Kreditnetz im Internet: Geld mit Gesichtern

Warum die Kohle auf die Bank tragen, die sie an sonst wen verleiht? Auf Onlinebörsen geben Menschen die Summen direkt. So bahnt sich ein weltweites Revolutiönchen an.

Bei Kiva können Mikrokredite an Unternehmen in Entwicklungsländern vergeben werden. : screenshot www.kiva.org

Bei ihrer Bank hat sich Evelin Ehlert manchmal wie eine Bettlerin gefühlt. Sie ist 49, arbeitet als Krankenschwester in Berlin, 380 Kilometer entfernt von ihrer Heimat: der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Lügde, wo sie in einem Fachwerkhaus wohnt. Ehlert pendelt zu ihrem Zweitwohnsitz, und das sei, sagt sie, genug Unsicherheit für die örtliche Sparkasse gewesen. Sie verlangte 14 Prozent Zinsen für einen Kredit.

"Der Leitzins ist im Keller. Aber die Banken helfen der Mittelschicht nicht. Wahnsinn", schimpft sie. Sie brauchte das Geld, um ein Zimmer für ihre 18 Monate alte Enkelin Solice auszubauen. Schließlich stieß sie auf eine neue Form der Kreditvergabe: Onlineplattformen, die als Marktplatz Kredite von Mensch zu Mensch vermitteln. Die laut der Zeitschrift Finanztest sicherste in Deutschland ist smava.de. Dort liehen acht Anleger 4.250 Euro an Ehlert, innerhalb von 45 Minuten, nachdem ihr Gesuch freigeschaltet wurde - zu 8,2 Prozent Zins im Jahr, inklusive Gebühren an smava.

Das Konzept dahinter nennt sich "Social Lending": Der normale Anleger will viel verdienen, mit geringem Risiko. Der soziale Anleger will sein Geld sinnvoll einsetzen - lieber ein Kinderzimmer finanzieren als ein Atomkraftwerk. "Als Anleger bekommen Sie ein gutes Geschäft und tun etwas Gutes damit", sagt smava-Mitgründer Alexander Artopé. Die Finanzkrise hat er deutlich zu spüren bekommen: positiv. "Viele haben sich gesagt, sie möchten selbst entscheiden, wem sie ihr Geld geben und was damit geschieht", sagt er. Allerdings ist die Sache ein Nischengeschäft. Insgesamt 27 Millionen Euro hat smava seit der Gründung im Jahr 2007 vermittelt. Exakt so viel wie die SPD in den jüngsten Bundestagswahlkampf investiert hat.

Das Prinzip: Menschen verleihen über Onlineplattformen Geld direkt an andere Menschen, falls ihnen der angebotene Zinssatz zusagt.

Die Deutschen: Smava verteilt beim Ausfall eines Kredits den Verlust auf viele Anleger - dadurch sinkt die Rendite. Wer einen Kredit sucht, zahlt erst Gebühren, wenn er ihn bekommt, derzeit zwischen 2 und 2,5 Prozent der Kreditsumme. Bei Auxmoney trägt jeder Anleger das Risiko selbst. Das Einstellen eines Kreditwunsches kostet Gebühren, bei Erfolg werden nochmals 1,95 bis 2,5 Prozent fällig. Auxmoney vermittelt im Gegensatz zu Smava auch Kredite ohne Bonitätsprüfung.

Die Internationalen: Vorreiter war im Jahr 2005 die Seite Zopa in Großbritannien, Wikipedia listet heute weltweit 25 solcher Plattformen. Bei kiva.org kann man zinslose Mikrokredite an Kleinunternehmer aus Entwicklungsländern vergeben.

