühne, Backstage und der Fahrt zum nächsten Auftritt freut. Im Gespräch erzählt der Bassist der Ostberliner Band „Engerling“ von ungeliebten Instrumenten, der Band als Beziehungskiste und der Faszination n-dimensionaler Räume

Manfred „Manne“ Pokrandt

■ Der Musiker: Pokrandt wurde am 1. März 1956 in Cottbus geboren – am Gründungstag der Nationalen Volksarmee. Daher hat er seinen 20. Geburtstag auf dem Appellplatz verbringen müssen: „Das war nicht so schön.“ Musikalisch ausgebildet wurde er unter anderem am Konservatorium Cottbus. Seit 26 Jahren spielt er Rock und Blues in der Band Engerling, die seit 1994 die deutsche Begleitband der US-Musikers Mitch Ryder ist. Pokrandt hat zwei Kinder und lebt in Berlin.

■ Der Mathematiker: Pokrandt schrieb seine Diplomarbeit über die „Lösung steifer Differenzialgleichungssysteme mit dem kombinierten Simulationssystem Simkom F 80“. Erklären, was das heißt, kann er heute noch. Die Arbeit noch mal verfassen eher nicht. „Ich glaube, das letzte Mal hab ich vor 30 Jahren reingeschaut.“

■ Der Suchmaschinen-Erfinder: hooolp.com heißt die Suchmaschine, die er seit 2009 betreibt. Gesprochen: hulp. Eine besondere Bedeutung hat das Wort nicht – Pokrandt hatte einen Begriff gesucht, der lautmalerisch funktioniert, wie ein singbares Geräusch. Das neueste Produkt heißt band-box.com. Ein System, mit dem sich Bands mobile Apps bauen können, um ihre Songs, Videos, Tourdaten und Infos, die im Netz verstreut sind, in eine Box zu packen und den Fans zur Verfügung zu stellen.

INTERVIEW SVENJA BERGT FOTOS ROLF ZÖLLNER

taz: Herr Pokrandt, Sie sind Musiker und Mathematiker. Haben diese Gebiete tatsächlich etwas gemeinsam?

Manfred Pokrandt: Es gibt diese Legende. Ich glaube, das kommt daher, dass Einstein Geige gespielt hat. Mathematik wird gern mit Rechnen gleichgesetzt, was ja schon etwas unsinnig ist. Es gibt aber Gemeinsamkeiten zwischen Rechnen und der Notation von Musik, und man kann besonders im Bereich des Rhythmus nette Rechenspielchen machen.

Und, machen Sie das?

Es gibt schon Situationen, in denen man anfängt, zu zählen und zu rechnen. Ich erinnere mich an eine Szene, da haben wir zum ersten Mal mit unserer Band Engerling eine CD mit dem US-Musiker Mitch Ryder aufgenommen. Wir waren voller Ehrfurcht, denn wir hatten ihn schon 1979 im WDR-Rockpalast gesehen. Jedenfalls ging es um einen Akzent in einem bestimmten Teil. Wir haben das einfach abgezählt und auf die Notenblätter geschrieben. Aber weil Mitchs Gitarrist keine Noten konnte, fragte er: „Like that: Dab-da-dab-da-dab-da-dab?“, und spielte den ganzen Teil bis zum Akzent. Und wir dann: „No, no, it’s like: Dab-da-dab-da-dab-da-dab …“, und dann spielten wir den Teil. So gesehen ist in der Musik eine gemeinsame Sprache sehr hilfreich. Mit Mathe hat das nur wenig zu tun.

Wie kamen Sie zur Musik?

Ich habe als Kind Akkordeon lernen müssen …

Müssen?

Na ja, wie das so ist, man fängt etwas an und hat dann irgendwann keine Lust mehr. Heute würden Eltern vermutlich sagen, völlig okay, dass du das nicht mehr willst, mein Schatz. Aber mein Vater sagte: Du hast damit angefangen, du machst das zu Ende, sonst gibt’s hier Dresche.

Warum gerade Akkordeon?

In den 60ern war das beliebt. Mein Vater hörte Musik wie „Aloha Oe“ und „Möwe, du fliegst in die Heimat“, da hatte er dann Tränen in den Augen. Ich musste bei Familienfeiern spielen und das schwere Teil mitschleppen. Aber ich bin ihm heute auch dankbar dafür. Musikalisch gesehen ist das Akkordeon eine gute Grundlage: Weil man mit der Linken die Akkorde spielt, lernt man viel über Harmoniestrukturen. Und mit der rechten Hand ist es quasi wie ein Keyboard.

Sie haben sich irgendwann mit dem Instrument angefreundet.

So richtig nicht. Akkordeon spiele ich heute gar nicht mehr. Ich spiele Bass in der Band, und wenn ich in meinem Tonstudio andere Gruppen produziere, brauche ich vor allem das Keyboard, um Sounds zu erzeugen oder Drums zu programmieren.

Warum haben Sie sich nicht für die Mathematik entschieden?

