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Debatte Sozialer RassismusIm brutalen Wettbewerb

Kommentar von Rainer Kreuzer

Statt über Gott, Gene und Kopftuch zu diskutieren, sind in der harten sozialen Welt wirtschaftspolitische Visionen gefragt. Wir brauchen ein gesellschaftliches Gesamtprojekt.

Alles andere als verweigert: muslimischer Fan des deutschen Fußballs. Bild: dpa

D ie die Republik derzeit erneut umtreibende Integrationsdebatte ist ein Symptom einer Aufspaltung der Gesellschaft. Sie begann Ende der 1960er Jahre. Damals war von Gammlern, Rockern und Hippies die Rede. Wer nach dem Ende der Wirtschaftswunderjahre aus dem hegemonialen Konsens ausscherte, musste mit harten Sanktionen rechnen: Polizeiknüppel, Berufsverbote, Bild-Zeitungs-Hetzkampagnen. Hassprediger, Kopftuchprobleme und Burka waren damals noch kein Thema.

Das Vermummungsverbot richtete sich gegen die "arbeitsscheuen Berufsdemonstranten", gegen "Integrationsverweigerer" in besetzten Häusern. Liberale Politiker suchten den "Dialog mit der Jugend", während die Hardliner mit Hilfe des Terrorparagrafen 129a eine flächendeckende Einschüchterung durchzogen.

Leitkultur ist per se exklusiv

Früher wie heute geht es um die Ressentiments gegenüber Parallelgesellschaften, die zu leugnen keinen Sinn macht. Da scheren Leute aus, missachten "die guten Sitten und Gebräuche" der Mehrheit, vielleicht strafen sie die "deutsche Leitkultur" sogar mit Hohn und Verachtung.

Diesen kulturellen Minderheiten eine Integrationsverweigerung vorzuwerfen, verkennt allerdings deren innere Struktur. Denn diese Gruppen tun in ihren Milieus nichts anderes, als sich zu integrieren. Wer exklusive Subkulturen errichtet, schließt den Rest der Gesellschaft von der Teilhabe darin aus und bleibt selber in seiner kleinen Welt mit sich identisch. Das ist Integration.

Für die Mehrheitsgesellschaft erscheint dies hingegen als Integrationsverweigerung, denn in der abgeschotteten Parallelwelt darf sie nicht mitspielen, diese entzieht sich damit der genaueren Kontrolle durch die Mehrheit. Das wiederum führt zu Kämpfen um die Gültigkeit gesamtgesellschaftlicher Regeln, und diese werden nicht selten brutal ausgetragen. Das schlichte Gemüt fürchtet nichts mehr als den Widerspruch zum "Hier ist es nun mal so". Das gilt für religiöse Dogmatiker wie für Leitkulturapostel gleichermaßen.

Der Autor

Rainer Kreuzer lebt als freier Journalist in Hamburg und ist dort auch als Sozialpädagoge tätig. Seine Themenschwerpunkte sind Sozialpolitik und Wirtschaft.

Beide stehen heute vor einem riesigen Problem: Die geschlossene Anstalt, auf der ihr Weltbild basiert, hat sich längst aufgelöst. Die riesigen Fließbandhallen, Bergwerke und Verwaltungsbürokratien, die einst lebenslange Arbeit und starre Regeln garantierten, haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Insassen entlassen. "Schlanke Belegschaft" und "schlanker Staat" können das breite gesellschaftliche Ganze nicht mehr erfassen. Sie öffnen Räume für Subkulturen oder Parallelgesellschaften: Langzeitstudenten, Drückeberger, Sozialhilfearistokratie, Hartzer und jetzt auch die muslimischen Integrationsverweigerer.

Stigmatisierte Gruppen dieser Art gehören zum wirtschaftlichen Kalkül dazu, weil ihre potenziellen Arbeitsplätze dem Renditegebot geopfert werden mussten. Politisch sind sie nützlich, weil ihnen der ökonomisch bedingte Zerfall dieser Gesellschaft als persönliche Schuld und perfide Absicht zugeschrieben werden kann. Zur Integration gehört stets auch der Ausschluss: die Außenstehenden, von denen sich die integere Gemeinschaft abgrenzt und mit sich selbst zusammenschließt. Ohne Außen gibt es kein Innen.

