die wahrheit: Mit Haut und Hüften

Die Schweizer Blankärsche geben keine Ruh: Von der neuesten Mode des Nacktwanderns in den Schweizer Voralpen und dem juristischen Kampf ...

... der beiden Appenzeller Halbkantone Innerrhoden und Außerrhoden dagegen wurde hier schon berichtet (Die Wahrheit v. 15. 6. 2010). Der Rechtsstreit wird nun ans höchste Schweizer Gericht weiter gezogen. Das Nacktwandern haben die Schweizer freilich nicht erfunden. Der 1877 in Calw im Schwarzwald geborene, 1923 eingebürgerte und 1962 im schweizerischen Tessin verstorbene Nobelpreisträger Hermann Hesse kam schon viel früher auf den ultimativen Geschmack.

Das Nacktklettern begann vor 100 Jahren im Kurort Amden über dem Walensee im Kanton St. Gallen. Hesse besuchte Amden 1910, aber schon drei Jahre zuvor übte er sich im Nacktklettern in der Künstlerkolonie auf dem Monte Verità in der Nähe von Ascona. Von diesem Aufenthalt gibt es Fotos, die den athletischen Körper des Dichters in seiner ganzer Länge nackt zeigen - von hinten in einer steilen Felswand. Die Fotos machte seine damalige Ehefrau Maria. Heute liegen sie im Literaturarchiv Marbach am Neckar.

Hesse hatte Kontakte zur süddeutschen Lebensreformbewegung und war ein begeisterter Bergwanderer und Skifahrer. In einige seiner Romane und Erzählungen sind seine alpinistischen Erfahrungen eingegangen. Im seinem Text "In den Felsen. Notizen eines Naturmenschen" (NZZ v. 4. 6. 2010) berichtete Hesse über seine Nacktkletterei: "Die Sonne brannte mir fleißig auf die verwöhnte Haut, die Dornen zeichneten mir ein Netz von roten Schrammen auf die Beine; die Knie und Hüften stieß und ritzte ich mir am Kastaniengestrüpp und an den Felsen wund. Aber ich war fröhlich dabei, ich sang und hatte meine Lust an der wilden, schönen Landschaft." Während Hesse sein Naturmenschentum singend und leidend auslebte sowie literarisch verwurstete, sind die Motive der heutigen Appenzeller Nacktwanderer etwas profaner.

Einer von ihnen und sein Anwalt Puistola Grottenpösch kaschieren das Nacktwandern ethisch-juristisch. Sie berufen sich darauf, das Strafrecht sei kein Moralkodex. Der Appenzeller Staatsanwalt befürchtet dagegen, sein Kanton werde zum "Mekka für Leute, die bare Födle herumlaufen". Bare Födle heißt übersetzt "blanke Ärsche". An der Formulierung besticht die Verbindung des Pilgerorts der frommen Muslime mit voralpinem Nacktlaufen. Die Antwort von Grottenpösch auf diese Entgleisung ist nicht überliefert, aber der kernig-naturkundige Hesse hätte dem Staatsanwalt widersprochen. Denn Hesse verstand die Natur als eine Art Durchlauferhitzer für den Körper in allen Lebenslagen - auch beim Skilaufen. Wie beim Nacktklettern spürte der Dichter dabei "Wellen, Täler, Erhebungen durch die Skier und die Knie hindurch". Das empfand er als "genauso zart und schön, wie wenn ein Liebender mit streichelnder Hand über die Glieder seiner Freundin läuft".

"Läuft"? Das wirft die Frage auf, was juristisch abläuft, wenn Hesses Hand "läuft". Der Staatsanwalt spräche wohl vom Interventionsbedarf gegen ein zu befürchtendes "Mekka" des Handlaufens in Steilwänden, auf Skipisten und auf Frauenkörpern.

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