Tja, warum eigentlich nicht? Ich glaube einerseits, weil schon das Mathematikstudium keine bewusste Entscheidung war. Ich war so ein Wunderkind, hab immer Mathe-Olympiaden gewonnen und so. Daher war ziemlich früh die Weiche gestellt, dass ich das studieren würde. Andererseits war es mit zunehmendem Alter immer verlockender, auf der Bühne zu stehen, als über n-dimensionale Räume nachzudenken. Mathematik muss sich nicht an der Realität messen. Das hat seine Vorteile: Man kann einfach etwas definieren und daraus etwas schlussfolgern, und niemand kann kommen und sagen, das sehe ich aber anders.

Es scheint Sie schon noch zu faszinieren.

Definitiv. Und ich halte es auch für einen großen Vorteil im Leben, wenn man gelernt hat, Sachen rein analytisch zu betrachten, wie ein Schachspieler. Man kann die emotionale Seite damit außen vor lassen. das kann hilfreich sein.

Zum Beispiel?

Es gibt da gerade einen Fall bei meinen Onlineaktivitäten, der uns eine Unterlassungsklage eingebracht hat. Ich hätte vor Wut in den Tisch beißen können, weil ich meinen Job machen und mich nicht mit so etwas herumschlagen will. In einer solchen Situation hilft es sehr, das ganz analytisch von außen betrachten zu können. Was können wir machen, was werden die machen? Also hab ich den Gegner angerufen: Wollen wir uns nicht mal zusammensetzen, ein Bier trinken und das klären? Sonst macht das ein Richter, dessen Sicht auf die Dinge wir beide nicht prognostizieren können, und da können wir auch eine Münze werfen.

Sie sind nach dem Mathematikstudium und einer Ausbildung am Konservatorium in den 80ern direkt als Musiker eingestiegen. War das schwierig?

Für Musiker war es damals im Osten eine ganz gute Zeit, zumindest finanziell gesehen. Die vielen Diskotheken gab es noch nicht, und Musik von der Platte zu spielen war auch noch nicht so angesagt. Wenn man nicht gerade in Dorfkneipen unterwegs war, hat man in Kulturhäusern gespielt. Manchmal waren wenige Leute da, aber Geld gab es trotzdem. Man konnte leichter von der Musik leben als heute.

Was ist heute schwieriger?

Durch mein Tonstudio habe ich einen ganz guten Einblick: Ich habe mit vielen Bands zu tun, die gerade anfangen oder die es seit ein, zwei Jahren gibt. Und die sagen dann: Jetzt haben wir eine CD, was machen wir damit? Wie kriege ich Konzerttermine, wie komme ich in Clubs rein? Das ist ein enormes Problem. Der Veranstalter muss ja Geld verdienen. Er muss Miete bezahlen, die Band, die Gema – also müssen Zuschauer kommen. Bei Engerling haben wir im Schnitt 200, 300 Gäste, da trägt sich das. Aber wenn nur drei Kumpels kommen, und die stehen auf der Gästeliste, dann wird das nichts. Und jetzt stellen Sie sich mal eine Berliner Band in Stuttgart vor. Die fahren nach dem Auftritt im Auto zurück und freuen sich, wenn das Geld für den Sprit reicht und sie noch ein Bier vom Catering übrig haben. Von Musik zu leben ist heute ein sehr hartes Brot.

Der finanzielle Druck ist gewachsen.

Ja, das ist heute eine ganz andere Situation. Wobei früher auch nicht alles einfach war. Wir haben im Osten für unsere Instrumente ein Heidengeld bezahlt, denn die waren immer aus dem Westen. Die Ostmark wurde zum Schluss eins zu elf getauscht, also hat mich ein Bass, der in Westberlin für 1.000 DM zu haben war, 11.000 Mark gekostet. Und als ich in den 80ern mit dem Studio anfing, musste man sehen, über welche nicht legalen Kanäle man an die Ausstattung rankam. Heute ist das alles einfacher, eine CD lässt sich ja schon im Wohnzimmer produzieren. Schwierig wird es, daraus etwas zu machen.

Engerling, Ihre Band, wurde damals beim „Leistungsvergleich der Amateurtanzkapellen“ ausgezeichnet.

Ja, das nannte man damals offiziell noch nicht „Band“. Überhaupt kam Rockmusik in der DDR in den Medien erst zu den Weltfestspielen 1973 auf. Da traten im Vorfeld Gruppen im Fernsehen auf. Die Parteiführung hatte wohl erkannt, dass es sinnvoll war, die Jugendlichen mit ein bisschen Musik zu verwöhnen und dass man damit auch Interessen lenken kann. In der Szene hat man natürlich „Band“ gesagt – wer damals in Berlin Rias hörte oder BFBS oder AFN, der bekam schon mit, was läuft. Da hat man sich auch Musik angehört und später gecovert.

Jetzt spielen Sie schon seit 26 Jahren bei Engerling. Hatten Sie nie den Gedanken: Langsam reicht’s?

Klar, solche Gedanken kommen immer mal. Aber wieso sollte man aufhören, wenn es Spaß macht? Es hängt ja auch viel Geschichte dran: Da wir jedes Wochenende auftreten, sind das inzwischen mehrere tausend Konzerte, die wir hinter uns haben. So lange hält manche Ehe nicht.