Die "neue Mitte" ist arg blass

Was Innen und was Außen ist, wird dabei immer fragiler. Wer gehört überhaupt noch dazu und wozu eigentlich? Die vielzitierten Abstiegsängste der Mittelschicht lassen das Phantom der "neuen Mitte" verblassen. Zwischen etablierter Kernbelegschaft und prekärem Jobbermilieu werden die Grenzen flüssiger. Mit gemeinsamen Genen, Abstammungen und Religionen lassen sich da ersatzweise neue Grenzen ziehen, um die neue Unübersichtlichkeit vordergründing überschaubar zu machen.

Der gemeinsame Gott des alten Kapitalismus war, wie Max Weber bereits erkannte, der Tendenz nach protestantisch. Jeder hatte an seinem von oben zugewiesenen Platz seine Arbeit zu verrichten: pünktlich, sauber und korrekt. Stetiger Lebenswandel und "innerweltliche Askese", Fleiß und Bedürfnisaufschub waren allgemeingültige Werte, die eine Zeit lang zu vorzeigbaren Erfolgen führten.

Das von Bismarck eingeleitete solidarische Sozialsystem sollte Unruhen verhindern und die Parallelgesellschaften der Klassen in ein Gesamtsystem integrieren. Das funktionierte über lange Zeiträume hinweg erfolgreich. In den großen Anstalten der Wirtschaft und Verwaltung relativierten sich kulturellen Differenzen gegenüber der gemeinsamen Beziehung, die die Menschen dauerhaft eingehen mussten.

Gene als letzte Hoffnung

An die Stelle von Beziehungen sind im flexiblen Kapitalismus "Transaktionen" zwischen den Menschen getreten, meint Finanzguru George Soros, der dies von der Börse her kennen muss. Tatsächlich werden Verbindungen zunehmend brüchiger. In befristeten Arbeitsverhältnissen entwickelt sich keine tiefere Zugehörigkeit, Minijobs schaffen keine Bindung und Hartz IV kein Klassenbewusstsein.

Auch wer regelmäßig arbeitet, kennt häufig weniger die Belegschaft als vielmehr die temporären, projektbezogenen Teams, die oft sogar miteinander konkurrieren. Der Bismarcksche Konsens wird durch die schrittweise Privatisierung der Sozialversicherungen aufgelöst, Integration verweigert.

Das Problem ist bekannt: Der flexible Kapitalismus entlässt seine Insassen in die Unsicherheit, in einen kaum abgefederten ökonomischen Existenzkampf, den brutalen Wettbewerb. Exklusive Subkulturen versprechen in einer chaotischen Welt klare Orientierungen. Autoritäre Familienbanden sind die letzten geschlossenen Anstalten, die repressive Sicherheit verbürgen. Eine genetisch konstruierte Volksgemeinschaft ersetzt den calvinistischen Glauben an die Gnadenwahl. Wer das richtige Gen besitzt, darf Hoffnung schöpfen.

Statt über Gott, Gene und Kopftuch zu diskutieren, sind in der harten sozialen Welt jedoch wirtschaftspolitische Visionen gefragt, große Entwürfe, die nach dem Bankrott des neoliberalen Projekts wieder das Wohl aller zum Inhalt haben. Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Gesamtprojekt. Wer über Integration reden will, darf über den Kapitalismus nicht schweigen.

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26 Kommentare

 / 
  • AB
    Anette Burkhart

    Lieber Herr Kreuzer.

    Ich finde Ihre Analyse in dem Artikel "Wir Integrationsverweigerer" richtig treffend. Es gibt diese gesellschaftlichen Kräfte, die davon profitieren Integration zu verweigern, die davon leben, ihre Renditen zu erhöhen und die Arbeitsplätze zu vernichten, die es nicht aushalten, dass sie die Kontrolle verlieren und die es nicht aushalten, dass genau ihre Regeln nicht eingehalten werden, die dann auch noch die anderen schuldig sprechen und ihnen Absicht unterstellen. Das Sich-Auflösen der Institutionen, die mit der Globalisierung einhergehende Beziehungslosigkeit, der Mensch als Objekt der Wirtschaft. Es muss wirklich deutlich werden, dass die Ideolgie des Neoliberalismus eine Alternative kennt: Die Rücknahme der Arbeitsteilung auf der einen Seite, die regionale Wirtschaft auf der anderen Seite, aber vor allem auch das Fragen nach den Haltungen hinter den Handlungen: Was veranlasst einen neoliberalen Unternehmer wirklich dazu, die Menschen als Objekt der Ausbeutung zu benutzen, wieviel persönliche Angst steht im Hintergrund, wie kommt die Verzerrung der Sicht zustande, wenn doch jetzt wirklich immer deutlicher wird, das die Globalisierung die Armut nicht vermindert, sondern die Reichen nur reicher macht. Welcher Zynismus spaltet die Persönlichkeit und wo kann persönliche Integration wachsen, ohne dass durch das angeblich so notwendige Wirtschaftswachstum dieser Zynismus und diese Menschenverachtung wächst. Vielen Dank, Herr Kreuzer für Ihre Analyse.

