Hochwasser in Brandenburg: Oder doch?

Die Flutwelle im Osten Brandenburgs erreicht einen ersten Höhepunkt. Laut Ministerpräsident Platzeck ist die Lage an der Oder "ernst". Die Bewohner fragen sich: Halten die nach dem Hochwasser 1997 ausgebesserten Deiche?

Die Oder am Donnerstag bei Frankfurt Bild: Reuters

Matthias Platzeck ist an die Oder gekommen, wie damals beim "Jahrhunderthochwasser" 1997. Am Donnerstagnachmittag schaut Brandenburgs Ministerpräsident am Winterhafen in Frankfurt vorbei. "Die Lage an der Oder ist ernst", ist Platzecks Urteil. Unweit drängen sich Lastwagen von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk THW in der schmalen Hafenstraße. Dutzende Helfer bauen mobile Deiche auf, befüllen Sandsäcke und sichern das Ufer. Der Pegel steht bei 5,50 Meter. Noch in der Nacht zum Freitag wollte die Stadt die höchste Hochwasseralarmstufe 4 ausrufen.

Der stetig steigende Fluss weckt Erinnerungen an die Jahrhundertflut vor 13 Jahren. Damals hielt das Hochwasser wegen starker Regenfälle in Polen über Wochen an und weichte vielerorts die Deiche auf. Ganze Ortschaften standen unter Wasser. Platzeck war 1997 Umweltminister; er erarbeitete sich in jenen Tagen durch seinen unermüdlichen Einsatz den Titel "Deichgraf". In diesem Jahr hat die Oderflut in Polen bereits Schäden in Milliardenhöhe und mehrere Todesopfer hinterlassen, nun rollt sie unablässig auf Brandenburg zu. Im Landkreis Oder-Spree, südlich von Frankfurt, war bereits am Mittwochabend die höchste Alarmstufe ausgerufen worden. Der Scheitelpunkt der Flut wurde hier für den Donnerstagabend erwartet. Nach Prognosen des Hochwasserlagezentrums soll dieser Höchststand einige Tage anhalten, bevor die Pegel wieder sinken. Und er soll gut einen halben Meter unter dem von 1997 liegen.

Ein Sandsack für den Schutz der Oderdeiche muss einige Kriterien erfüllen. "Die Säcke werden nur schlaff mit etwa zehn Kilogramm gefüllt", klärt das Brandenburger Landesumweltamt auf. Dadurch schmiegen sie sich auf dem Deich allen Unebenheiten an und stopfen Löcher. Die Säcke können wie Ziegel verlegt werden und bilden einen dichten Verbund. Sie sollen zwischen etwa 35 cm mal 55 bis 70 cm groß sein.

Die Säcke sollen aus Jute, dem speziellen Vliesstoff Kridee oder einem Mischgewebe sein. Plastik ist bei Experten verpönt: Eine Mauer aus solchen Säcken gilt als instabil.

Zubinden oder nicht? Das hängt von der Verwendung ab. Säcke, die unter Wasser oder zur Beschwerung von anderen Materialien dienen sollen, werden an der Blume - wie die Einfüllöffnung bei Fachleuten heißt - zugebunden. Die anderen bleiben oben offen, werden aber wie eine Serviette einmal umgeschlagen. Auf diesem Lätzchen liegt dann der rechteckig gepackte Sack - kein Sand kann rausrieseln.

Und: Sandsäcke werden gereicht und nicht geworfen. (dpa)

90 Prozent der Schutzwälle im Hochwassergebiet wurden seitdem erneuert und aufgestockt. Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamts, ist daher optimistisch: "Wir können zwar noch keine Entwarnung geben. Aber das Gute ist: Es gibt auch keinen Grund zur Panik." Bis jetzt halten die Deiche.

Ein Stück südlich von Frankfurt, in Brieskow-Finkenheerd, ist die Stimmung nicht so positiv. Hier liegt eine der kritischen Stellen im Hochwassergebiet. Das Land baut an einem neuen Deich, im Oktober sollte er fertig sein. Keine zehn Meter von der Baustelle entfernt stürzt ein junger Mann aus seinem Haus: "Keine Zeit, ich muss etwas tun. Gummistiefel besorgen, Pumpen und Sandsäcke." Das Haus steht bereits kniehoch im Wasser, von der Terrasse ragt nur noch ein Stück Geländer aus der trüben Brühe. "Und das Wasser wird hier noch gut einen Meter steigen", prophezeit der Leiter der Baustelle. Mit Sand und Planen befestigen Helfer den Rohbau des Deichs, um die 20 Meter entfernte Schnellstraße und die Tankstelle zu schützen. Dem jungen Mann und einigen anderen Hausbesitzern in der gleichen Straße nützt das nichts, ihre Grundstücke liegen außerhalb der Schutzzone.

Noch ein paar Kilometer weiter südlich wartet man Donnerstagnachmittag auf den Scheitelpunkt der Flut. In Ratzdorf erreicht die aus Polen kommende Oder Deutschland. Lothar Müller und Reinhard Lehmann schlendern über den Deich. "Alles trocken hier", sagt Müller, sein Kollege hat die gelbe Regenjacke unter den Arm geklemmt. Die beiden 1,50-Euro-Jobber sind zwei von über hundert Deichläufern, die auf den Deichen im Landkreise Oder-Spree patrouillieren. Seit sechs Uhr morgens sind sie unterwegs. Ihr Job: aufpassen, dass kein Wasser durch den Deich Richtung Land läuft.

"1997 war ich auch schon dabei, das war schlimm. Aber bis jetzt ist ja hier noch nichts", sagt der 59-jährige Müller mit Blick auf das kleine Pegelhäuschen in Ratzdorf. Es ist zur Hälfte im Wasser versunken, 6,20 Meter steht auf der Anzeige. Das sind zweieinhalb Meter mehr als normalerweise zu dieser Jahreszeit und nur 70 Zentimeter unter dem Höchststand von 1997.

Bis zur Oberkante des 2006 erbauten Deichs und der eilig errichteten Spundwand sind es noch rund zwei Meter. "Da hole ich die Gummistiefel noch nicht raus", sagt der Ratzdorfer Jens Richter. Der 21-jährige Bertram Seher zeigt sich besorgter: "Meine Eltern haben schon alle Möbel in den zweiten Stock geräumt. Die kennen das noch von 1997. Und da haben auch alle gesagt, das wird schon nicht so schlimm."

In Frankfurt üben sich am Nachmittag die Politiker in vorsichtigem Optimismus. "Im Moment ist die Lage beherrschbar. Wir haben gelernt von 1997", sagt Oberbürgermeister Martin Wilke. Landesumweltministerin Anita Tack (Linke) bekräftigt: "Die Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen klappt viel besser als damals, deshalb können wir viel genauere Prognosen machen." Für Innenminister Rainer Speer (SPD) ist jedoch noch nichts in trockenen Tüchern: "Die entscheidende Phase des Oderhochwassers für Brandenburg hat begonnen."

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