Ist das irgendwann auch wie eine Ehe?

Es sind schon ähnliche Mechanismen. Man weiß, wie der andere reagiert, und auch, womit man ihn ganz schnell auf 180 kriegt. Und die Band ist natürlich wahnsinnig eingespielt. Bei Engerling kann unser Sänger mitten im Lied den Titel wechseln, und wir spielen ihm hinterher. Da merkt es auch kein Zuschauer, was da so alles schiefgeht.

Wer sind heute Ihre Fans?

Wir haben viele Fans der ersten Stunde. Aber es ist zum Glück noch nicht so, dass alle um die 60 sind und demnächst sterben. Es kommen auch immer jüngere dazu. Traditionell sind die meisten aus dem Osten, aber gerade durch die Touren mit Mitch kennt man uns im Westen immer besser, das mischt sich immer mehr.

War Berlin Ihre Traumstadt, als Sie in den 80er Jahren hierhergezogen sind?

Nein, damals definitiv nicht. Die Stadt war ja auch nicht so wie heute. Aber das Leben war unheimlich billig. Bücher oder Noten, das hat alles fast nichts gekostet. Für das Studentenwohnheim am Ostbahnhof habe ich gar nichts bezahlt. Zum Schluss hatte ich ein Zimmer in der 21. Etage, mit einem grandiosem Blick über die ganze Stadt.

Auch über die Mauer?

Leider nicht, das Zimmer ging nach Osten.

Wie viel bekommt man eigentlich von einer Stadt mit, wenn man auf Tour ist?

Wenig, leider. Vor einigen Jahren waren wir mit Mitch in Spanien. In Santiago de Compostela hatte ich gerade mal Zeit, nach dem Soundcheck eine halbe Stunde durch die wunderbare Altstadt zu rennen. Oder in Madrid stand ich nach der Show um 3 Uhr vor dem Hotel und musste um 6 aufstehen, um weiterzufahren. Da kann man nicht mal in einer Bar einen Drink nehmen.

Sind Sie beim Reisen auch auf die Idee zu Ihrem neuesten Projekt gekommen, eine Suchmaschine für Livemusik?

Genau. Ich wollte nach Manila und hab versucht, vor der Reise herauszufinden, was da gerade an Livemusik stattfindet. Das ist von hier aus aber praktisch unmöglich, trotz Internet. Die Frage „Wer spielt nächste Woche in Manila?“ beantwortet Google nicht. Aber wenn man da ist, sieht man, dass an jeder Ecke eine Band spielt. Und nachdem ich jahrelang darüber gejammert habe, meinten meine Freunde: Mach’s doch selber.

Mittlerweile ist die Seite schon drei Jahre online.

Online ja, aber noch längst nicht fertig. In den ersten Jahren habe ich gedacht, das kriegen wir nie hin. Ich saß vor der Deutschlandkarte und hab gesehen: Okay, da unten ist Saarbrücken, da oben Flensburg, da spielen überall Bands – und wie kriege ich das jetzt auf meine Seite? Das ist quasi unmöglich.

Und wie ging es doch?

Mit viel Arbeit. Unser Team hat jahrelang unbezahlt an dem Projekt gearbeitet, denn wir haben bis heute keinen Investor im Rücken. Ich hab bis jetzt alles selbst finanziert.

Bekommen Sie denn inzwischen was raus?

Seit April 2011 muss ich kein Geld mehr in die GmbH reinstecken. Also wir arbeiten ungefähr kostendeckend. Aber wichtig ist vor allem, dass wir mittlerweile die Termine von den Veranstaltern kriegen und immer mehr Bands und Clubs selbst ihre Tourdaten bei uns reinstellen. Das ist der Aspekt, den wir auch noch weiter aufbauen wollen.

Inwiefern?

Unser neustes Baby, die band-box, basiert auf der Idee, dass Fans alle Infos über ihre Band gebündelt aufs Smartphone bekommen sollen, also Tourdaten, Songs, Videos, Twitter, Facebook-Pinnwand und was sonst so alles im Netz verteilt ist.

Braucht die Welt das?

Momentan habe ich das Gefühl, die Nachfrage wird größer. Die Verbreitung der Smartphones nimmt ja rasant zu. Die Frage ist ja auch immer: Wie erfährt die Welt davon?

Wobei man die Termine in Manila auch heute noch nicht findet, oder?

Das stimmt, momentan funktioniert es im Wesentlichen nur deutschlandweit. Aber damit sind wir eben schon an der Grenze dessen angekommen, was wir allein stemmen können. Wir haben Versionen auf Englisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, aber um wirklich an die Tourdaten zu kommen, brauchen wir Partner vor Ort. Und mehr Programmierer, die wir bezahlen müssen. Dafür fehlt uns derzeit das Geld.

Und wenn die Suche nach Investoren nicht klappt?

Dann können wir sagen, dass wir es versucht haben. Ich fand es immer interessant, eine neue Tür aufzumachen und zu schauen, was dahinter passiert. Und da draußen gibt es noch eine Menge Türen.