    Anette Burkhart, Emmendingen

  • U
    ULi

    Die taz schreibt fleißig mit bei der Maßnahme der herrrschenden Polit- und Wirtschaftsclique, sich ein neues Volk zu suchen.

  • T
    Tantchen

    Sehr konstruktiver, erhellender Beitrag! Weiter so! Besonders interessant finde ich den Aspekt Familie. Die wachsende materielle Unsicherheit zwingt viele, sich mit der Familie zu arrangieren. Statt individueller Selbstbestimmung sind Clanwirtschaft und Stammesmentalität angesagt.

  • M
    Mateusz

    Ach ja, der postive Kommentar zu Bismarck hat mich gefreut, wobei ich mich jetzt aber frage:

     

    1. Würde Herr Kreuzer jetzt für die Rente mit 70 wie zu der damaligen Zeit plädieren?

     

    2. Oder würde er gar so weit gehen, dass heute der gleiche Bevölkerungsanteil seine Rente erlebt wie damals? Ich schätze, man müsste dann bis ca. 90 arbeiten!?

  • M
    Mateusz

    Ich schwanke zwischen Fassungslosigkeit und Bewunderung:

     

    Irgendwie diesen angeblichen negativen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Integration hergestellt, den es nicht gibt. Hauptsache die Linken motivieren...

     

    Bitte mal 10 Jahre in Berlin-Wedding leben! Dann versteht man auch was Herr Sarrazin meint.

  • A
    atypixx

    Zur Sprache fehlt jedes Wort in diesem Artikel. Wenn - vor allem - Türken seit Jahrzehnten hier leben und kaum mehr als ein paar Brocken Deutsch können, muss die Frage schon erlaubt sein, ob ihnen ein bisschen auf die Sprünge geholfen werden sollte. Gene hin, Kopftücher her.

  • A
    Alex

    Sehr interessante und verwegene These, der ich tendenziell zustimmen würde. Danke für die Anregungen!

  • H
    Hans

    Sehr guter Beitrag ...

    erschreckend, wie gut dieses neue Spaltertum funktioniert. Es kommt eben darauf an, ein nachvollziehbares Feindbild zu konstruieren und da nimmt man sich - immer schon - die Schwächsten einer Gesellschaft und gibt denen die Schuld an allem, vor allem aber an sich selbst. Die genetische Disposition von Koptuchmädchen lässt eben nichts anderes zu.

    Wer sich die soziale Geschichte Indiens ansieht, der erkennt schnell, wie gut solche Strukturen funktionieren - sind sie erst ein mal etabliert.

    Hier beginnt aber das Problem in Deutschland: Diese Denkmuster sind dem Land fremd, so fremd wie das Kopftuch die pathanische Burka oder das Minaret im Frankenland.

    Da müssen noch viele Sarrazene aktiv werden, damit die Gesellschaft vollends an solche Szenarien glaubt. Fürs erste sind aber neue Feindbilder, Spaltungen und sinnlose Konflikte geschaffen, wer interessiert sich da noch für massive Rentenbeschneidungen bei Arbeitslosen, 20 EURO Anpassung nach einem wichtigen Urteil des Verfassungsgerichts oder sinnlosem Geldausgeben für Bankmanager?

    Niemand

    Und darin liegt auch der tiefere Sinn, Menschen für ein Kopftuch, eine Herkunft, ein Gen oder eine Religion anzuprangern. Dass Bild und Spiegel dies fleißig mitbefeuern, ist allerdings mehr als schlimm, denn Medien sollen den Bürger mündig machen, nicht aufstacheln.

