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Video der WocheSchon mal vom Strand gefaxt?

Videochat, Spracherkennung, Satellitennavigation: Beinahe hellseherisch beschrieb das US-Unternehmen AT&T vor 20 Jahren die digitale Zukunft. Nur in einem Punkt lag es völlig daneben.

Die digitale Zukunft von 1993: AT&T-Werbung versprach mobile Faxgeräte. Bild: screenshot: www.youtube.com

Was passiert, wenn Visionen und Geld sich treffen? Es werden Werbekampagnen kreiert! Der US-Telefonriese AT&T zum Beispiel hatte 1993 offensichtlich von beidem reichlich. Um die Amerikaner auf die telekommunikative Zukunft - natürlich mit AT&T - einzustimmen, ließ man von David Fincher eine Serie von aufwendigen Werbevideos produzieren. Fincher, der später unter anderem mit dem Kinohit "Fight Club" berühmt werden sollte, holte sich dafür als Sprecher auch gleich noch "Magnum"-Star Tom Selleck.

Das Besondere an den Clips: Heute, beinahe 20 Jahre später, haben sich Ideen wie Satelliten-Navigation, Online-Shopping oder Video-Konferenzen per Internet nicht nur verwirklicht - sie bestimmen und ordnen oft sogar den persönlich Alltag. Die allermeisten der Fragen, die Fincher Selleck in beinahe penetranter Weise an die Zuschauer richten ließ, würde man im Jahr 2010 nicht mehr in der Zukunftsform "Du wirst es!" (im Original: "You will!") beantworten. Man macht es einfach.

"Hast Du schon mal ein Buch ausgeliehen, das tausende von Kilometern entfernt steht?" Trotz der traditionsreichen Bücher-Digitalisierungs von Project Gutenberg, dürfte das virtuelle Bücherlesen 1993 nur wenigen gelungen sein. Erst Mitte der Neunziger Jahre wurden Webseiten, damals noch simplester Bauart, populär - dank immer besserer Daten-Autobahnen. Onlineshops waren noch Science Fiction. Das heute weitverbreitete "Portable Document Format", kurz PDF, war erst im Juni desselben Jahres eingeführt worden. Doch Tom Sellecks Stimme bestärkte Technikfreunde: "You will!"

"Bist Du schon mal durchs Land gereist ohne nach dem Weg zu fragen?" Wie war das eigentlich damals, als es nichts Besseres gab als gedruckte Landkarten auf Papier? Als es keine Computerstimme gab, die einen auf die richtige Abzweigung hinweist? Jeder, der auch heute noch ohne Satelliten-Navigation im Auto lebt, weiß: Da kommt es leicht zu ungewollten Umwegen. Erst zur Jahrtausendwende konnte das Mitte der 90er Jahre aufgebaute Global Positioning System (GPS) auch von Privatpersonen genutzt werden. Für Tom Selleck war das absehbar: "You will!"

"Hast Du schon mal ein Fax vom Strand aus verschickt?" Diese Vorstellung dürfte wohl eher Geschäftsmänner als Privatleute interessiert haben. In jedem Fall galt digitale Kommunikation von unterwegs als visionär; immerhin waren Faxgeräte 1993 nicht nur unhandlich groß, sondern auch auf Telefonanschlüsse angewiesen. Dass man schon 15 Jahre später nicht nur Kurznachrichten, sondern sogar Emails, Fotos und Videos von beinahe überall aus verschicken und empfangen kann - das konnte sich damals wohl selbst AT&T nicht so recht vorstellen. Man ließ die Zuschauer von Tom Selleck lediglich auf das bis dato utopische mobile Faxen einstimmen: "You will!"

"Hast Du schon mal einen Film genau zu der Zeit angeschaut, zu der Dir danach war?" Zugegeben, Video-On-Demand war sogar vor nur rund fünf Jahren noch eine Wunschvorstellung. Heute sind die Glasfaser-Kabel der Telekommunikationsunternehmen dick genug für tausende von Video-Stream-Angeboten: für die Live-Streams aus dem taz-Café etwa. AT&T hatte allerdings eher kostenpflichtige Angebote im Sinn. Kostenlose Mediatheken, wie sie etwa ARD und ZDF anbieten - wie hätte das bei den damaligen Hardware- und Übertragungskosten auch bezahlbar sein sollen? Vermutlich ohne die Antworten zu kennen, propagierte Tom Selleck siegessicher: "You will!"

Doch in einem Punkt irrten sich Macher und Sprecher der Clips gewaltig. Am Ende jedes Videos wird jeweils selbstbewusst verkündet, wem man diese schöne neue Welt verdanken wird: AT&T. In der digitalen Welt von 2010 ist das Unternehmen allerdings keiner der entscheidenden Größen mehr. Manche Ideen sind offensichtlich so gut, dass sie sich auch unabhängig vom Entwickler durchsetzen. Vor allem, wenn man sie nicht für sich behält.

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3 Kommentare

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  • AS
    Angst schleuder

    Project Guttenberg heißt immer noch Project Gutenberg. Ist nämlich weder nach einem oberfränkischen Ort, noch nach einer Adelsfamilie benannt...

  • C
    chrysophylax

    Hihi - wars ne Autokorrektur oder ein Freudscher Verschreiber ? "Project Guttenberg" war unser Kriegsminister mit seinen Aktivitäten, ursprünglich gemeint war wohl das mit deutlich friedlicheren Zielen versehene "Project Gutenberg"....

  • WW
    Weirdo Wisp

    Wie man von so manchem amerikanischen iPhone-Nutzer hört, ist AT&T der Grund, warum das mobile Internet dort nicht richtig genutzt wird bzw. genutzt werden kann. Denn deren Netz ist wohl zu instabil und hält die vielen Kunden nicht aus, die im Web surfen wollen. AT&T scheint die Zukunft aktiv verhindern zu wollen.

     

    (In Deutschland ist es allerdings auch nicht viel anders, die Mobilfunkanbieter haben zum großen Teil auch unglaubliche Preisvorstellungen, extrem lange Vertragslaufzeiten und verbieten alles mögliche.)