Integrations-Debatte in der "Bild": Die Verteidiger der Currywurst
Die "Bild"-Zeitung spielt ein bisschen Völkerball: Sie fühlt sich als Durchlauferhitzer der Volksseele und schürt in der Integrationsdebatte deshalb am liebsten Angst.
Der Türke steht schon lange nicht mehr vor Wien, sondern mitten im alten Berliner Westen. "1. Mietvertrag mit Islam-Klausel", posaunt der Bild-Titel. "Kein Alkohol! Kein Schweinefleisch! Keine Zinsgeschäfte!" auf 6000 Quadratmetern am Ernst-Reuter-Platz. Auf der Seite 3 dann die ganze Geschichte, gleich darunter fordert Horst Seehofer seinen "Zuwanderungs-Stopp!".
Immerhin: Heilig-Krieg-Führen ist auch ausgeschlossen, der von Bild so skandalisierte Vertrag schließt nämlich auch "Verkauf, Produktion, Vertrieb oder Vermarktung von Massenvernichtungswaffen" aus. Rechtlich sei das wohl okay, wirke aber "grenzwertig", zitiert Bild den Deutschen Mieterbund.
Doch wie passt diese "Fiese Mullahs wollen uns Currywurst und Schultheiss wegnehmen"-Berichterstattung überhaupt in das Integrationsblatt Bild? Die im Kommentar heute Seehofer geradezu dialektisch zurecht weist: Es gehe nicht darum "keine Ausländer mehr ins Land zu lassen". (Sondern, klar, darum "wer zu uns kommt".) Deren Chefredakteur Kai Diekmann im Beirat der türkischen Boulevardzeitung Hürriyet sitzt und dort gern salbungsvolle Sätze wie "Wir rufen alle auf, Respekt vor den Gefühlen des jeweils anderen zu zeigen" schreibt?
Und wo Ex-Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök seit kurzem selbst eine Kolumne hat, die allerdings in der Tat in Ordnung geht: "Allah schütze Deutschland" war sein erster Text am Freitag überschrieben, schließlich glauben "beide Religionen", Christen wie der Islam, "an denselben Gott".
Da wüsste man gern, was die christliche-jüdische Leitkultur davon hält oder oder der gestern in Bild zitierte Sprecher des Erzbistums Berlin auf gut katholisch dazu meint. Aber den führt Bild lieber auf altperfide Weise vor und lässt ihn zur mietrechtlichen "Islam-Klausel" Unsinn über "wenn die Strafe für Ladendiebstahl Handabschlagen wäre" mutmaßen.
"Doch davon ist hier nicht die Rede" steht presserechtlich geschickt am Ende des Satzes. Wie das beim Leser ankommen soll, bleibt trotzdem klar.
Wir freuen uns schon darauf, was Bild-Chefgastkommentator Ernst Elitz zur Anti-Bockwurst-Klausel zu sagen hat. Denn ausgerechnet der Intellektuelle Elitz macht für Bild heute den sanften Scharfmacher. Der ehemalige Deutschlandradio-Intendant gibt sich her für Schlichtheiten wie die, dass Sarrazin "unverblümt viele Wahrheiten über unser Land" sage: "Zu viele Kopftücher, zu viel Hartz IV, zu wenig Leistung". Oder: "Deutschland braucht keine Brüderle-Initiative zur Anwerbung von Schlauköpfen aus dem Ausland."
Bild mag oberflächlich tiefgründig tun und sich Integration und Völkerball auf die Fahnen schreiben. Drinnen bleibt das Blatt der verlässliche Anheizer, dem kein populistischer Aufschlag zu billig ist, um das angeblich gesunde Volksempfinden noch ein bisschen weiter hochzukochen. Schließlich will man nicht vermitteln, sondern verkaufen. Ne Süper-Zeitung, halt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“