Momentan sind es bei smava 2 Millionen Euro im Monat. Prosper in den USA bringt es auf 200 Millionen US-Dollar, der "Lending Club" auf 107 Millionen US-Dollar. Geldtröpfchen im Vergleich zu den globalen Finanzströmen. Dennoch wird daraus allmählich ein Phänomen mit Nachahmern in vielen Ländern, das auch die Banken beeinflusst. Claus-Peter Praeg ist Leiter des Zentrums Finanzdienstleister am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Er erforscht im Auftrag von Banken und IT-Dienstleistern, wie soziale Netzwerke das Bankgeschäft prägen, seine Studie "Bank & Zukunft 2010" erscheint in dieser Woche. "Jeder Autohersteller testet seine Modelle frühzeitig mit den Fahrern. Die Banken präsentieren dem Kunden ihre Produkte erst in fertigem Zustand", sagt er. Die Lehre aus dem Web-2.0-Boom sei jedoch, mit den Kunden frühzeitig zusammenzuarbeiten. Das könne den Vertrauensverlust aus der Krise wettmachen.

Die Kreditmarktplätze sieht Praeg als ein Beispiel für den Anfang einer Entwicklung: hin zu neuen Formen von Banken. Ohne die etablierten Kreditinstitute geht es nach deutschem Recht praktisch aber nicht. Das mittlerweile eingestellte Elolly.de hat es versucht, die Bankenaufsicht Bafin schritt wohl nur deshalb nicht ein, weil die Plattform zu klein blieb.

Bei smava laufen die Kredite über die Bank für Investments und Wertpapiere AG mit Sitz in Willich. Formal muss sie zusagen und das Geld, das sie kurzzeitig von den Anlegern erhält, an die Kreditnehmer auszahlen. Kommt die Summe auf dessen Konto, verkauft das Willicher Institut die Kreditforderung automatisch an den Anleger, der den Betrag per Mausklick verleiht. Smava vermittelt lediglich und prüft die Bonität nach den Regeln der Bank. Die erhält einen kleinen Teil der Kreditgebühren, das Risiko trägt der Anleger.

Aber er hat auch die Chancen. Durch den Trick fließt das Geld de facto direkt von Mensch zu Mensch. Der eine erhält eine höhere Rendite als auf Festgeldkonten, die andere zahlt weniger Zinsen. Allerdings nicht immer.

Die FMH Finanzberatung ermittelte in Deutschland für einem 36-Monate-Kredit bei einigen Banken niedrigere Zinssätze als im Durchschnitt bei smava. "Eine neue Form des Banking über derartige Plattformen kann sich erst weiterentwickeln, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden", sagt Praeg. Die Mitwirkung einer Bank sei momentan unerlässlich, denn erst Standards sicherten das Vertrauen: Die Prüfung der Kreditsuchenden durch smava ist genauso hart wie bei der Sparkasse ums Eck. Schufa-Auskunft, Einkommensnachweise, Betriebsergebnisse. Allerdings haben Kleinselbständige, ältere Menschen oder junge ohne festes Einkommen im Räderwerk des Risikomanagements der Banken oft keine Chance, Geld zu fairen Zinsen zu bekommen. Auf Plattformen wie smava zahlen sie meist weniger.

Kleine Ironie der Geschichte: Die Onlinekreditbörsen leben alle noch auf Pump. Sie finanzieren sich mit Risikokapital und sind weit davon entfernt, Gewinn zu machen. Lending Club hat erst im April 24,5 Millionen Dollar eingesammelt, Prosper 14,7 Millionen unter anderem von Google-Chef Eric Schmidt, smava hat insgesamt 8 Millionen Euro von Earlybird und Neuhausen Partners bekommen. Der US-Pionier Prosper, der mit dem Motto "Lets bank on each other" in TV-Spots geworben hatte, zeigt, wie es nicht geht: In der Finanzkrise, schreibt das Online-Magazin The Big Money, hätten dort sechs von sieben Anlegern derzeit Verluste zu beklagen, wegen Zahlungsverzug. Prosper prüfte das aktuelle Einkommen der Kreditsuchenden nicht.

Ob das Geschäft zum neuen Ebay oder zum nächsten Webflop wird, ist noch offen. Marktforscher von Gartner Research schätzen das Volumen für Mensch-zu-Mensch-Kredite 2013 auf 5 Milliarden Dollar in den USA. Ohne eine kritische Masse an Mindestumsatz werden die Seiten nie Gewinn erzielen. "Die Innovationszyklen im Internet sind heute zu schnell, in drei Jahren sind die Plattformen entweder gewaltig gewachsen oder verschwunden", schätzt Praeg.

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