die wahrheit: Dr. Subtexts Lasagne

Über Bedeutungsebenen und gehaltvolle Nudelgerichte: Jason Hershey sieht nicht aus wie ein Kämpfer. Hershey ist Wissenschaftler, Linguist, ein ruhiger, rundlicher Mann, ...

... der in seiner Freizeit Rosen züchtet. "Aber wenn ich etwas für ungerecht halte, dann werde ich zum Schützenpanzer", sagt er und rührt gedankenverloren in seiner Kaffeetasse. Es ist seine vierte an diesem Morgen.

Vor zweieinhalb Jahren hat der Mann, den die US-Medien nur noch "Doktor Subtext" nennen, eine Klage beim Amtsgericht in San Antonio, Texas eingereicht. Mittlerweile kümmert sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika um die Angelegenheit, und wenn Hershey Recht bekommt, dann wird es für einige Leute "Sterntaler regnen", wie er sagt.

Hershey forscht an der Universität von San Antonio, Texas; sein Spezialgebiet sind die unterschiedlichen Bedeutungsebenen von Texten. "Selbst die einfachsten Texte haben mehrere Ausdrucksdimensionen", sagt er. "Sogar Bildbotschaften sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Nehmen Sie nur die Aufbauanleitung für ein Regal. Wenn dort Schrauben abgebildet sind, die nicht mitgeliefert worden sind, heißt das für den Leser, dass er welche kaufen muss. Wir nennen das kontextabhängigen Subtext, der Kunde nennt es Scheiße." In komplexeren Werken hat Hershey bis zu elf Bedeutungsebenen isolieren können.

Vor sieben Jahren begann er damit, einen Farbcode für sie zu entwickeln. Hershey lacht. "Ich habe irgendwann schlicht den Überblick verloren. Also habe ich jeder Ebene eine Farbe gegeben, sie auf Tafeln geklebt und in den Flur des Instituts gehängt." Schon nach einer Woche ging ihm der Platz aus, und er bat bei anderen Instituten um Amtshilfe. "Sie können mir glauben, der Dekan war am Anfang alles andere als begeistert von der Idee, aber am Schluss hat guter amerikanischer Pragmatismus gesiegt."

Inzwischen sind die Hersheytafeln fest etabliert in der nordamerikanischen Linguistik. "Sie helfen, vertikale und horizontale Bezüge zwischen den einzelnen Ebenen herzustellen", erklärt Hershey. Und er konnte mit ihnen veranschaulichen, dass der Erst- oder Klartext, wie er ihn lieber nennt, im Schnitt nur etwa ein Siebtel eines Werks ausmacht. "Es ist wie mit der berühmten Spitze des Eisbergs." Noch vor zweieinhalb Jahren wäre die Geschichte hier zu Ende gewesen. Aber dann fragte sich Hershey, ob sich hinter seinen Erkenntnissen nicht eine riesige Ungerechtigkeit verbarg.

"Ich bin mit meiner Frau in einem italienischen Restaurant gewesen, Sie wissen schon, einer von diesen schicken Läden, in denen man dem Koch bei der Arbeit zuschauen kann. Ich hatte Lasagne bestellt und beobachtete, wie der Meister erst Teig, dann Hackfleisch, dann wieder Teig, dann wieder Hackfleisch übereinander schichtete. Ich ertappte mich dabei, wie ich darauf wartete, dass eine neue Schicht hinzukommen würde, aber diese Erwartung wurde enttäuscht.

Nur zwei inhaltlich klar divergierende Schichten, und der ganze Spaß würde mich 21 Dollar kosten. Während ich einen Kafka mit im Schnitt neun Schichten in der Taschenbuchausgabe für acht Dollar kriege und ein ganzes Leben lang etwas davon habe. Nennen Sie mich einen Idioten, aber für mich ist das eine himmelschreiende Ungerechtigkeit."

Hershey ging mit einer Normenkontrollklage durch die Instanzen. Seine Forderung: Die Verlage müssen pro Bedeutungsebene eines Werks eine Subtextabgabe zahlen. Für jede neue soll das Doppelte der vorherigen gezahlt werden, und das für Werke und Auflagen seit 1776, dem Gründungsjahr der USA. Unterstützt wird der Agnostiker Hershey darin paradoxerweise von den Kirchen des Landes.

Sie führen schon seit 33 Jahren eine Sammelklage: Die Bibel sei Gottes Wort, er selbst oder Jesus könnten den Gewinn aus Verkäufen aber nicht in Empfang nehmen, weswegen er den Kirchen zustünde. Würde Hershey mit seinem Klage durchkommen, und die Kirchen mit ihrer, könnte der Gewinn der Kirchen das Volumen des Pentagon-Haushalts haben.

Widerstand kommt naturgemäß von den Verlagen, die sämtliche Lobbyisten an die Front geworfen haben. "Wenn Hershey als Sieger aus dieser Schlacht hervorgehen sollte, werden Autoren ihre Texte von vornherein auf zwanzig oder mehr Ebenen anlegen, mit dem Ergebnis, dass wir auf einmal Bücher hätten, die vollkommen unverständlich wären, aber über 300 Dollar kosten würden."

Hershey lassen solche Rechenspiele kalt. "Gerechtigkeit darf keine Frage des Geldes sein", sagt er, und rührt gedankenverloren in seiner fünften Tasse Kaffee.

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