: Keine Trendwende
Immer intensivere Maßnahmen gegen Aids halten das Tempo der Ausbreitung gerade mal konstant
VON DOMINIC JOHNSON UND MARTINA SCHWIKOWSKI
Aids breitet sich immer weiter aus – aber die Geschwindigkeit der Ausbreitung nimmt nicht zu. Dieses teils beruhigende, teils deprimierende Fazit zieht die UN-Aidsbekämpfungsorganisation Unaids in ihrem Jahresbericht 2005, den sie gestern weltweit vorstellte. 40,3 Millionen Menschen weltweit leben demnach mit Aids oder dem HI-Virus. 4,9 Millionen steckten sich in diesem Jahr neu an, 3,1 Millionen starben an Aids. „Trotz Fortschritten in einer kleinen, aber wachsenden Anzahl von Ländern schreitet die Aidsepidemie weiterhin schneller voran als die globalen Bemühungen zu ihrer Eindämmung“, so Unaids.
Die Zahlen für Neuansteckungen und Todesfälle für 2005 sind fast identisch mit denen für 2004. Die Zahl der Toten pendelt nun schon seit vier Jahren um rund 3 Millionen, die der Neuinfektionen um 5 Millionen im Jahr. Man kann dies als Erfolg sehen gegenüber früheren Prognosen einer exponentiellen Ausbreitung der Seuche. Angesichts der jährlich wachsenden Anstrengungen für Prävention und Behandlung kann man daraus auch ablesen, dass immer größere Anstrengungen nötig sind, um das gleiche Ergebnis zu erzielen.
Denn nur dadurch, dass sehr viel mehr Aidskranke auf der Welt inzwischen mit Medikamenten behandelt werden – 1,1 Millionen heute gegenüber 700.000 vor einem Jahr, nach Angaben des Globalen Aidsfonds der UNO –, ist die Zahl der Aidstoten konstant geblieben. 250.000 bis 350.000 Aids-Todesfälle wurden dadurch dieses Jahr vermieden, so der Unaids-Bericht. Insgesamt brauchten rund 6 Millionen Aidskranke weltweit Medikamente – und in Afrika südlich der Sahara wird nur ein Zehntel der Kranken behandelt.
Unaids betont, dass Prävention oder Behandlung nicht als gegensätzliche Alternativen zu betrachten sind. Im Gegenteil: Erst wenn es Hoffnung auf Therapie gibt, wollen Menschen wissen, ob sie HIV-positiv sind. „Die Erfahrung zeigt, dass eine rasche Zunahme der Verfügbarkeit von antiretroviralen Therapien auch eine größere Bereitschaft zum HIV-Test herbeiführt“, so der Bericht. „In Afrika südlich der Sahara könnte ein Gesamtpaket für Prävention und Behandlung 55 Prozent der Neuinfektionen vermeiden, die ansonsten bis 2020 zu erwarten wären.“
Uganda, Kenia und Simbabwe haben mit Programmen zur Veränderung des Sexualverhaltens die Ausbreitung von Aids eingedämmt, lobt Unaids – wobei Simbabwes Massenvertreibungen, so der Bericht, den Trend umgekehrt haben dürften. Am stärksten sei nach wie vor das südliche Afrika betroffen, mit Infektionsraten von teils über 30 Prozent der Erwachsenenbevölkerung.
„Wir befinden uns noch nicht auf dem Höhepunkt der Aidskrise in Südafrika“, warnte gestern in Johannesburg die Oxfam-Regionalkoordinatorin für HIV/Aids, Maren Lieberum. „Es gibt mehr Tote, aber nicht in allen Altersgruppen. Von Mitte zwanzig bis Ende dreißig – in dieser Gruppe der Produktiven sind die Zahlen angestiegen. In der jüngeren Altersgruppe von 15 bis 24 greifen Präventionsprogramme, aber ab Mitte zwanzig aufwärts, wenn die Leute in festen Beziehungen sind, lässt die Vorsorge wieder nach.“
Noch kritischer äußerte sich Nathan Geffen, Sprecher der südafrikanischen Aidskrankengruppe „Treatment Action Campaign“ (TAC): „Es gibt 400.000 Neuinfektionen pro Jahr und 300.000 Tote. Wir befinden uns mitten in der Epidemie, und der Behandlungsplan der Regierung liegt weit zurück. 100.000 Menschen nehmen Aidsmedikamente, 500.000 brauchten welche. Das liegt hauptsächlich am mangelnden politischen Willen.“
In anderen Weltregionen weist Unaids darauf hin, dass die Infektionsrate vor allem bei Benutzern intravenöser Drogen stark ansteigen. Dies gelte für Länder wie Indonesien, Pakistan und Russland. Die dramatischen Epidemien in Asien und Osteuropa, die seit Jahren vorhergesagt werden, sind aber noch nicht eingetreten.
In den Unaids-Jahresberichten sind die jeweiligen Gesamtzahlen der Aidskranken und HIV-Infizierten weltweit nur schwer vergleichbar, weil Erhebungsmethoden und ihre Genauigkeit sich ständig verändern. 2002 hatte Unaids 42 Millionen geschätzt und diese Zahl später nach unten korrigiert.