  • H
    hto

    "Die die Republik derzeit erneut umtreibende Integrationsdebatte ist ein Symptom einer Aufspaltung der Gesellschaft."

     

    Das ist doch Quatsch, denn diese multischizophrene Gesellschaft ist doch schon gespalten bis in die Tiefen des "Individualbewußtsein".

     

    Was wir mit der "Integrationsdebatte" erleben, ist eine weitere intrigante / bewußtseinsbetäubt-aktionistische Konfusionierungskampagne, für die Verschärfung des zeitgeistlich-reformistischen Wettbewerbs um ...!

     

    Ihr wollt wirklich Visionen, die dann NICHT wieder in irgendeinem Nationalsozialismus und / oder in der gewohnten Überproduktion von Kommunikationsmüll münden? Hört erst einmal auf stumpfsinnige Forderungen und Demonstrationen von scheinbarer Moral an die "Experten / Treuhänder" dieses Systems von "Demokratie" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck zu richten - es gibt nur EINE Wahrheit!?

  • A
    Amos

    Solange der kapitalistische Imperialismus für die herrschende Klasse die Religion ist, wird sich höchstens in der Form was verändern, dass aus der sogenannten Volksherrschaft eine Diktatur des Kapitals wird. Der brutale Wettbewerb sorgt für die Vermehrung des Kapitals, derer, die eigentlich schon genug haben.

    Für einen höheren Lebensstandard der übrigen Bevölkerung sorgt der nicht. Die Wirtschaft ist nicht mehr für das Volk da, sondern das Volk für die Bereicherung der Oberklasse. Die ganzen Scharmützel, die sich gegen das sogenannte Prekariat richten, sind nur eine Demaskierung des Systems selbst. Man hackt auf den Schwächeren rum, weil man selbst ein Drecksack ist.

  • X
    xonra

    "Integration" in welche Muster bitte? Der Begriff ist einfach falsch, wenn man einerseits pathetisch von der "individuellen Freiheit" im globalen Dorf schwärmt, doch dann, jede Abweichung vom Mainstream als Desintegration denunziert. Integration in diese verkrampfte und verlogene "Leistungsgesellschaft", darf man getrost auch als Mord der Möglichkeiten ansehen.

  • TB
    Thomas Bode

    "Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Gesamtprojekt"

     

    Völlig richtig, und daher ist es schade, dass diese wichtigste Einsicht des Beitrags so wenig ausgeführt wird, und ein Lösungsansatz schon gar nicht.

    Aber vor dieser scheinbaren Herkules-Aufgabe schreckt wohl jeder zurück. Die Analysen zu "Parallel-Gesellschaften" zuvor sind auch nicht soo zwingend. Da werden Dinge vermischt die nicht direkt zusammen gehören. Z.B. kulturelle Traditionen der Muslime, und schlichte, soziale Ungerechtigkeit wie bei HartzIV und Niedriglohn. Als Parallelgesellschaften kann man übrigens auch die exklusiven Zirkel der Macht- und Geldelite bezeichnen. Weniger drastisch auch als "Milieus". Der Begriff "Parallelgesellschaften" muss hinterfragt werden, er ist eher ein Popanz der eine negative Bewertung ausdrückt, als sinnvoller Terminus. Und zum "Problem" werden sie im öffentlichen Diskurs erst erklärt, wenn bestimmte Bedingungen dazu kommen. Sonst findet man sie eher niedlich, wie die Dorf-Schwaben in Brasilien oder die Chinesen in Chinatown/NY.

    Aber zurück zum Thema "gesellschaftliches Gesamtprojekt". Da könnte sich die TAZ Verdienst erwerben wenn sie an diesem Thema dran bleibt. Ein "dritter Weg" muss durchdacht und formuliert werden. Und irgend jemand muss das in die Hand nehmen. Wo gibt es Ansätze? Attac, Götz Werner..

  • H
    H.D.

    Seit langem der beste Kommentar, den ich zu diesem Thema gelesen habe.Vielen Dank dafür!

