Kolumne Geräusche: Kleiner Text zur Steigerung der Auflage

Michael meinte: Schlag es einfach, schlag es, schlag es, niemand will besiegt werden!

Ich kann es einfach nicht. Selbst wenn ich müsste, könnte ich es nicht. Dann erst recht nicht. Wahrscheinlich würde ich auch versagen, wenn mir jemand einen Revolver an die Schläfe setzte, den Hahn spannte und mir ins Ohr flüsterte: "Okay, Arschloch. Los! Jetzt!" Dabei geht es keineswegs um eh Indiskutables, wie, sagen wir, Milzbrand anzurühren, FDP zu wählen oder einer Bild-Reporterin die Hand zu geben. Nein, es geht ums Auflegen. Ich kann keine Masse zum Tanzen bringen. Erst neulich bat mich eine liebe Kollegin, bei der Feier zu ihrem Abschied "die Musik zu machen". Ich solle mir mal einen Ruck geben, meinte sie sinngemäß. Wörtlich war eher von einem "Stock" die Rede und von meinem Rektum, ich möchte hier nicht näher ins Detail gehen.

Einst hatte ich auf einer Weihnachtsfeier für fünf vertretungsweise Minuten mal ernsthaft versucht, "die Musik zu machen". Das erste Stück war noch nicht vorbei, als eine typische Genossin mittleren Alters angerauscht kam und mich anherrschte: "Er, jetzt spiel doch endlich mal was von Rio!" - "Rio …", echote ich noch lahm, um Zeit zu gewinnen, in Gedanken meine schmalen Bestände an brasilianischem House zu durchforsten, da setzte sie schon nach: "Rio? Reiser? Nie gehört? Ton, Steine, Scherben? Hallo? Wie hast du dich denn zur taz verirrt?"

Diese und noch viel mehr Fragen standen lange im Raum zwischen meinen Schläfen, und zwar genau ein Jahr bis zur nächsten Weihnachtsfeier, wo sich zwei Experten jede volle Stunde abwechselten. Das ging so: Der eine DJ legt nur solche Songs auf, die politisch korrekt, nachhaltig produziert, zertifiziert transgender und biologisch abbaubar sind. Die kochende Masse der Abhottenden? Kühlt aus, lichtet sich zu Grüppchen, atomisiert sich in Einzelne, da!, jetzt geht das letzte unverdrossene Paar sich noch einen Cocktail holen - und das Herz der Sause steht offiziell still … eine Sekunde … zwei Sekunden, bis endlich ein gnädiger Gott (oder der andere DJ) die ersten Takte von "Beat It" erklingen lässt, ein pumpender Defilibrator auf der Brust der Party, und es ist, als würde ein zorniger Moses sein Volk wieder auf der Tanzfläche zusammenschlagen lassen wie ein schäumendes Meer. Hallelujah! So ging das dann stündlich hin und her, auf und ab, und es war ein besinnliches Weihnachtsfest.

Ach ja, und neulich stehe ich still am offenen Fenster in der Küche. Gerade ist ein Gewitter abgegangen, die Vögel zwitschern wieder, die Luft dampft, die Sonne scheint, zwischen den Zweigen der Kastanie funkeln feuchte Spinnennetze. Und plötzlich bolzt überfallartig aus den offenen Fenstern gegenüber "Ramble On" von den blöden Led Zeppelin. Ich wippe willenlos. Ich spiele ein wenig auf der Lufttrommel. Ich summe sogar den schwachsinnigen, tolkienverseuchten Text mit. Ich stehe da bis zum Ende, bin glücklich und muss sagen: Wie mein Nachbar auflegt, also, ich könnte das nicht.

Text: "Twas in the darkest depths of Mordor, I met a girl so fair (Led Zeppelin, "Ramble On")

Musik: Das Knistern einer Zeitungsseite beim Umblättern.

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