Dialog: Suche nach dem Draht

Die Hamburger SPD will mit dem Bürger ins Gespräch kommen: In 17 "Politikwerkstätten" wird diskutiert, und der Parteichef übt sich im Zuhören.

Einfach mal nur zuhören: Olaf Scholz, SPD-Vorsitzender in Hamburg. Bild: dpa

Runde Tische mit acht, neun Stühlen. Auf den Tischen Decken aus Papier und dicke Filzstifte. An jedem Tisch ein freier Stuhl. Das Restaurant "Mazza" in Hamburg-Eimsbüttel, Freitag kurz nach 19 Uhr. Der Landesvorsitzende der SPD, Olaf Scholz, hält eine kleine Rede. Er sagt was zum anstehenden Bürgerentscheid über die Schulreform: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn es es ein Ergebnis gibt, aber nicht genug abgestimmt haben."

Es sitzen einige Zuhörer im Saal, die eine lange Rede erwartet haben - und sonst nichts. Nun ist es aber so, dass der Bürger an diesem heißen Abend um seine Meinung gebeten wird. Und um Argumente. Da staunt mancher sichtlich.

"Politikwerkstatt" nennt die Hamburger SPD diese Abende, und insgesamt 17 Mal finden sie statt, Eimsbüttel ist die dritte Station. Als er Landesvorsitzender wurde, hatte Scholz die Vorstellung, dass die SPD mit den Bürgern ins Gespräch kommt - auch mit denen, von denen sie gar nicht gewählt wird. Mitarbeiter haben einen Vorschlag ausgearbeitet. Einige Beteiligte waren zunächst skeptisch - das hat sich erledigt.

"Mir macht das Spaß", sagt Scholz. Die "Politikwerkstatt" ist ein Eingeständnis: Die Partei hat den Draht zum Bürger verloren, die Mitglieder in der SPD repräsentieren nicht mehr den Durchschnitt der Wähler. Die Politiker wissen nicht, was die Hamburger umtreibt. Die "Werkstatt" ist der Versuch, den Kontakt zum Bürger wieder herzustellen. Die SPD verspricht, dass die Vorschläge gesammelt werden und Eingang ins Wahlprogramm für die nächste Landtagswahl finden.

Was die Bürger nicht interessiert: Bülent Ciftlik, der Abgeordnete, der vom Shooting Star zu einer Art heißen Kartoffel der Partei geworden ist. Was sie umso mehr interessiert: Bildung, Wohnungsbau und Rückholung privatisierter Versorgungsbetriebe.

An diesem Abend, so hat Matthias Marx, der Kreisgeschäftsführer der SPD Eimsbüttel gezählt, sind 52 Leute da. Davon hat etwas mehr als die Hälfte nichts mit der SPD zu tun. Das sei angesichts des Wetters und der Schulferien kein schlechtes Ergebnis, findet er. Marx hat alle Vereine und Verbände im Stadtteil Eimsbüttel angeschrieben - kaum Resonanz.

Scholz setzt sich an den ersten Tisch - und hält die Klappe. Jeder stellt sich vor: Name, Beruf. Es geht um den Zusammenhang zwischen Aus- und Bildung und Integration. Eine Frau schreibt einen Satz in grün aufs große Blatt, die Frau neben ihr schreibt weiter. "Investieren wir in Polizei und Stacheldraht oder in Bildung?", fragt eine weitere. Sie sagt: "25 Prozent verlassen unser Schulsystem ohne Abschluss. Das betrifft überproportional viele Migranten, und unter den Migranten überproportional viele Jungen. Da läuft was schief." Alle am Tisch nicken.

"In der Stadtteilschule wird das besser", sagte eine andere Frau. Man solle Migrantenkindern, fordert ein Mann, so viele Bildungsangebote wie nur möglich machen - aber wenn alles nicht nütze, wenn trotzdem Straftaten begangen würden, dann müsse der Staat konsequent sein. Die meisten nicken.

Es wird über die Frage diskutiert, was nach dem 18. Juli passiert, falls die Gegner der Schulreform gewinnen: Nicht die Frage, ob der CDU-Bürgermeister oder die grüne Schulsenatorin zurücktreten, sondern was dann mit den Schulen passiert. Werden trotzdem Lehrer eingestellt und die Klassen kleiner? "Ja", nickt Scholz, "es wird sehr sachlich und sehr an der Sache orientiert diskutiert."

An einem anderen Tisch wird über Demokratie diskutiert. "Wie können Bürgerentscheide so organisiert werden, dass nicht eine mobilisierte Minderheit über die nicht mobilisierte Mehrheit entscheidet?", fragt einer. Es geht darum, wie der Bürger besser informiert werden kann und ob er das überhaupt will.

Nach jeder Diskussion liefert ein Tisch eine Zusammenfassung ab. Wer mit der nicht einverstanden ist, korrigiert sie. Die Zusammenfassungen, zumeist von altgedienten Sozialdemokraten erledigt, sind dröge und langatmig, ganz anders als die Diskussionen selbst.

Scholz weiß, dass er hier etwas verspricht. Er kann das, was hier gesagt und geschrieben wird, nicht ignorieren - das würde sich rächen. Ihm ist nach drei Veranstaltungen klar, dass es Themen gibt, die in allen Stadtteilen relevant sind, und ein paar, die spezifisch sind: In Harburg, erzählt er, hätten die Leute gemerkt, "dass sich Ärzte eine Zulassung holen, um dann so schnell wie möglich wegzuziehen".

Am Ende schnappt sich ein Mitarbeiter alle Blätter und legt sie zusammen. Dann gibt es Essen und Trinken. So müssen sich die alten Griechen das mit der Demokratie vorgestellt haben.

Dem SPD-Chef ist klar: Er kann das, was hier gesagt und geschrieben wird, nicht ignorieren - das würde sich rächen

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