  • J
    Julian

    Was fuer ein Rundumschlag! Ich fuehle mich an meine Zeit bei McDonalds errinnert. Menschen aus 19 Laendern in den selben Kleidern fuehren die selben Bewegungen aus, werden an den selben Standards gemessen. Arbeitssprache Deutsch. Das Unternehmen sollte einen Integrationspreis bekommen. Den Begriff Sozialrassismus mag ich nicht, Rassismus ist eine spezifische Ideologie, kein Label fuer alles und jeden das und den man ablehnt.

  • JJ
    Jared J. Myers

    Hach, tut das gut, diesen Kommentar zu lesen! Endlich verbindet mal einer die Forderung nach Gerechtigkeit und Teilhabe für alle (Thema der Linkspartei) mit der nach Toleranz und Offenheit gegenüber "Parallelkulturen" (Thema der Grünen), eingedenk der Tatsache, dass deshalb noch lange keine nichtstaatliche und neist ungesetzliche Repression innerhalb der Parallelkulturen geduldet werden muss.

     

    Ich habe "exklusiv" schon immer für ein Schimpfwort gehalten.

     

    Was die Visionen für zukünftiges Wirtschaften angeht, muss ich allerdings eine vorhergehende dogmenfreie Analyse anmahnen: Aus mir völlig unbegreiflichen (oder jedenfalls fachfremden) Gründen wurde mit der sogenannten "Neoklassik" der Froschperspektive der Vorzug gegenüber einer Systembeschreibung gegeben. Resultat war die "angebotsorientierte" Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte, die zuletzt alle relevanten Beratungsgremien zumindest in Deutschland dominierte.

     

    Die nahe liegende Idee, das Wirtschaftsgeschehen mittels der Systemtheorie zu beschreiben (http://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie)

    und zu modellieren und daraus Stellgrößen abzuleiten, die sinnvolle staatliche (oder zivilgesellschaftliche) Eingriffe ermöglichen können, wurde vernachlässigt, da das, was dabei herauskommt, sich beim besten Willen nicht zur Rechtfertigung von Steuersenkung und Deregulierung missbrauchen lässt.

  • S
    Stimmvieh

    Es ist schade, dass in Deutschland manche Frauen in einem rechtlosen Raum leben müssen (betrifft auch welche ohne Kopftuch).

     

    Es ist eine Menschenrechtsverletzung.

     

    Man hätte es mal erwähnen können.

  • DP
    Dr. Parnassus

    das neue gesellchaftliche gesamtprojekt, das wir nötig haben sollen also wirtschaftspolitische (sic!) visionen sein???

     

    es ist schon traurig zu sehen wie diese durchökonomisierung allen menschlichen handelns und denkens unsere gesellschaft immer mehr zersetzt.

     

    unverständlich, warum die taz solch neoliberalem dünnschiss eine plattform bietet.

  • BH
    Björn Hens

    Top! Danke für den Beitrag. Manchmal ist die öffentliche Debatte zum Verzweifeln!

  • J
    Jussuf

    Mein Herz hat laut beim Lesen gepocht, kann dem Aufruf nur beipflichten. Wer gesellschaftspolitisch nicht bereit ist, neue Wege zu denken, riskiert den Zerfall der Gemeinschaft.

  • J
    Jens

    Zitat: "Statt über Gott, Gene und Kopftuch zu diskutieren, sind in der harten sozialen Welt jedoch wirtschaftspolitische Visionen gefragt, große Entwürfe, die nach dem Bankrott des neoliberalen Projekts wieder das Wohl aller zum Inhalt haben. Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Gesamtprojekt. Wer über Integration reden will, darf über den Kapitalismus nicht schweigen."

     

    Das haben Sie richtig erkannt. Aber wir sind in einem Land, indem die Gesundheitskosten allein durch den Ausspruch eines Politikers, ich zitiere noch mal: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen" durch die Decke gehen. Da wird es vermutlich noch lange dauern, bis irgendjemand diese Visionen entwickelt und veröffentlicht.

