Bisphenol-A-haltige Produkte: Gift in kleinen Dosen
Bisphenol-A (BPA) ist eine Chemikalie, die in vielem steckt. So auch in Babyflaschen und Nuckeln. Wie gefährlich ist sie? Die EU prüft, die deutschen Behörden warten so lange ab.
Es wird eng für die europäischen Kunststoffhersteller: Immer mehr EU-Staaten verbieten Babyflaschen oder andere Produkte, die mit Nahrungsmitteln für Kleinkinder in Kontakt kommen, wenn sie die Chemikalie Bisphenol A (BPA) enthalten. Jüngstes Beispiel: Dänemark. Die liberal-konservative Regierung verbietet entsprechende Plastikprodukte mit dem Inhaltsstoff. Ab 1. Juli werden sie aus dem Handel verschwinden. BPA wirkt ähnlich wie das weibliche Hormon Östrogen und steht unter Verdacht, schwere Krankheiten auszulösen oder zu verstärken. Jahrelang hatten dänische Wissenschaftler die Regierung zu einem Verbot der massenhaft hergestellten Chemikalie gedrängt, die sich in zahlreichen Kunststoffprodukten wiederfindet.
Dänemarks Initiative schließt sich nun auch das Nachbarland Schweden an. Umweltminister Andreas Carlgren teilte mit, man werde ein entsprechendes nationales Verbot erlassen, falls es zu keinem EU-weiten Verbot komme. Dem ging ein Appell zahlreicher WissenschaftlerInnen und der staatlichen Chemiebehörde "Kemikalieinspektionen" voraus. Behördenchefin Ethel Forsberg kritisierte, die EU berücksichtige bei ihrer Risikobewertung äußerst wichtige und von renommierten Wissenschaftlern gemachte Studien nicht ausreichend. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hatte zuletzt 2008 ein Verbot von BPA abgelehnt und den Stoff als unbedenklich eingestuft. Die in der EU geltenden Grenzwerte seien ausreichend .
Die französische Regierung folgte lieber der kritischen Bewertung ihrer nationalen Agentur für Lebensmittelsicherheit und untersagte im Frühjahr Herstellung, Aus- und Einfuhr sowie den Verkauf von BPA-haltigen Babyflaschen. Schon vor zwei Jahren hatte Kanada mit einem solchen Verbot von Babytrinkflaschen und anderen Produkten zur Aufbewahrung von Kleinkindnahrung den Anfang gemacht.
Unklares Zusammenspiel
Auch in Deutschland wurde wegen BPA seither Alarm geschlagen. In seinem Kinder-Umwelt-Survey fand das Umweltbundesamt vor einigen Jahren bei 99 Prozent der 1.790 untersuchten Kinder Bisphenol A im Urin. Andere Studien hätten BPA im Blut, Fruchtwasser und in Gebärmuttergewebe entdeckt, sagt Sarah Häuser, Chemikalienexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND. Weil sich BPA im Körper nicht anreichert, sondern binnen weniger Stunden abgebaut wird, wiesen die gefundenen Belastungen darauf hin, dass Menschen dem Stoff ständig ausgesetzt seien, sagt Silvia Pleschka von der Frauenrechtsorganisation WECF.
Ob die Massenchemikalie BPA gefährlich ist, darüber streiten die Experten. Und für jede Position gibt es die passende Studie. Klar ist: BPA wirkt im Körper ähnlich dem weiblichen Hormon Östrogen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sagt, die Substanz wandle sich im menschlichen Körper schnell in ein Stoffwechselprodukt um, das keine östrogene Wirkung mehr habe und über die Nieren ausgeschieden werde. Zudem existierten für die Verwendung im Lebensmittelbereich Grenzwerte für BPA. Menschen seien also nicht gefährdet.
Stopp, ruft da die Gegenseite. Es gebe ausreichend Studien über die gesundheitsschädliche Wirkung von Bisphenol A. Die Chemikalie könne die Fruchtbarkeit verringern, Brust- und Prostatakrebs auslösen und die Gehirnentwicklung stören. Außerdem steht sie im Verdacht, Diabetes und Fettleibigkeit auszulösen.
Die Bedeutung sehr geringer Mengen der Substanz sei zumindest "unklar", sagt Natalie von Götz vom Institut für Chemie und Bioingenieurwissenschaft der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Zum Zusammenspiel der Hormone im Körper und zu hormonwirksamen Substanzen gebe es noch viele offene Fragen und einen hohen Forschungsbedarf.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau sieht zur Wirkung des Stoffes noch "Datenlücken". Doch die "vorliegenden Kenntnisse sollten ausreichen, die Verwendung bestimmter Bisphenol-A-haltiger Produkte aus Vorsorgegründen zu beschränken", warnt das UBA in einem Hintergrundpapier und fordert, Bisphenol A durch gesundheits- und umweltfreundliche Alternativen zu ersetzen. Den Zeitpunkt für seine Warnung hatte das UBA genau berechnet: Anfang Juli wird, angeregt durch die Verbotsserie europäischer Staaten, eine Stellungnahme der EU-Lebensmittelbehörde Efsa zu der Chemikalie erwartet.
Deutsche warten ab
Von der deutschen Bundesregierung wird ein Verbot derzeit noch nicht erwogen. "Wir warten die Stellungnahme der Efsa ab", sagt Robert Schaller, Sprecher des Verbraucherministeriums in Berlin. Bislang orientiere man sich an der Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung, dass die Aufnahme von BPA über die Nahrung "zu keiner gesundheitlichen Schädigung führt", so Schaller. Die europäische Lobbyorganisation der Kunststoffhersteller, Plastics Europe, verweist auf die "überaus umfangreiche Datenlage" zu Bisphenol A, die eine gute Risikoabschätzung des Stoffes erlaube. Experten der zuständigen Behörden seien auf Basis dieser Daten zu dem Schluss gekommen, dass weitere Schutzmaßnahmen nicht nötig seien.
Verschiedene Umwelt- und Verbraucherorganisationen forderten die Efsa auf, unabhängige Studien zu berücksichtigen. "Eine vorurteilsfreie und umfassende Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Literatur" müsse zu der Erkenntnis führen, dass der Ausstoß von Bisphenol A gesenkt werden muss, vor allem für Hochrisiko-Gruppen wie Kleinkinder und Schwangere, heißt es in einem offenen Brief zahlreicher Organisationen und Wissenschaftler aus Europa und den Vereinigten Staaten an den Vorsitzenden des zuständigen Efsa-Gremiums.
Silvia Pleschka vom WECF betont, die Chemikalie verstecke sich in zahlreichen Alltagsprodukten. "Grenzwerte sind kein Ersatz für ein generelles Verbot", so Pleschka. "Es gibt keinen Grenzwert, bis zu dem Bisphenol A sicher ist."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“