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Debatte LinksparteiNeinsager gegen Jasager

Kommentar von Christian Semler

Die Linkspartei interpretiert die gescheiterte Arbeiterbewegung vielfach falsch. Sie müsste Eckpunkte für eine gerechtere Gesellschaft formulieren.

R ot-Grün-Rot ist in NRW passé, aber die Probleme bei der Bildung einer möglichen linken Koalition bleiben, auch und vor allem für die Partei Die Linke. Das hängt zum einen daran, dass die SPD noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben hat, der Linkspartei erfolgreich "Politikfähigkeit" abzusprechen, ihren Charakter als demokratische Partei anzuzweifeln und sie schließlich in die Rolle einer ostdeutschen Regionalpartei zurückzudrängen. Zum anderen aber hat Die Linke ein strategisches Problem mit der SPD. Sie muss sich von ihr abgrenzen, aber gleichzeitig mit ihr ein Bündnis suchen, das über eine zeitlich begrenzte Zweckgemeinschaft hinausgeht. Das den Weg öffnet für Reformen, die Die Linke als grundlegend ansieht. Rot-Grün-Rot ist für Die Linke nur denkbar als gemeinsames "Projekt".

Oskar Lafontaine ist der Meinung, Die Linke solle sich vor allem darüber definieren, was sie nicht will und wofür sie nicht zu haben ist. Diese "rote Linie" Lafontaines, niedergelegt im Entwurf des Grundsatzprogramms, wird definiert durch das dreifache Nein! zu Privatisierungen, zum Sozial- und Arbeitsplatzabbau und zum Krieg in Afghanistan. Diese drei Neins hat Der Linken zuerst außerordentlich dabei geholfen, sich als Partei im nationalen Rahmen zu stabilisieren. Die Linken antwortete mit ihrem Nein auf die Hartz-Gesetze und deren offensichtliche Ungerechtigkeit, auf die Verschleuderung öffentlicher Güter und auf die Sackgassen der militärischen Interventionspolitik. Das Nein ebnete den Weg für den Parteieintritt von Gewerkschaftern, Friedensbewegten und kapitalismuskritischen Grünen.

Aber diese Abgrenzung verlor an Wirkung, als die SPD abgewählt wurde. Vollends als Oppositionspartei eignete sie sich nach ihren diversen Teilrückziehern immer weniger als Demonstrationsobjekt für den neoliberalen sozialdemokratischen Irrweg. Zudem stürzte sie Die Linke angesichts der rot-roten Koalitionen Berlins und Brandenburgs in eine Krise des Selbstverständnisses. Denn einige Maßnahmen auf Landesebene überschritten die "rote Linie" und wurden und werden gleichwohl von den Parteien beider Länder als annehmbar angesehen.

Grundsätzlich kann eine Partei mit sozialistischem Selbstverständnis sehr wohl auch über einen längeren Zeitraum als Oppositionspartei bestehen. Dies war in der Vergangenheit deshalb leichter, weil die sozialistischen und kommunistischen Parteien sich auf ein intaktes proletarisches Milieu stützen konnten, das heutzutage nicht mehr existiert. Waren sie auch von der zentralen Staatsmacht ausgeschlossen, so diente ihnen das dichte Netz von Arbeiterorganisationen von den Gewerkschaften bis zu den Sportvereinen als Lebenselexier und Rekrutierungsfeld, wenn sie nicht sogar in Kommunen Zentren der Gegenmacht aufbauen konnten. Aber auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen kann eine oppositionelle Politik auf Parlamentsebene auch längere Zeit Erfolg haben, wenn sie gesellschaftlich verankert ist - in Organisationen, Bewegungen, in den fragmentierten Milieus. Münteferings Diktum "Opposition ist Mist" klingt nicht nur idiotisch, sondern ist es auch.