  • I
    Interpretator

    Wenn der Autor von "autoritären Familienbanden" spricht, dann kommen einem wahrscheinlich nicht zufällig die arabischen Familienclans in Berlin in den Sinn, die den Drogenhandel kontrollieren, den Rechtsstaat lächerlich machen und mittlerweile auch die öffentliche Sicherheit bedrohen. Wenn der Autor von "gemeinsamer Religion" spricht, so kann man den Text gegen den Strich lesend, sichg doch auch die fundamentalistischen Gruppen angesprochen denken. Auf diese Weise erhält der Ansatz des Autors einen gewissen Witz- auch gegen den Autor. Dieser versucht, die Integrationsdebatte als eine Art Projektion der Mehrheitsgesellschaft darzustellen, und perfiderweise werden auf diese Weise richtige Erklärungen übergeneralisiert und verlieren damit ihren Erklärungswert. Ich möchte den Autor sehen, wie er an den Gräbern der Frauen, die für die "Ehre der Familien" ermordet wurden, seine Thesen verkündet, diese Frauen seien dem ökonomischen Verfall Deutschlands zum Opfer gefallen. Oder stellen wir uns einmal vor, der Autor würde Zeuge eines homophoben Überfalls arabischer oder kurdischer Jugendlicher in Berlin-Schöneberg. Wie würde er dieses bezeichnen? Als Imagination der orientierungslosen verblödeten Massen?

     

    Was ist mit Integration gemeint?=für alle Einwohner des Landes

     

    Gleichberechtigung, Akzeptanz homosexueller Lebensstile, die deutsche Sprache, Respekt vor den Gesetzen, Bereitschaft zur gesellschaftlichen Teilnahme, Aneignung der Bildungstradition, Verzicht auf Gewalt.

     

    Ist das so furchtbar? Kann man das nicht verlangen und im Falle der Verweigerung den Verweigerern die Tür weisen?

  • BS
    Bendix Schönflies

    Ich dachte, Simmel hätte die Soziologie bis auf weiteres in Hörsäle und Bücher verbannt, nachdem er sie einmal so abschließend begonnen hatte.

     

    Dies ist der bisher schönste Kommentar in der taz zur Integration und ihrer jüngeren Geschichte. Schön geschrieben ist er auch!

  • RP
    Raluca Petrulian

    Perfekt. Danke!

  • DI
    Definition Integration

    Bei den meisten Debatten um Integration, "Ihr" und "Wir" fehlt ganz einfach die Definition. Wer ist integriert? Was bedeutet Integration? Denn viele der sogenannten Einwanderer(bzw. deren Kinder)fragen sich- was sollen wir denn noch tun. Deutsche Gesetze, deutsche Sprache, Abschlüsse, Ausbildung, okay. Aber akzeptiert werden sie trotzdem nicht!!!! Akademikerin mit Kopftuch, welcher Begriff setzt sich sofort in den Köpfen der Leute fest: Integrationsverweigerin....Und man kann nicht von Einwanderern aus armen, einfachen Verhältnissen verlangen, dass diese sich nun bemühen, dass ihre Kinder Abitur machen und studieren, die Voraussetzungen können sie doch gar nicht bieten! Integrationsverweigerer- man sehe sich einmal die Deutschen(oder jede beliebige Nationalität)in anderen Ländern(Auswanderer)an, kaum einer kann die Landessprache, kaum einer hat sofort einen festen Job, und gesucht wird die Gesellschaft von seinesgleichen. Das ist nunmal so, und das liegt sowohl bei den Einwanderern, aber auch bei der Gesellschaft, inwieweit Akzeptanz vorliegt. Solange fadenscheinige Gründe wie der falsche Nachname, ausländisches Aussehen, und Sprachprobleme angeführt werden, kann sich diese Gesellschaft gar nicht aufeinander zu bewegen, weil alle genau wissen, das ist nur vorgeschoben, und in Wahrheit liegen die Gründe ganz woanders, an Deutschlands Unfähigkeit, "andere" zu akzeptieren, und an der Ohnmacht/Hilflosigkeit, mit der Einwanderer alleine gelassen, bzw. noch verhöhnt werden.

  • S
    steffen

    @RAINER KREUZER

     

    Vietnamesische Einwanderer z.B. beweisen, daß unsere Marktwirtschaft inkl. Bildungsystem ganz gut funktioniert.

     

    Und bitte nicht schon wieder über Kapitalsimus schwadronieren. DEN Kapitalsimus gibt es garnicht !!!

     

    Und fragen sie einfach mal Leute wie mich die den real existierenden Sozialismus erleben durften.

    Der hat das Land aus dem ich stamme komplett zerstört und das nicht nur aus Umweltsicht, denn die hat dort keine Rolle gespielt.

  • T
    taz

    sehr richtig! leider sind solche überlegungen in dieser zeitung rar geworden.