Das Problem für Die Linke besteht nur darin, dass die Praxis einer parlamentarischen Daueropposition nicht davon enthebt, über deren Ziel nachzudenken. Zu Zeiten der Dritten Internationale verwies man auf das Parlament als Tribüne des Klassenkampfes und vertraute einer Linkswendung "der Massen" im Gefolge der ökonomischen Krise. Das ging bekanntlich vor 1933 nicht gut aus. Aber auch die etwas realitätstüchtigere Vorstellung, man könne heute Grüne und SPD angesichts der Krise durch die Dynamik der eigenen Forderungen, zum Beispiel der des Mindestlohns, vor sich her und nach links treiben, bis beide schließlich kooperationswillig werden, taugt nicht viel. Ihr liegt eine zu enge Vorstellung von der Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zugrunde, ganz so, als ob der Rechtsradikalismus nicht auch zu einer Massenoption werden könne. Gewiss, die Resozialdemokratisierung der SPD ist die einzig sinnvolle Perspektive für Die Linke. Aber sie wird nicht einfach durch linken Druck bewirkt, sondern kann nur das Resultat widerspruchsvoller, wechselseitiger Lernprozesse sein.

Klar, dass Schematismus vermieden werden muss, wenn es darum geht, bei Verhandlungen die Grenze des Zumutbaren zu bestimmen. Aber ständig zu betonen, man müsse "flexibel" sein, der bitteren Realität Rechnung tragen, wie bei André Brie jüngst in der taz zu lesen, reicht auch nicht hin. Ein sinnvoller Begriff von Realpolitik muss immer ein dialektisches Moment enthalten. Früher sprach man von der Dialektik von Teilforderungen und Endziel. Was das "Endziel", der "demokratische Sozialismus" sein soll, weiß niemand so ganz genau. Aber zu einer gerechteren Gesellschaftsordnung können Eckpunkte formuliert werden. Die Chance für die Linkspartei besteht darin, Forderungen aufzustellen, die den Lohnabhängigen nützen, den solidarischen Zusammenschluss möglichst vieler Menschen fördern und für die potenziellen Koalitionspartner (gerade noch) annehmbar sind.

Die Fraktion der Linkspartei in NRW hat alles in einen Topf geworfen. Sie unterschied nicht präzise genug, auf welche Forderungen man sich mit Grünen und SPD einigen kann, welche Teilforderungen darüber hinausgehen und welche vorerst im Reich der Zukunftswünsche angesiedelt sind. Was die Verbindlichkeit von Koalitionsentscheidungen anlangt, hat sie sich geweigert, den notwendigen Preis der Zuverlässigkeit zu entrichten. Sie wollte den Rekurs auf Basisentscheidungen als letzte Instanz beibehalten. Daraus folgt: Vertrauensbildende Maßnahmen und Überzeugungsarbeit sind die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie ein "Projekt" jemals entstehen kann.

Aus dem Scheitern der revolutionären Arbeiterbewegung lassen sich ein paar nützliche Lehren ziehen, wie und auf welcher Grundlage halbwegs stabile Koalitionen der Linkspartei in Deutschland möglich wären. Dazu gehört als Erstes, sich dem Faktum des Scheiterns selbst zu stellen - und der Katastrophe, die DDR hieß. Sonst geht gar nichts.

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1 Kommentar

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  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Hätten die Leute vor 1933 wirklich gewußt, wie übel die ganze Sache ausgeht, hätten sie es sich mit der "Niederlage der revolutionären Arbeiterbewegung" und vielen anderen politischen Optionen doch schwer überlegt.

    Der "Lernprozesse" die von der Enstehung und Anspruch her linken Parteien wie SPD und GRÜNE von der durch ihre Wähler wohl kaum wirklich "gedeckten" Interessenspolitik für Reiche und Kapitalstarke wegzubringen, wo diese auch noch gerade schiefgeht, sollte angesichts der Katastrophenvita des Staates BRD und des gehobenen Bildungsstandards allerorten im Bereich des real Möglichen liegen.

    SPD und GRÜNE haben politische eine Regierung in NRW und Hessen nicht gewollt - das sollten ihnen die darunter leidenden Menschen zu recht schwer übelnehmen.

    Die LINKE hat die DDR für eine Diktatur erklärt und zig Dokumente zur historischen Aufarbeitung vorgelegt. Noch einmal abschaffen kann man sie nicht. Diese vielen "Alibiargumente" in der Politik sind für andernorts professsionell Sozialisierte nur schwer ertäglich, auch nach zig Jahren Gewöhnung. Daher die Aktualität des Stoizismus.